Die Fledermaus hat schlecht geträumt
Rodrigo Hernández bei ChertLüdde

31. Oktober 2023 • Text von

Sich mit Lebewesen identifizieren zu können soll gut sein für die Entwicklung von Mitgefühl. Der Affe ist hierfür ein paradoxes Beispiel: Er ist den Menschen so nah und ähnlich wie kein anderes Tier und doch erprobt der Mensch an ihm Medizin und Kosmetik. Wo ist das Mitgefühl? Das seltsame, unstimmige, fragile und blinde Moment zwischen Mensch und Tier fokussiert Rodrigo Hernández in seiner gerade eröffneten Show bei ChertLüdde.

Rodrigo Hernández, stars around this beautiful moon, 2023; Oil on wood; 20 × 25 × 3 cm. Photo by Marjorie Brunet Plaza. Courtesy of The Artist and ChertLüdde, Berlin
Rodrigo Hernández, “stars around this beautiful moon (4)”, 2023, Oil on wood, 20 × 25 × 3 cm. Photo: Marjorie Brunet Plaza. Courtesy of the Artist and ChertLüdde, Berlin

Es ist Halloween, bedeutet, die Fledermaus hat Hauptsaison. Sie wird Vorgärten bewachen und auf Hüten und Schultern sitzen. Die Menschen haben der Fledermaus die Rolle des kleinen Monsters zugeschrieben, sie zu einem Ungeheuer gemacht, einem realen Vampir, der nachts die Straßen unsicher macht. Die Fledermaus hat mit den Menschen so wenig gemeinsam, dass es ihnen leichtfällt, sie zu dämonisieren. Es sind diese seltsam manifestierten Zuschreibungen, tierische Vorurteile, die den mexikanischen Künstler Rodrigo Hernández interessieren. Mit “stars around this beautiful moon / hide back their luminous form”, seiner aktuellen Solo-Show bei ChertLüdde, zoomt Hernández an schlafende Fledermäuse und Affen heran. In der Ruhe und Feinheit seiner Arbeiten destilliert er die Leerstellen zwischen Mensch und Tier heraus.

Rodrigo Hernández, Installation view, ChertLüdde, Berlin, Photo by Marjorie Brunet Plazajpg
Rodrigo Hernández, Installation view of “stars around this beautiful moon / hide back their luminous form”, ChertLüdde, Berlin, 2023 – 2024. Photo: Marjorie Brunet Plaza. Courtesy of ChertLüdde, Berlin and Rodrigo Hernández, Lisboa

Das zarte Tier hat seine Flügel eingezogen, scheint sich selbst mit ihnen zugedeckt zu haben. Die Augen geschlossen und mit einem leichten Lächeln in den Mundwinkeln liegt die Fledermaus schlafend in einem orangenen Handschuh. Die feinen schwarzen Härchen auf ihrem Kopf sehen unfassbar weich aus, ein supersofter Flaum. Die dunkle und sehr zarte Haut ihrer Nasenlöcher und Ohren glänzt lebendig, setzt ihre feinen Sinne buchstäblich ins Licht. Doch irgendetwas ist hier nicht so friedlich wie es scheint. Es ist nicht das ganze Tier abgebildet. Das Orange des Handschuhs leuchtet giftig und wirkt kaum vertrauenswürdig. Es könnte ein harmloser wärmender Winterhandschuh sein, aber eben auch der einer Person, die im Versuchslabor arbeitet – oder bei der Berliner Stadtreinigung. 

Hernández zeigt nur einen Ausschnitt der Szene, die Umgebung und die Person bleiben im Verborgenen und der Fantasie überlassen. Das Fragment reizt den Künstler, auf das Unbekannte möchte er aufmerksam machen. Die Menschheit wird niemals alles über die Tiere erfahren. Das, was die schlafenden Affen und Fledermäuse in diesem Raum träumen, was in ihren Köpfen vorgeht, wird immer unbekannt bleiben und das ist vielleicht auch gut so. Die unbekannte Gedankenwelt der Tiere erhält ihnen womöglich das letzte bisschen Selbst.

