Eine kleine Hausmusik
Nevin Aladağ in der Villa Stuck

11. November 2021 • Text von

Möbel als Resonanzkörper, der Regen als Drummer und Tänzerinnen in Stilettos. Mit ihrer umfassenden Einzelausstellung „Sound of Spaces“ bringt Nevin Aladağ die historischen Räume der Villa Stuck förmlich zum Schwingen.

Nevin Aladağ: Sound of Spaces, Installationsansicht Museum VILLA STUCK, 2021/22, Foto: Jann Averwerser.

Eine Hand hält die Mundharmonika aus dem sich bewegenden Auto, der Fahrtwind entlockt dem Instrument eigentümliche Klänge. Der fallende Regen erzeugt auf einer Schlagzeug-Trommel einen ganz eigenen Rhythmus. In den in der Villa Stuck gezeigten Videoarbeiten versetzt Nevin Aladağ herkömmliche Musikinstrumente in einen neuen Kontext, die sorgsam komponierten Bilder unterstreichen die Ebene des Klangs nochmals. Die Künstlerin spielt mit der Funktionsweise der Instrumente, das Ergebnis ist hypnotisch-poetisch und humorvoll-assoziativ gleichermaßen. Eine von einem aufgeblasenen Ballon befeuerte Trompete wirkt schon fast wie eine eigene Comicfigur. Neben den Videos werden in der umfassenden Einzelausstellung auch eine Auswahl an Installationen, Skulpturen und Textilarbeiten gezeigt. Dabei nutzt die Künstlerin die Räume des Museums nicht nur, sie bespielt die Institution im wörtlichen Sinne.

Nevin Aladağ: Sound of Spaces, Installationsansicht Museum VILLA STUCK, 2021/22, Foto: Jann Averwerser.

Spätestens seit ihrer Beteiligung an der Biennale in Venedig und an der documenta in Kassel und Athen im Jahr 2017 genießt Nevin Aladağ großes internationales Ansehen. Die Ausstellung in München zeigt nun zum ersten Mal neuere und ältere Arbeiten zusammen mit eigens für das Projekt entstandenen Installationen. Einen Bezug zur Stadt hat die in Stuttgart aufgewachsene Künstlerin ebenfalls, sie hat bei Olaf Metzel an der Münchner Akademie Bildhauerei studiert. Im Gegensatz zur eher brutalen bildhauerischen Herangehensweise ihres ehemaligen Professors beschäftigt sie sich seit den 1990er-Jahren intensiv mit Musik und Klang aus der Perspektive der bildenden Kunst. Mit ironischem Blick kombiniert sie Bilder und Klänge, Materialien und kulturelle Verweise. Ihr multidisziplinäres Werk ist facettenreich, prägend ist die Transformation und Vermengung vermeintlich alltäglicher Objekte im Kontext der Kunst.

Nevin Aladağ: Traces, 2015, Still, Drei-Kanal-Video, © Nevin Aladağ / VG Bild-Kunst, Bonn Courtesy the artist and Wentrup, Berlin.

Die Auswahl und Zusammenstellung der gezeigten Arbeiten lassen diese wiederkehrende Motive und Strategien deutlich werden. Nevin Aladağ nutzt dabei auch die historischen Räume der Villa Stuck um ihre “Music Rooms” zu zeigen, Möbelstücke, die sie mit Hilfe von Spezialisten zu Instrumenten umbaut. Diese zarten Zwitterwesen fügen sich so nahtlos in die Räume ein, als wären sie schon immer da gewesen. Auch zu sehen sind Musikskulpturen aus bestehenden, veränderten oder neu gestalteten Resonanzkörpern; die „Resonators“ wiederum verbinden unterschiedliche Exponenten einer Instrumentenfamilie zu einer neuen Gattung.  Bei diversen Performances und Aktivierungen werden die Objekte der “Music Rooms” oder der “Resonatoren” während der Laufzeit der Ausstellung von Musikerinnen und Musikern des Neuen Kollektivs München NKM zum Klingen gebracht.

Nevin Aladağ: Resonator Strings, 2019, © Nevin Aladağ / VG Bild-Kunst, Bonn Courtesy the artist and Wentrup, Berlin Photo: Trevor Good.

Die Strategien des Vermengens, Vermischens und Transformierens sind auch in den eher graphischen Arbeiten klar erkennbar. Hier werden vermeintlich orientalische Muster mit profanen architektonischen Formen gekreuzt, Formen aufgelöst und Farben zueinander in Kontrast gesetzt. „Sound of Spaces“ ermöglicht einen guten Einblick in die künstlerische Praxis von Nevin Aladağ. Die Ausstellung, die sich wie ein Parcours durch das gesamte Haus schlängelt, zeichnet ein stimmiges Gesamtbild einer Künstlerin, die scharfsinnig, vielschichtig und humorvoll Erwartungen untergräbt, mit Gegensätzen spielt und diese ins Leere laufen lässt.

WANN: Noch zu sehen bis zum 20. Februar 2022.
WO: Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, 81675 München.

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