Gelangweilte Yacht Club Affen
NFTs: Der Wert der Einzigartigkeit

13. Juli 2022 • Text von

Kunst-NFTs werden kritisch beäugt. Das liegt auch daran, dass der Markt dominiert wird von Unternehmen, für die „Kunstwerk“ nur ein anverwandeltes Schlagwort bei der Vermarktung von Spekulationsobjekten ist. Parade-Beispiel: die gelangweilten Affen des Bored Ape Yacht Clubs. (Text: Paul Weinheimer)

Screenshot Open Sea 12. Juli 2022.

NFTs sind spätestens seit dem vergangenen Jahr in aller Munde. Die Blockchain-Technologie hat dabei ohne jeden Zweifel die Möglichkeit, digitale Kunst zu verkaufen, revolutioniert. Die „non-fungible tokens“ haben ihren Weg nicht nur in prominente Auktionshäuser wie Christie’s gefunden, sondern erfreuen sich auch bei weniger bekannten Künstler*innen an Beliebtheit. Wirklich populär sind NFTs aber vor allem durch ihre horrende Preise geworden: Millionen von USD für das Eigentumsrecht an einem digitalen Bild?

Wenn man der Frage nachgehen möchte, was der Markt der digitalen Einzigartigkeit hergibt, stößt man in kürzester Zeit auf OpenSea, den bekanntesten virtuellen Marktplatz für NFTs. Hier wird nicht nur Kunst angeboten. Im Sortiment befinden sich digitale Spielkarten, virtuelle Welten hin zu Kunst und Sammlerwerken. Die Selbstbeschreibung der Kollektionen ist dabei häufig uneindeutig. Die Aneinanderreihung von Adjektiven lässt Interpretationsspielraum offen, ob es sich nun um ein „Item“, „Sammlerstück“ oder „seltenes Stück Kunst“ handelt. Vielleicht auch alles in einem. Die Zusammenstellung der „Top Collections“ auf OpenSea erinnert in ihrer Aufmachung an eine Aktien-Trading-Website. Neben den comic-artigen Icons, die einen Ausblick auf die NFTs selbst geben, steht eine grüne oder rote Zahl: Top oder Flop.

Screenshot Open Sea 12. Juli 2022.

Direkt sticht die Gallionsfigur der Plattform, der Bored Ape Yacht Club (BAYC), ins Auge: Eine stolze Wertsteigerung von +68% in den letzten 24 Stunden (Stand: 07.07.2022). Die grüne Zahl des Erfolgs schmückt das Profilbild des Yacht Clubs: hier gibt es was zu holen! Spezifischer gibt es hier vor allem Bilder von Affen-Avataren zu erwerben. Obwohl sich die Bored Apes durch Fellfarbe, Gesichtsausdruck und Accessoires unterscheiden, wirken sie generisch. Man könnte es anders formuliert aber auch einen Wiedererkennungswert nennen: einzigartig in ihrer Gleichheit und gleich in ihrer Einzigartigkeit.

Der gelangweilte Blick der Affen passt ganz und gar nicht zu der Aufmachung des selbsternannten Yacht-Clubs. „Du kaufst nicht einfach einen Avatar oder ein seltenes Kunstwerk“, so das Versprechen. Offiziell sind die Bored Apes unter der Kategorie Sammlerstück zu finden. Gleichermaßen nutzen sie aber auch den Begriff der Kunst für ihre Werke. Bei Kauf eines Bored Apes werden außerdem Mitglieder-Benefits in Aussicht gestellt. Der Kauf ist somit gleichermaßen das Eintrittsgeld in einen exklusiven Club – „Members Only“. Um was es sich bei dem NFT genau handelt, bleibt vage. Man könnte fast schon von Schrödingers Affen sprechen: Kunstwerk, digitales Item und exklusiver Club in Einem.

Vage bleibt auch, welche Vorteile nun beim exklusiven Affen Club herausspringen. Die Werbung erinnert an eine Fitness-Club-Mitgliedschaft. Ganz nach dem Motto: „Unsere Goldmitgliedschaft ermöglicht unseren Kunden exklusivste Benefits“. Der Fokus auf Wertsteigerung sowie die Vermarktung der BAYC-NFTs lässt das Gefühl entstehen, es handle sich vorrangig um ein Produkt. Vermarktet werden dabei die Hoffnung auf einen Mehrwert sowie das Gefühl von Exklusivität, was nicht zuletzt dadurch entsteht, Besitzer*in seltener Kunst zu werden.

Was zählt ist die wa(h)re Kunst?

