Dekadenz und Verdorbenheit Genesis Belanger bei Perrotin in Paris
2. Dezember 2022 • Text von Teresa Hantke
Zwischen barockem Wulst und gewagten Formierungen, die an surrealistische Bildinhalte erinnern, hat die amerikanische Künstlerin Genesis Belanger in den Räumen der Galerie Perrotin im Pariser Marais eine Welt zwischen Phantasma und absurder Realität geschaffen. Irritiert, aber doch amüsiert lässt die Ausstellung “Blow Out” über Fragen nach dem menschlichen Konsumverhalten im 21. Jahrhundert reflektieren.
Daumen und Zeigefinger spreizen sich, formen sich – verformen sich. Beinahe unangenehm gebogen greifen lange Finger, die zu keiner Person gehören, nach angebissenen Keksen, Diamantringen oder Tabletten. Kulinarische Köstlichkeiten, wertvolle Objekte oder Medizin, die einem das Leben schöner, besser oder leichter erleben lassen. Es ist ein Überfluss an Reizen, an verführerischen Gegenständen und Gelüsten, die Genesis Belanger in ihrer zweiten Einzelausstellung “Blow Out” in der Galerie Perrotin in Paris präsentiert.
Wer einmal ein ausschweifendes Fest in seinen eigenen vier Wänden veranstaltet hat, weiß um das desaströse Chaos, welches am nächsten Morgen zu erwarten ist. Ausgedrückte Zigarettenstummel in Weingläsern, Essenreste, die weit über jegliche Tellerränder reichen und eine Ansammlung an Gläsern, geöffneten Flaschen sowie schlimmstenfalls über den Boden verteilte Luftschlangen. Genau diese Szenerie evoziert Belanger in einem der Galerieräume. Blumensträuße flankieren das Geschehen, von einer in babyblauer Farbe gestrichenen Recamière fliegt eine Schale mit angebissenem Obst. Auf einer Tafel in der Mitte des Raumes liegen Skulpturen, die Essenreste zeigen, leere Luftballons sowie eine zerbrochene Brille – “Too Good a Time?”, so die Werkbetitelung. Mit Blick auf das Geschehen, wäre die Antwort eindeutig “Yes!”. Konsumiert wurde bis zum Anschlag, soweit bis keiner mehr kann.
Blickt man genauer auf die Recamière fällt auf, dass es sich bei den dort angebrachten Einzelteilen nicht um weitere Konsumobjekte handelt, sondern um die Fragmente eines Frauenkörpers. Doch auch hier geht es der Künstlerin um, wie sie sagt, die Zurschaustellung des weiblichen Körpers, sozusagen den Konsum des Körpers zu veranschaulichen, der heutzutage zum großen Teil auf einer perfektionierten Präsentation in den sozialen Medien beruht.
Dass für den perfekten Körper heutzutage nicht selten chirurgisch nachgeholfen wird, mag das Sujet eines weiteren Ausstellungsraumes von “Blow Out” sein. Auf einer lila Bahre in der Mitte des Raumes liegt ein ebenfalls in Teile zerschnittener Körper. Der Oberschenkel ist an die Bahre gekettet, ein Fortkommen ist ausgeschlossen. Einzig ein seltsam positiver Hinweis auf den bevorstehenden oder aber bereits vollzogenen chirurgischen Eingriff ist eine sprudelnde Champagnerflasche, die sich kurioserweise im rundgeformten Rücken der kopflosen Figur befindet.
Die einzelnen Objekte, wie die Champagnerflasche, verbogene Streichhölzer und verpuffte Luftballons, die Belanger in Pastellfarbe kreiert, amüsieren in ihrer Erscheinung. Sei es in der Szenerie der ausschweifenden Party oder aber im Raum des Schönheitschirurgen. Es wirkt besonders durch die surreale Verformung bekannter und realer Objekte, für deren Gestaltung sich Belanger an der visuellen Kultur der letzten Jahrhunderte bedient, absurd und skurril.
Es sind Geschehnisse aus unserer Gegenwart, festgehalten, zum Stillstand gebracht, die die Auswüchse und Plagen unserer auf Konsum und Kapitalismus ausgelegten Welt zum Vorschein bringen. Auch wenn Genesis Belanger die Party offiziell beendet hat, ist man doch recht froh, der überbordenden Dekadenz und mit dem Überdruss an Glamour wieder in die kalte Winterluft von Paris entfliehen zu können.
WANN: Die Ausstellung “Blow Out” läuft bis einschließlich Samstag, den 17. Dezember.
WO: Perrotin Paris, 76 Rue de Turenne, 75003 Paris, Frankreich.