Rodrigo Hernández, "stars around this beautiful moon (3)", 2023; Oil on wood; 20 × 35 × 3 cm Photo by Marjorie Brunet Plaza
Rodrigo Hernández, “stars around this beautiful moon (3)”, 2023, Oil on wood, 20 × 25 × 3 cm. Photo: Marjorie Brunet Plaza. Courtesy of the Artist and ChertLüdde, Berlin

Auf einem dicken Ast liegt ein kleiner Affe, er hat sein Köpfchen auf seinen Armen abgelegt. Der Schlaf und die rosa Haut seines Bauches zeigen ihn von seiner verletzlichen Seite. Er wirkt erschöpft oder absolut entspannt, das ist nicht mit absoluter Gewissheit zu sagen. In seiner Pose, in seiner ruhenden Mimik erscheint er sehr menschlich. Anders als im Falle der Fledermaus, sind Mensch und Affe enge verbunden. Der Mensch meint, den Affen zu kennen, ihn besser zu verstehen als alle anderen Tiere und dennoch, gerade deswegen wird er für Tierversuche missbraucht. Es mangelt den Menschen trotz dieser unvergleichlichen Nähe am letzten bisschen Respekt. Es ist paradox.

Auf dem Boden liegt ein abgetrennter Affenkopf aus Bronze, er ist hohl. Es könnte auch ein menschlicher Kopf sein, die Gesichtszüge sind fein, die Grenze ist fließend. Ist der Anblick so brutal, weil die Identifikation so naheliegt? Wären die Gefühle andere, wenn es der Kopf einer Fledermaus wäre? Die Bronze “I would not think to touch the sky with two arms” verleitet dazu, in sie hineinzuschauen, sie abzutasten, um herauszufinden, was womöglich in ihr drin ist, um diesen Fall zu klären. Doch es gilt: anfassen verboten. Die Frage danach, was in den Köpfen der Tiere vor sich geht wird immer wieder angeregt. 

Rodrigo Hernández, Installation view of stars around this beautiful moon, ChertLüdde, Berlin. Photo by Marjorie Brunet Plaza
Rodrigo Hernández, Installation view of “stars around this beautiful moon / hide back their luminous form”, ChertLüdde, Berlin, 2023 – 2024. Photo: Marjorie Brunet Plaza. Courtesy of ChertLüdde, Berlin and Rodrigo Hernández, Lisboa

Die Bronze reicht dem Werk “Flux of Things (Human & Monkey)” metaphorisch die Hand vom hinteren Teil des Raumes zum Eingang der Ausstellung. Durch das metallische Material und ihren fragmentarischen Charakter sind sie verbunden und bilden einen Rahmen. “Flux of Things (Human & Monkey)” eröffnet und schließt die Show wie ein eiserner Türsteher, der den Schlaf der Tiere bewacht.

Die große silberglänzende Stahlfläche spiegelt verschwommene Silhouetten der Besucher*innen, als nehme es den Menschen wahr, aber bewusst unscharf, mit gewisser Diskretion. Hernández hat einen Affen in den Stahl gehämmert, der sich an einen menschlichen Körper schmiegt, sie sind friedlich vereint. Als eines von acht Teilen, verweist das Fragment bei ChertLüdde auf einen größeren Zusammenhang, es zeigt nur einen Ausschnitt der Geschichte von Affen und Menschen – ein erträumtes Zusammenleben?

Rodrigo Hernández, Installation view, ChertLüdde, Berlin, Photo Marjorie Brunet Plaza
Rodrigo Hernández, Installation view of “stars around this beautiful moon / hide back their luminous form”, ChertLüdde, Berlin, 2023 – 2024. Photo: Marjorie Brunet Plaza. Courtesy of ChertLüdde, Berlin and Rodrigo Hernández, Lisboa

Die metallischen Arbeiten scheinen eingangs eine Traumrealität und später den Albtraum darzustellen, den nur eine Seite überlebt. Und so kopflos wie die Menschen den Tieren gegenüber handeln, ist das Einzige, was hier nicht im Verborgenen bleibt, der Fakt, das die Menschen die giftige, orangene Hand im Leben der Tiere sind. Rodrigo Hernández gelingt es im feinen Pinselstrich, im weichen Fell und minimalistischer Ruhe die Tiere zu würdigen. Es ist rührend, sie schlafen und sich erholen zu sehen, wahnsinnig intim und eindrücklich. Selten wurde bei einer Ausstellungseröffnung so auffällig geflüstert, Fledermaus und Affe sollen unbedingt gut schlafen können.

WANN: Die Ausstellung “stars around this beautiful moon / hide back their luminous form” läuft noch bis 27. Januar.
WO: ChertLüdde, Hauptstraße 18, 10827 Berlin.

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