Bahn macht mobil? Tomás Maglione in der Galerie Parisa Kind
31. Januar 2024 • Text von Gast
In der Frankfurter Galerie Parisa Kind seziert der argentinische Künstler Tomás Maglione filmisch verschiedene Formen der Bewegung. Dabei streicht er subtil Thematiken von Klasse, Hierarchisierung und die Möglich- und Unmöglichkeit von Transport. (Text: Theresa Weise)
Es gibt einen Sweet Spot, um “overseas, overnight”, die Einzelausstellung des argentinischen Künstlers Tomás Maglione, in der Galerie Parisa Kind in Frankfurt zu besuchen. Während der Dämmerung, wenn sich das natürliche Licht in der Galerie im Souterrain ändert und die Räumlichkeiten einem Prozess der atmosphärischen Bewegung unterliegen. Allein die Skulpturen “Probe Pobre” spenden dem Raum dann seine künstliche Lichtquelle. Die aus Zigarettenpapier geformten Lampen verweisen implizit auf den urbanen Raum. Gleichzeitig transformiert der Künstler das Material und verfolgt einen Ansatz der Kreislaufwirtschaft, bei dem bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast, wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt werden.
Es ist eine ebenso subtile wie essentielle Entscheidung, den Ausstellungsraum nicht von der Außenwelt abzuschotten. Hierbei entsteht kein soziales Vakuum, sondern eine Verzahnung von Lebensrealitäten, in der Kunst Teil des Außen ist und eine niedrigschwellige Rezeption anbietet. Die Videoarbeiten folgen keiner gängigen Präsentationsform, in der alles abgedunkelt wird. Der Puls der Stadt, die Bewegung von Autos, Menschen und Flugzeugen, korrespondiert mit seinen Arbeiten, die unaufgeregte Portraits von Bewegung und Licht zeichnen. Galerie und öffentlicher Raum greifen ineinander.
Die reduzierte Präsentation der Videoarbeit “THIRST” – Lautsprecher und Beamer wurden unsichtbar platziert – greift die Flüchtigkeit des Inhalts auf. Das Ping Pong der Geräusche von rasender Geschwindigkeit eines ICEs und die Stille, die darauf folgt, erfüllen abwechselnd den kleinen Raum. Alle 25 Minuten rauscht ein ICE mit 200 Stundenkilometer durch den Bahnhof in Dornburg. Unbeobachtet hat Maglione seine Kamera auf den Zug gerichtet und somit gleichzeitig auf die Menschen; gleichwohl die verschwommenen Szenen weitaus weniger die Personen als die Bewegung porträtieren.
In den Fenstern des Zuges spiegeln sich die Oberkörper und Gesichter Wartender Menschen am Bahngleis, die auf ihr Transportmittel warten, das, anders als der ICE, die knapp 9.000 Einwohner*innen Gemeinde in Hessen ansteuert.
Stillstand der Menschen auf der einen, Hochgeschwindigkeit und ultra schneller Transport auf der anderen Seite, getrennt durch einen Wagon, einer Bahnsteigkante und einem ICE-Ticket. Dabei wird das System der gesellschaftlichen Klassifizierung auf subtile Weise thematisiert: Die inhärente Exklusion des Schnellzuges versus Regio oder S-Bahn.
Die Videoarbeit “When it burns from the inside” dokumentiert fliegende Bewegung, ohne jemals direkt die Kamera auf das Fortbewegungsmittel zu halten. Maglione begleitet Planespotter*innen bei ihrem Hobby Flugzeuge zu sichten und zu fotografieren. Der Frankfurter Flughafen ist hierbei der Umschlagplatz für Träume. Aus dem Off sprechen die Planespotter*innen über ihre Faszination. Die Organisationsstrukturen dieser Gruppe legen das Interesse des Künstlers für die Koexistenz vom Innen und Außen eines Transportmediums auf, von der Aktivität sich zu bewegen, gegenüber der Aktivität des Zuschauens.
“The Knife Constitución” ist das einzige Video in der Ausstellung, das seine künstlerische Praxis mit seiner Heimat in Argentinien verknüpft. In Buenos Aires filmt er einen Spalt zwischen zwei Autobahnen am Bahnhof Constitución, einem der verkehrsreichsten und gefährlichsten Bahnhöfe der Stadt Buenos Aires. Die Kamera richtet den Fokus nicht auf die vorbeifahrenden PKWs, LKWs oder auf die Passanten, sondern fokussiert mit der Linse den Sonnenstrahl, der umgeben ist von Dunkelheit. Die Passivität der Linse, der Akt der ruhigen Beobachtung filmt Bewegung in einer Art und Weise, als würde diese geschäftige und belebte Straße sich im Sonnenschein ausruhen.
Die Bahn war lange Zeit ein Symbol des Aufstiegs in Argentinien, so verband sie Buenos Aires mit zahlreichen Dörfern im Land. Viele Bahnhöfe wurden mit der Zeit stillgelegt und erst 2023 wurden davon wieder einige in Betrieb genommen. Bei den Wahlen in Argentinien im vergangenen Jahr war die Eisenbahn vor allem ein Politikum im Wahlkampf. Mit der Regierung von Javier Milei steht nun vieles auf der Kippe, die Bahn soll privatisiert und nicht weiter ausgebaut werden.
Die Videoarbeiten von Maglione sind poetische Filme. Dabei seziert er den öffentlichen Raum, um Themen von Bewegung, Klasse und gesellschaftlicher Hierarchisierung offenzulegen. Seine tiefe Empathie den Menschen gegenüber, die er in seinen Filmen als aktive oder passive Protagonist*innen filmt, verweist auf eine künstlerische Methodik einer wahrhaftigen Anteilnahme seines Umfelds. Magliones Praxis streicht wie eine Feder einige der wichtigsten Themen unserer Zeit.
WANN: Die Ausstellung “overseas, overnight” läuft noch bis Samstag, den 10. Februar.
WO: Galerie Parisa Kind, Gutleutstraße 96, 60329 Frankfurt am Main.