Kunst war gewissermaßen schon immer auch Ware, ebenso ein Statussymbol – daran ist nicht viel Neues. Es stellt sich darüber hinaus als überaus schwierig dar, das „Wahre“ in der Kunst zu ermitteln. Was jedoch bei NFTs auffällt, ist der starke Fokus auf die Kunst als Ware. Überall findet sich Werbung, die NFTs als großes Anlagekapital anpreist; selbst gegen die steigende Inflation sollen sie der Heilsbringer sein. OpenSea fungiert dabei als Börse, auf der neben den Krypto-Coins, die Hauptwährung die Einzigartigkeit selbst ist. So wirbt die Plattform mit: „Discover, collect, and sell extraordinary NFTs“.

Die NFTs liegen damit am Puls der Zeit. Nun ist es möglich, die Maxime des Einzigartigen auch in den digitalen Raum zu übertragen. Der Soziologe Andreas Reckwitz konstatiert in „Gesellschaft der Singularitäten“ passend dazu: „Zentral ist [in der Moderne] das kompliziertere Streben nach Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit, die zu erreichen freilich nicht nur subjektiver Wunsch, sondern paradoxe gesellschaftliche Erwartung geworden ist.“

Diese Einzigartigkeit wird darüber hinaus zu einem monetären Wert. Menschen sind bereit, sehr viel Geld dafür zu bezahlen, ein einzigartiges Bild zu erwerben, um das digitale Selbst damit zu kuratieren. So sind die Bored Apes mittlerweile fester Bestandteil der Celebrity-Szene geworden. Paris Hilton, Jimmy Fallon und Justin Bieber sind nur drei Beispiele von Berühmtheiten, die sich in den Club der Million-Dollar-Affen eingekauft haben. Selbst Eminem und Snoop Dogg verwandeln sich in ihrem neuen Musikvideo zu „From The D 2 The LBC“ in Bored Apes. Die gelangweilten Affen sind damit definitiv im Mainstream angekommen.

Der starke Fokus auf Status und monetären Wert der NFTs erinnert an das, was Theodor W. Adorno 1963 in „Résumé über Kulturindustrie“ ein Produkt der Kulturindustrie nennt. Der Gebrauchswert der Kunst – Authentizität, Ästhetik, Affizierung, Kritik – schwindet und macht dem Tauschwert Platz. Dieser Prozess geht nach Adorno so weit, dass „geistige Gebilde kulturindustriellen Stils nicht länger auch Waren [sind]“, sondern voll und ganz zu Ware werden. Die sich so immer weiter angleichenden Güter würden als individuelle Erzeugnisse angepriesen, welches den Versuch darstelle, die Verdinglichung und Gleichheit der Selbigen zu überdecken.

Anhand der Bored Apes kann man diese Beobachtung paradigmatisch nachvollziehen. Die Affen werden programmatisch nach Baukastenprinzip erstellt: hier eine andere Mütze, da ein anderer Gesichtsausdruck. Letztlich setzen sich alle Affen aus einem Pool an Möglichkeiten zusammen, die in ihrer Kombination immer wieder einen einzigartigen Affen kreieren sollen. Adornos Kritik an der Kulturindustrie setzt vor allem an der Angleichung, der Standardisierung von Kulturprodukten an. Ebendies lässt sich hier beobachten: Im Grunde werden die Bored Apes am kulturellen Fließband produziert, sollen dabei jedoch Einzigartigkeit und Individualität verkörpern. 

Das Credo der Stunde: wachsam bleiben

NFTs sind zunächst, wie anfänglich festgestellt, nur ein digitaler Eigentumstitel. Die dahinterstehende Technologie kann Künstler*innen somit durchaus die Möglichkeit bieten, ihre Kunst auf eine neue Art und Weise zu vermarkten. Entscheidend ist an dieser Stelle, wer die Kunst macht und nicht wie sie vertrieben wird. So sind nicht alle NFTs Produkte vom Fließband. Die mediale Aufmerksamkeit konzentriert sich jedoch vor allem auf den Bereich, in dem das meiste Geld erwirtschaftet wird. Der aktuelle Hype ist dabei zum großen Teil auf Spekulant*innen zurückzuführen, die Profit gewittert haben, wie unter anderem Der Freitag schreibt.

Angeheizt wird Spekulation etwa durch eine massive Marketing-Offensive auf Social-Media-Plattformen. Dabei spielen die Verfechter*innen der Krypto-Szene selbst eine entscheidende Rolle. Wer NFTs besitzt, hat gleichermaßen ein strategisches Interesse für die Technologie einzustehen, schließlich sind es im Zweifel die eigenen Verluste beziehungsweise Gewinne, die entstehen.

