Material auf Metaebene Layla Nabi und Thilo Jenssen im Mars Frankfurt
8. April 2023 • Text von Gast
Der neue Offspace Mars ist offiziell eingeweiht. Die Ausstellung “Immaculate” von Layla Nabi und Thilo Jenssen wird nicht nur der Eigenlogik der Werke beider Künstler:innen gerecht. Im Zusammenspiel der Materialitäten verweisen die Arbeiten auch auf den mehrmonatigen Umbauprozess, den die Kurator:innen Anna Nero, Robert Schittko und Marcel Walldorf nun fast abgeschlossen haben. (Text: Naomi Rado)
Hätte man noch vor wenigen Wochen zum ersten Mal den Mars besucht, wären wohl einige der Arbeiten von Layla Nabi und Thilo Jenssen in ihrer Formsprache problemlos im Gesamtbild des Raumes aufgegangen. “Immaculate” (dt. makellos), so der Titel der derzeitigen Ausstellung, ist der Raum nämlich erst seit kurzem. Über mehrere Monate haben Anna Nero, Robert Schittko und Marcel Walldorf die mit weit mehr als nur Schrammen, Rohren und unebenen Flächen versehene Halle ausgebaut und aufpoliert.
Auf einem Industriegelände im Frankfurter Stadtteil Bockenheim gelegen, diente die Halle einst als Lager eines Büroartikelversands. Wo vor einigen Wochen noch eine Plastikplane den Durchbruch zum Innenraum versteckte, befindet sich mittlerweile ein Schiebetor, das fast über die gesamte Wandfläche zum Hof geöffnet werden kann und so auch von außen den Blick auf die Ausstellung preisgibt. Nun ist der Umbau zwar noch nicht vollendet, aber zumindest so weit, dass die erste offizielle Eröffnung ins Haus stehen konnte. Zur Vernissage waren auch die Ateliers von Nero, Schittko und Walldorf, die seitlich an den etwa 80 Quadratmeter großen Ausstellungsraum angrenzen, für das Publikum geöffnet.
Die Duo-Ausstellung umfasst drei skulpturale Arbeiten von Layla Nabi und mehrere Werke der Serien “Blechpaintings” und “If you only hold me tight” von Thilo Jenssen. Kaum eine Eröffnungsshow hätte in ihrer künstlerischen Materialität so gut den Kern dessen treffen können, was in den vergangenen Wochen als materieller Ausdruck des Umbauprozesses vorherrschte.
Die “Blechpaintings” charakterisieren glänzende Flächen, die als zweifarbige Paare neben- oder untereinander montiert sind. Brandkerben brechen in Jenssens Diptychen die Ästhetik seiner Hochglanzwerke auf. Die Malereien des Künstlers geben nur gezielt den Blick auf ihre unterliegenden Farbschichten frei und dynamisieren durch die bewusst gesetzten Unebenheiten und Beschädigungen die sonst makellos wirkenden Oberflächen. Auch im Offspace sind Kratzer und Furchen bloß noch als markante Akzente erkennbar. Der Raum versprüht ob seiner vorherigen Nutzung ohnehin einen äußerst industriellen Charme.
Die Sicht auf funktionale Rohre bleibt den Besucher:innen des Mars indes verwehrt. Nabi setzt sie skulptural und großformatig in Szene. Der immanente Bruch in den Arbeiten vollzieht sich durch ihre Abstraktion und Funktionslosigkeit. Auf den ersten Blick wirken Nabis Rohre , als hätte sie sie von einer Baustelle oder einem öffentlichen Platz entfernt. Erst aus der Nähe entblößt sich die Reduziertheit der Form als Duktus der Künstlerin. Zwischen Tanksäule und abstrakter Formkonstruktion mimt Nabis Skulptur “Die Schweigenden” den neben ihr und fast mittig im Raum konstruierten Pfeiler, der sauber verputzt seinem skulpturalen Gegenüber Konkurrenz macht.
