Sorry, aber nicht so wirklich
Leonie Seibold über "sich entschuldigende Männer“

29. Juni 2023 • Text von

Wenn etwas schiefgeht, dann sollte man sich ehrlich entschuldigen. Meint man. Julia Niemann und Leonie Seibold kompilieren in ihrer 3-Kanal-Video-Installation “and i’m sorry for whatever i did“, die Teil der Ausstellung “Avanti Dilettanti“ im Musa Museum in Wien ist, Fragmente aus Filmen, Musikvideos sowie Politikerreden. Sie bieten einen Einblick in die Mechanismen männlicher Entschuldigungen, die eigentlich gar keine sind. Leonie Seibold gab uns einen Einblick in das Projekt.

Julia Niemann & Leonie Seibold: Apologizing Men, Still (Belle De Jour, 1967).

gallerytatlk.net: Eure Installation basiert auf einem Instagram-Projekt. Wie hat das angefangen?
Leonie Seibold: Das Projekt ist 2020 entstanden, aus dem Corona-Sommer heraus. Wir wollten uns mit sozialen Mustern beschäftigen, da gab es unterschiedliche Ideen. Interessant fanden wir dann das Thema der “sich entschuldigenden Männer“. Das hat ein wahnsinnig tragisches und gleichzeitig ein wahnsinnig komisches Potenzial. Das Thema begegnet einem im Alltag aber auch in den großen Dramen der Menschheitsgeschichte. Jeder hat in Bezug auf dieses Thema Erfahrungen, sowohl aus der männlichen als auch aus der weiblichen Perspektive. Aus dieser Idee ist zunächst ein Instagram-Projekt entstanden, eine Sammlung solcher Entschuldigungen, ein Archiv.

Wie hat sich daraus die Installation entwickelt?
Ein Jahr später, im September 2021, konnten wir dann anlässlich der Parallel Vienna die Videoinstallation “and i’m sorry for whatever i did“ zum ersten Mal präsentieren. Diese Installation speist sich aus dem Archivmaterial und kondensiert 200 Clips in zehn Minuten auf drei Video-Screens. Das Zusammenspiel der drei Kanäle ist komponiert, die Clips reagieren aufeinander. Diese Form der Installation ist auch gerade im Musa in Wien zu sehen.

Julia Niemann & Leonie Seibold: Apologizing Men, Installation View, Parallel Vienna 2021, Foto: Eszter Kondor.

Was ist der gravierendste Unterschied zwischen der Präsentation im Internet und im Museum?
Es sind unterschiedliche Formen der Gleichzeitigkeit. Im Internet ist das Material zwar immer verfügbar, wird aber nicht gleichzeitig abgespielt. Bei der Installation werden die drei Kanäle gleichzeitig bespielt und die Inhalte sind aufeinander abgestimmt. Man muss das Material anders behandeln und anders denken. Außerdem ist es eine sehr schöne Erfahrung, direkt zu sehen, wie das Publikum reagiert, welche Emotionen bei den Besucher*innen ausgelöst werden. Wir hatten vorher auch viel Resonanz online, aber das live zu sehen ist besonders schön. Es gab junge Frauen, die berichtet haben, sie hätten Gänsehaut bekommen und hätten fast geweint. Andere haben die Installation als ein Gruselkabinett beschrieben. Das unterschiedliche Feedback war für uns eine wirklich positive emotionale Erfahrung.

In der Installation sieht man, wie sich Männer entschuldigen, ohne sich wirklich zu entschuldigen. Wie funktioniert das?
Es handelt sich dabei um ein sehr gängiges Phänomen. Jemand kommt in die Situation, sich erklären zu müssen. Formal wird der Akt der Entschuldigung auch erbracht, aber gleichzeitig findet eine Distanzierung statt: Ich entschuldige mich, weil du dich schlecht fühlst, wegen der Sache, die ich gesagt oder getan habe. Die Schuld wird auf den anderen übertragen und vom eigentlichen Grund entkoppelt: Du bist selbst schuld, wenn du dich schlecht fühlst. Die Hülle der Entschuldigung sieht gut aus, aber im Kern stimmt etwas nicht.

Julia Niemann & Leonie Seibold, Foto: Eszter Kondor.

Warum sieht man nur Männer, die sich entschuldigen? Ist diese Form der ausweichenden Entschuldigung ein rein männliches Phänomen?
Das ist historisch bedingt: Es ist immer noch so, dass wahnsinnig viele Menschen, die Verantwortung haben und Macht ausüben können, Männer sind. Und es stellt sich die Frage, wie sich diese Personen zu ihrer Verantwortung verhalten und wie sie reagieren, wenn etwas schiefgeht. Das hat auch mit der eigenen Fähigkeit zur Reflexion zu tun, das ist natürlich auch individuell unterschiedlich. Aber es gibt auch eine juristische Ebene. Wenn ich mich für etwas entschuldige, dann akzeptiere ich die Schuld oder die Verantwortung, ich bekenne mich schuldig. Und das hat natürlich Konsequenzen. Aber auch das Selbstbild spielt eine Rolle: wie will jemand nach außen hin wirken? Ein Diktator wird sich niemals entschuldigen, der macht keine Fehler. Es ist die Frage, wie weit man die eigene Verantwortlichkeit ernst nimmt.

Julia Niemann & Leonie Seibold: Apologizing Men, Still (Nous ne viellirons pas ensemble, 1972).

Viele der Clips sind schon älter, meinst du, dass sich der Umgang mit der eigenen Verantwortung verändert?
Es geht viel um Werte und Normen. Wie wollen wir als Gesellschaft leben, wie wollen wir einander bezeichnen, wie wollen wir miteinander umgehen und übereinander reden und umgehen. Ich glaube schon, dass es da einen Generations-Clash gibt, dass bestimmte Dinge in der Öffentlichkeit nicht mehr akzeptiert werden, die vielleicht in den 1980er-Jahren noch angemessen waren. Es vollzieht sich ein Wertewandel, der auch in der Fehlerkultur spürbar wird. Die Maßstäbe verändern sich.

WANN: Die Ausstellung “Avanti Dilettanti“ ist noch bis zum 24. September zu sehen.
WO: Wien Museum MUSA, Felderstraße 6-8, 1010 Wien.

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