Ach, wie schön könnte es sein! Robert Brambora bei Sans titre in Paris
20. Januar 2023 • Text von Teresa Hantke
Was vereint eine idealtypische Gesellschaft? Welche paradiesischen Zustände sind erstrebenswert – ein Leben im Einklang mit der Natur, eine Gesellschaft, in der weder ein hierarchisches Klassensystem noch Privateigentum existiert? Fragen, die sich der deutsche Künstler Robert Brambora für seine Ausstellung “News from Nowhere” bei Sans titre gestellt hat und damit in seine eigene utopische Vision entführt.
Zwar mögen uns die milden Wintermonate die vorhergesagte Energieknappheit erspart haben, jedoch bleibt die Welt, in der wir leben, nach wie vor eine von Krisen gebeutelte. Eine anhaltende Pandemie, Gasknappheit, Inflation – wer wünscht es sich da nicht, einmal auszubrechen? Die dystopischen Zustände hinter sich lassen zu können und die Zukunft als gerecht und angenehm zu denken. Utopie statt Dystopie. Diesem Gedankenkonstrukt hat sich Robert Brambora für seine dritte Einzelausstellung bei Sans titre in Paris gewidmet.
Unter tiefblauem Himmel, vor einem Panorama an Plattenbauten, stellvertretend für den präferierten Baustil der DDR, liegt der Körper eines jungen Mannes. Träumend, gedankenverloren, ist er abgekapselt von dem, was ihn umgibt. Im Hintergrund das architektonische Sinnbild eines realsozialistischen Herrschaftssystems, wie es der Deutschen Demokratischen Republik inne war. DDR-Realität und Vergangenheit, auch Vergangenheit Robert Bramboras, der 1984 in Halle an der Saale geboren wurde.
Die großformatige Leinwand mit dem träumenden Jungen hängt auf schwarzgestrichener Wand, daneben drei große Keramikohren – als “Echos” betitelt, die Brambora mit Gold überzogen hat. Es sind die Echos einer fernen Welt, eines idealisierten Daseins, die sich der Protagonist auf dem Gemälde erträumt. Die eher düster imaginierten Welten seiner vorherigen Gemäldeserien habe er hinter sich lassen wollen, erklärt mir Brambora. Etwas Leichtes, Beschwingtes hatte er vor zu kreieren. Keine düsteren Farben. So sind die Bilder an der gegenüberliegenden Wand in kräftigem Blau gehalten. Farbe des Himmels und der Luft, der Reinheit und Wahrheit. Gute Aussichten?
Der Titel der Ausstellung spielt auf William Morris’ Science-Fiction-Roman “News from Nowhere” an. Die in blauer Farbe gehaltenen in Profilform geschnittenen Leinwände zeigen bereits die Ausgeburt dieser imaginierten Utopie. Trotzdem begegnen uns die fragmentarisch gestalteten Gesichter junger wie alter Menschen, von Frauen wie Männern, vom Leben entrückt. Gedankenversunken, melancholisch – der Realität entronnen und nicht mehr greifbar. Selbst wenn wir uns in einem idealisierten Gefüge, indem wir alle die gleiche Rechte, Ansprüche und Möglichkeiten hätten, befänden – wären wir nicht längst determiniert und vorgezeichnet durch die Mengen an Daten, an Informationen, die wir als Spuren hinterlassen.
So finden sich auch die Personen in Werken wie “Thoughts” oder “Requirements, Disorders” von den unendlichen Datenströmen und Informationen, die unsere Realität größtenteils beeinflussen, ruhelos und abgelenkt. Brambora rezipiert Edgar Degas bekanntes Gemälde “Intérieur”, auch als “Le Viol” bekannt. Gekonnt übersetzt er es in unsere Gegenwart und löscht die Hinweise auf eine mögliche gewaltsame Tat, die dem Bild zugeschrieben wird, aus. Man sieht einen Typ in Hoodie umgeben von mittels Siebdrucks angebrachten Textfragmenten, die Brambora aus zahlreichen Datensammlungen entnommen hat – “always being sick, always being stressed”. Der wahren Erlösung kommt man erst im letzten Raum entgegen.
Zwei goldene Keramikhände, zur Geste eines Vogels geformt – als Symbolik von Freiheit interpretierbar – thronen über der Öffnung, durch welche man zu den Werken des dritten Stadiums gelangt. Auf einer großen Leinwand, die entfernt die Motivik und Komposition des Eingangsgemäldes des träumenden jungen Mannes zitiert, liegt eingebettet zwischen floralen Bildelementen und in tiefem Blau eine ruhende Frau.
Seelenruhig scheint sie zu schlafen. Hier endlich losgelöst von Unruhe und Anstrengung sind auch die Personen in den weiteren Gemälden vereint. In der Psychologie gilt die Farbe Blau als Farbe der Ruhe, sie wirkt beruhigend und entspannend. Spätestens jetzt gelingt es Brambora, den Besucher beschwingt aus seinem utopischen Gedankenkonstrukt entkommen zu lassen. Wie William Morris schrieb: Ach, wie schön könnte es sein!
WANN: Die Ausstellung “News from Nowhere” ist noch bis einschließlich Samstag, den 25. Februar, zu sehen.
WO: sans titre, 3 Rue Michel le Comte, 75003 Paris.