Wir müssen reden
James Gregory Atkinson in der Studiengalerie 1.357

8. Februar 2023 • Text von

James Gregory Atkinson hinterfragt mit dem Film “6 Friedberg Chicago” in der Studiengalerie 1.357 in Frankfurt unvollständige Archive der deutschen Kultur und schreibt selbst Geschichte. Seine künstlerische Praxis inkludiert Seminare und Gesprächsreihen und erhebt diese gleichermaßen zur Kunst.

Die Strukturen, auf denen Archive basieren sind oft unvollständig und damit ausschließend. Deutsche Archive, die vorgeben neutral die Vergangenheit zu spiegeln und den Anspruch haben, kulturelles Gedächtnis zu sein, sind vor allem eins: Zeugnis einer exkludierenden und unvollständigen Geschichtsschreibung. In der Zeitschrift October #165 äußern die Kunstprofessoren Noel W. Anderson und Andrews Weiner in Bezug auf Monumente eine sehr kluge Beobachtung, die gleichermaßen für Archive gelten kann: “Das Weißsein strukturiert nicht nur die Ökonomien, in denen wir agieren, sondern auch die Szenen, in denen wir gemacht und nicht gemacht werden und uns als Subjekte ständig neu erschaffen”. 

James Gregory Atkinsons Arbeiten spülen die Blindspots deutscher Archiv- und Geschichtsschreibung a die Oberfläche unseres Bewusstseins. Atkinson schreibt dabei selbst Geschichte: Ein ständig wachsendes Archiv aus Texten, Bildern, Objekten und Zeitzeug*innenberichten untersucht die Rezeption Schwarzer Soldaten in Deutschland sowie deren in Deutschland geborenen Kindern.  

James Gregory Atkinson, 6 Friedberg-Chicago, 2021, (Production Still), Photo: Friederike Seifert, © James Gregory Atkinson. Das Video  „6 Friedberg Chicago“ von James Gregory Atkinson wurde 2021 vom Dortmunder Kunstverein beauftragt, mit freundlicher Unterstützung der Hessischen Kulturstiftung, Villa Aurora L.A. und Goethe Institut New York.

Der Künstler spannt ein Band zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, setzt Impulse für Archive und macht selbst den Anfang, das Archiv neu zu denken, es aus den weißen Machtstrukturen heraus zu lösen und zu dekonstruieren. 

Vorbei am Eisenhowersaal der Goethe-Universität und hinein in die Studiengalerie 1.357, stellt Atkinson im Rahmen eines Seminars und einer Gesprächsreihe eine einzelne Arbeit aus, den Film “6 Friedberg Chicago”. Vor dem Eingang zum Video steht ein Wasserspender, der nicht funktionstüchtig zu sein scheint. Das Schwarzlicht taucht den Raum in Neonblau und alle weißen Klamotten fangen an zu leuchten und stechen heraus. Der Raum, in dem der Film gezeigt wird, definiert Aus- und Eingang durch Metallstangen, die an Ballett-Interior erinnern. Der Film hat eine Länge von sieben Minuten und diese Kürze reicht aus, um zu verstehen, dass man  vor einer historisch wichtigen künstlerischen Praxis steht.  

Das Video wurde in den Ray Barracks in Friedberg gedreht, einer ehemaligen Kaserne der amerikanischen Armee. Man sieht 17 junge Schwarze Protagonisten, deren Väter, wie auch Atkinson eigner Vater, als afroamerikanische US-Soldaten in Hessen stationiert waren. Die Männer bewegen sich durch ebendiesen verlassenen Ort mal schnell, mal langsam, einzeln oder in der Gruppe. Sie erzeugen durch die Choreografie und das interpretierte Lied “Toxi” von Ahya Simone “Toxi” ein sensibles, aktives Archiv. 

Der Film ist keine ortsspezifische Arbeit, doch Atkinson reagiert absichtslos damit auf die Geschichte des Gebäudes. Doch wurde die Arbeit initial für die Ausstellung im Dortmunder Kunstverein angelegt.  

