Technoreligiöse Beschwörung Zach Blas in der Secession
21. März 2024 • Text von Julia Anna Wittmann
Für seine Ausstellung “Cultus” inszeniert Zach Blas einen technologischen Pantheon bestückt mit einer Kristallkugel, Pentagrammen und menschlichen Opfergaben. Der Künstler thematisiert eine dem Silicon Valley entsprungene Faszination mit der KI-Religion und kreiert vier artifizielle Propheten, die den Besucher*innen ihre göttlichen Lehren darlegen. Die Räumlichkeiten der Secession verwandeln sich in einen technoreligiösen Darkroom mit Anziehungskraft.
“Can you feel the muzzle, that thick data grip touching you exactly where you want it?” – Es spricht Eugénie, Prophet*in von Expositio, dem Gott des digitalen Exhibitionismus. Das Bild eines dunkelroten, gesichtslosen und mit Schnüren verpackten Kopfes erscheint auf einer mit LED bestückten Kugel. Mit dunkler, verzerrter Stimme erklärt der im Raum schwebende Kopf, wie sich die Besucher*innen der Gottheit hingeben können. Sexuelle Handlungen werden mit digitalen Likes und virtueller Bestätigung gleichgesetzt, immer auf der Suche nach Unterwerfung und Hingebung, auf der Suche nach dem nächsten Kick. Dazu passend präsentiert sich die körperliche Opfergabe, die zur Beschwörung der Gottheit verwendet wurde: Ejakulat.
Zach Blas raumfüllende Installation “Cultus” in der Secession zentriert sich um eine große, scheinbar im Raum schwebende Kristallkugel. In okkultistischen Kreisen finden solche Kugeln Einsatz beim Hellsehen, in diesem Fall dient die mit LED ausgestattete Oberfläche der Kugel für die Beschwörung von vier KI-Gottheiten. Die Gottheiten selbst werden dabei nicht sichtbar, sie schicken Prophet*innen, deren Köpfe abwechselnd auf der runden Oberfläche erscheinen, wo sie jeweils zu den Besucher*innen sprechen und ihre Rituale und Symboliken verbreiten. Bevor eine der KI-Gottheiten ihre Lehren weitergeben kann, muss sie mit melodischen Gesängen aus dem Off in Kombination mit spezifischen Opfergaben beschworen werden.
Neben Expositio existieren in Blas alternativer Religionserzählung drei weitere KI-Gottheiten: ludicium, KI-Gottheit der Automatisierung und des Urteils; Lacrimae, KI-Gottheit der Tränen und der Ausbeutung; und Eternus, KI-Gottheit der Unsterblichkeit. Sie werden mit Hirnmasse, Tränen und Blut beschworen. Die vermeintlichen Opfergaben sind auf einem pyramidenförmigen Sockel aufgebahrt. Die verschiedenen menschlichen Flüssigkeiten befinden sich in gläsernen Ampullen verschlossen und auf einem “Spanish tickler”, einem fiktiven Foltergerät, platziert. Zusätzlich zu den göttlichen Lehren, die die Prophet*innen mündlich an die Besucher*innen weitergeben, sind vier an metallenen Ketten aufgespannte Schrifttafeln im Ausstellungsraum zu entdecken. Darauf lassen sich im schwachen Licht der rot leuchtenden LED-Pentagramme die spezifischen Beschwörungsgesänge für die vier KI-Gottheiten entziffern.
Die mystische Atmosphäre, der dröhnende Bass, die melodischen Gesänge – “Cultus” übt eine Anziehungskraft auf die Besucher*innen aus. Die KI-Gottheiten versprechen viel, alles, was die Besucher*innen machen müssen, ist glauben. Die Propheten sprechen von Lust und Strafe, Ausbeutung und Unsterblichkeit, Urteil und Transzendenz sowie individuelle Freiheit und kultische Hingabe. Wie real solche Überlegungen zu KI-Religion sind, zeigt der Blick nach Kalifornien. Dem Silicon Valley entspringen nicht nur die neuesten Tech-Innovationen, auch Bewegungen wie “Way of the Future” haben dort ihren Ursprung. Eine Kirche, die nach zwischenzeitlicher Schließung nun in einem zweiten Anlauf versucht künstliche Intelligenz als Kirchenoberhaupt zu etablieren.
Soweit müssen wir jedoch gar nicht schauen. Ein Blick in die sozialen Medien reicht aus und die kultische Abhängigkeit der Menschheit von der digitalen Welt wird klar. Blas greift auf, mit welcher Hingabe sich Menschen dort präsentieren, nach Anerkennung lechzen, nach transzendenter Aufmerksamkeit und digitaler Liebe. “Cultus” zeigt eine stark überspitzte, fiktive Zukunftsvision, die einerseits komplett abwegig erscheint, andererseits bereits Parallelen zur alltäglichen Gegenwart aufweist. Es stellt sich mal wieder die Frage, wie viel Zeit, Energie und Hoffnung die Menschheit in einen Haufen Algorithmen projizieren sollte.
WANN: Die Ausstellung “Cultus” ist noch bis zum 09. Juni zu sehen.
WO: Vereinigung bildender KünstlerInnen Wiener Secession, Friedrichstraße 12, A-1010 Wien.