Auch farblich holen die Arbeiten der beiden Künstler:innen den Außenraum nach innen: Die Kompositionen in Neonorange und Grau, sowohl in Nabis “Die Schweigenden” als auch in einigen von Jenssens “Blechpaintings”, darüber hinaus die Kombination von starkem Gelb und Schwarz bei Jenssen erinnern nicht zufällig an leuchtende Verkehrskegel oder Absperrpfosten. In einem Stadtbild asphaltierter Tristesse stechen diese Farben so unweigerlich hervor wie die Kunstwerke im Hinterhof des Industriegeländes.
Der Absperrpfosten ist auch an anderer Stelle wiederzufinden. Weit unauffälliger, aber durch seine irritierende Positionierung vor einer Wand zweifellos als Kunstwerk erkennbar, zeigt er sich als Keramikskulptur der Künstlerin Nabi. Die Vermenschlichung im Titel, “Paul”, lässt den weißen-roten Pfosten fast wie einen teilnahmslosen Besucher der Ausstellung erscheinen. Aus sicherer Distanz beobachtet er das Geschehen.
Neben den haptischen Aspekten der Arbeiten und ihrer handwerklichen Präzision sind es aber auch ihre Inhalte, die auf die Verfasstheit des Mars rekurrieren. Ließe sich etwa Nabis Skulptur “Die Schweigenden” in Anlehnung an die Tankstelle als ein Ort des Transits charakterisieren, so ist ein reges Treiben, Kommen und Gehen auch am Eröffnungsabend der Ausstellung präsent. Getankt wird hier statt überteuerten Benzins ein immaterielles Gut. Trotzdem hat die Kunst einen ebenso gesellschaftsrelevanten Stellenwert. Es offenbart sich hierin die Notwendigkeit solcher autonomer Räume, die das Ausstellen als solches statt der Logik des Kunstmarkts würdigen.
Jenssens Serie “If you only hold me tight” greift ein Thema auf, das der Künstler bereits in vorangegangenen Arbeitszyklen verhandelt hat. Auch dieses Sujet lässt sich auf einer metaphorischen Ebene an den Ort des Geschehens selbst zurückbinden. Handelt es sich nämlich bei Jenssens früherer Werkserie “Smooth Operator” noch um schwarz-weiße, auf Metallplatten gedruckte Szenen aus Erste-Hilfe-Handbüchern, die vor allem Fotografien der Stabilen Seitenlage abbilden, so verschiebt sich der Blick des Künstlers in der Serie “If you only hold me tight” auf die Notfalltrage mit Patientenfixierung – ein Hilfsmittel der Rettungsmedizin, das den sicheren Transport Verletzter gewährleistet.
Beide Serien Jenssens sind auf Stahlrohr-Konstruktionen befestigt. Sie verbindet in der fotografischen Materialverwertung das Moment, dass die durch Verletzung immobil gewordene Person von äußeren Einflüssen unterstützt und gesichert wird. Was in diesem Umgang mit dem versehrten Körper vordergründig kontrollierend und einschränkend scheint, dient letztlich dem Zweck, ihn aus der Passivität zu retten und ihm durch Heilung wieder aktive Handhabe über sich selbst zu ermöglichen.
Mag das Eingreifen in die Konstruktion der ehemaligen Lagerhalle durch Nero, Schittko und Walldorf auf den ersten Blick auch brachial erscheinen, so dient es einzig der Aktivierung des Raumes, dem durch seinen Umbau neue Möglichkeiten der Nutzung eröffnet werden. Ermöglicht wurde das Umbauprojekt, das sich nun als ansehnlicher Ausstellungsraum präsentiert, durch Radar Frankfurt. Die Agentur unterstützt angebunden an das Stadtplanungsamt Frankfurt Kunstschaffende dabei, leerstehende Gebäude in Kreativräume zu wandeln. Die ästhetische Erfahrung der Werke von Thilo Jenssen und Layla Nabi greift so auf materieller wie inhaltlicher Ebene das prozessuale Gewordensein des Ausstellungsraumes selbst auf.
WANN: Die Ausstellung “Immaculate. Thilo Jenssen & Layla Nabi” ist noch bis Freitag, den 21. April zu sehen.
WO: MARS, Ginnheimer Landstraße 35, 60487 Frankfurt am Main.