Ein Blick hinter die Fassaden der Universität hilft zu verstehen, warum die Arbeit von Atkinson im Kontext der Goethe-Universität so relevant ist. Das I.G. Farben-Gebäude hat eine wechselvolle wie belastende Geschichte: Die Aktiengesellschaft I.G. Farben finanzierte die NSDAP und war zuständig für die Herstellung des Gas Zyklon B, um Menschen in den Gaskammern von Vernichtungslagern zu ermorden. Heute erinnern Gedenktafeln am Eingang des Universitätsgebäudes und eine Dauerausstellung daran.  

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs stand das Gebäude vorerst leer, bevor es bis Mitte der 1990er Jahre zu einem zentralen Standpunkt der US-amerikanischen Militärplanung wurde. Heute erinnern die Namen „Eisenhauer-Saal“ und „Eisenhauer-Rotunde“ an diese Zeit – und jetzt auch die Arbeit von James Gregory Atkinson. Sie füllt eine Leerstelle der Geschichte, die sich nach dem Abzug des US-Militärs ereignete und holt die Vergangenheit als auch die Gegenwart ins Hier und Jetzt.  

Das Video im Kontext des Gebäudes zeigt, wie die Arbeit von Atkinson durch Deutschland zirkulieren könnte. Nach und nach würde sie so offenlegen, dass nicht nur an einem, sondern an unglaublich vielen Orten eine solche Arbeit fehlt und der Beweis dafür ist, dass deutsche Archive unvollständig sind. Beispielsweise würde der Film auch im Haus der Kunst in München auf die Geschichte der Architektur eingehen. Das ist nicht geplant, doch würde es auch in München neue Impluse setzten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges diente das im Jahr 1946 umbenannte Gebäude der amerikanischen Militärregierung und wurde so zum Officers’ Club mit Restaurant, Tanzsaal, Shops. 

Die Ausstellung in der Studiengalerie steht jedoch nicht für sich allein. Der Künstler verbindet, wie auch schon im Dortmunder Kunstverein, diverse Ansätze, um seine Arbeit zu kontextualisieren und ein lebendiges Archiv zu gestalten. Begleitend zu der Show gibt Atkinson gemeinsam mit Antje Krause-Wahl, Professorin für Gegenwartskunstgeschichte an der Goethe-Universität, ein Seminar für Studierende, um über Schwarze und queere Perspektiven auf deutsche Geschichte, Politik und Kultur zu sprechen. Die Gesprächsreihe „Deutsche sind Schwarz! Faschisten können keine Deutschen sein“ mit internationalen Gästen ist ebenfalls Teil der Praxis des Künstlers. Das Kunstwerk bei Atkinsons steht nicht nur für sich alleine, es ist sich selbst nicht genug, sondern bettet sich in einen diskursiven Kontext ein. Damit wird auch eine Hierarchie innerhalb des Kunstwerks und Rahmenprogramms aufgebrochen. Das Programm ergänzt nicht nur das Kunstwerk, sondern ist Kunstwerk selbst.  

Die Videoarbeit „6 Friedberg Chicago“ steht in der Studiengalerie also nicht singuläre, fürs passive Konsumieren, sondern bedarf eines aktiven Parts: einer Gesprächskultur, die alles Gezeigte konzeptualisiert und aus verschiedenen Perspektiven heraus be- und verhandelt. So reist das Archiv durch Erinnerungen, Geschichte und Körper und widerlegt die Charakteristika eines Archivs, jemals abgeschlossen zu sein.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis Sonntag, den 12. Februar, zu sehen.
WO: STUDIENGALERIE 1.357, I.G. Farben-Haus, Campus Westend Goethe-Universität Frankfurt am Main Norbert Wollheim Platz 1, 1. Stock, Raum 1.357 60322 Frankfurt am Main

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