Jüngst sind neue Anschuldigungen aufgetaucht: Der Künstler Ryder-Ripps wirft verschiedenen Prominenten, die sich als stolze Besitzer von einem Bored Ape präsentieren, auf Twitter vor, einen kostenlosen Affen im Austausch gegen nicht-gekennzeichnete Werbung angenommen zu haben. Er bezieht sich dabei auf eine Aussage des Podcasters Ben Baller. Solche Deals sind sonst nur im Zusammenhang mit Product-Placement Kampagnen auf Social Media bekannt und wären darüber hinaus illegales Marketing. Das Unternehmen hinter BAYC, Yuga Labs, hat sich in einer Stellungnahme zu verschiedenen Vorwürfen geäußert. Die Anschuldigung, Verschwiegenheitserklärungen zu Marketingzwecken zu verwenden, wurde dabei nicht aus dem Weg geräumt und steht somit weiter im Raum. Stattdessen hat das Unternehmen angekündigt Ryder Ripps zu verklagen.

Ein weiterer Kritikpunkt sind die starken Preisschwankungen der Kryptowährungen, die jeweils zum Verlust oder Anstieg des Wertes der NFTs führen. So ist der Ethereum-Kurs im Juni 2022 im Vergleich zum Rekordmonat November 2021 um 77% eingebrochen. Der NFT-Markt ist somit nicht nur dem Angebot-Nachfrage-Mechanismus unterworfen, sondern einer wesentlich volatileren Wertveränderung. Es gibt einige Stimmen, die davon ausgehen, dass die NFT-Blase bereits geplatzt sei. Ein enthusiastischer NFT-Optimismus scheint jedoch jeglicher Kritik zu trotzen. Der Markt wächst immer weiter.

Damit die Kunst von NFTs profitieren kann, muss sie sich die Technologie zu eigen machen. Problematisch wird es, wenn es andersrum läuft: Dabei droht die Gefahr, dass Kunst zu einem kulturindustriellen Produkt verklärt und verdinglicht wird. Wie bei jeder neuen Technologie ist es wichtig, weiter wachsam zu bleiben und sich nicht von einem simplen Technikoptimismus und der Hoffnung auf das schnelle Geld blenden zu lassen.

Mehr als einzigartig

Es gibt verschiedene Beispiele von Künstler*innen, die die Technologie als künstlerisches Medium nutzen. Eins davon lieferte jüngst die Performancekünstlerin Marina Abramović. Sie hat ihr 2001 entstandenes Video-Werk „The Hero“ zu einem NFT verwandelt hat. Die einzelnen Frames des Videos wurden dabei zu digitalen Unikaten. Dahinter steht ein Konzept, wie die Künstlerin gegenüber „Monopol“ erläutert. Entscheidend ist das Zustandekommen einer Emergenz. Dabei kommt es unteranderem auf die Menschen selbst an. Sie können die NFTs neu zusammensetzen, interpretieren und dadurch selbst mitwirken. Vor allem aber steht hinter der Summe seiner Teile eine Geschichte, die ein Mensch erzählt, der damit den Selbstzweck der Einzigartigkeit sprengt. Ebendas ist es, was Abramovićs Werk von einem rein kulturindustriellen Produkt abgrenzt.

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WTF sind NFTs?

NFT – das steht für „non-fungible token“: Alle sprechen darüber, aber keiner versteht es so richtig. NFTs verweisen auf Objekte, die sich durch ihre Einzigartigkeit auszeichnen. Sie sind „non-fungibel”: nicht austauschbar. Das war bislang im digitalen Raum gar nicht so einfach. Ein schneller Rechtsklick, „speichern unter“ und das Bild steht mir zur Verfügung.

Auch wenn die Technologie hinter den NFTs nicht verhindert, dass Bilder, Texte oder jedes andere beliebige Objekt im Netz einfach vervielfacht und gespeichert werden können, sorgen sie für eine neue Definition von Eigentum. Das geschieht durch die Technologie, die hinter den NFTs steht: die Blockchain. Man kennt sie im Zusammenhang mit Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum. Sehr vereinfacht ausgedrückt wird beim Kauf eines NFTs der Eigentumstitel des Objekts in die Blockchain geschrieben. Danach gilt es als Unikat, was unverwechselbar einer Person zugeordnet werden kann.

Einen guten Einstieg ins Thema Kunst-NFTs liefert unser Interview mit Anne Schwanz von Office Impart.