Der Laden als bessere Ausstellung
Klaus Speidel lädt zum Shoppen in die Kunsthalle Wien

2. Februar 2022 • Text von

In ein Museum muss man sich erst einmal reintrauen. Einkaufen geht Mensch viel unbedarfter, sagt Klaus Speidel. In der Kunsthalle Wien will er Kunst so zeigen, dass sich niemand ausgeschlossen fühlt. Deswegen hat er den Concept Store “A shop is a shop is a shop (beta)” eröffnet. gallerytalk.net verrät Speidel die subversive Kraft des Verkaufsgesprächs und seine Utopie für das Konsumverhalten der Zukunft.

Ein Arrangement von drei Schneekugeln.
Renate Bertlmann: AMO ERGO SUM-trilogische Schneekugeln, 1989 Courtesy: the artist.

gallerytalk.net: Kaufst du privat wahnsinnig gern oder umgekehrt nur sehr ungern ein? Eins von beidem muss es ja sein, sonst wärst du wohl kaum angetreten, ein ganz besonderes Shopping-Erlebnis zu kreieren, oder?
Klaus Speidel: Das könnte man meinen. Aber in Wirklichkeit hat sich die Idee zum Shop als Antwort auf Fragen entwickelt, die sich die zeitgenössische Kunst mehr stellen sollte, wenn sie nicht völlig zum elitären Lifestyle Accessoire für das 1 Prozent werden will. Galerien, Museen, Kunsthallen …  Das sind Orte, in die sich die meisten Menschen nicht reintrauen – und in denen sie sich, wenn sie es doch mal wagen, selten wohlfühlen. Das liegt auch daran, dass sich die Künstlerinnen im Allgemeinen wenig fürs Publikum interessieren.

Wie meinst du das?
Sie machen einfach ihr Ding, auf das die Besucher*innen sich gefälligst einlassen sollen. Im besten Fall bekommt man die Werke noch einigermaßen verständlich erklärt. Aber selbst darin sind Kurator*innen für zeitgenössische Kunst meist nicht besonders gut. Es ist ihnen auch nicht besonders wichtig, Leute zu erreichen, die nicht selbst vom Fach sind. All das ist im Shop anders.

Links ein Porträt von Kurator Klaus Speidel, er lacht. Rechts eine Zeichnung von zwei Hosen, die linke ist heile und kostet 50 Euro, die rechte ist kaputt und kostet 150 Euro.
Klaus Speidel. Foto: Verein K. // Dan Perjovschi: Jeans, 2000. Courtesy Christine König Galerie and the artist.

Wie gestaltet sich denn das Shop-Erlebnis?
Zunächst einmal gibt es jemanden, der uns fragt, was wir suchen. Wenn man das auf eine Ausstellung überträgt, wird es geradezu subversiv! Was im Ladengeschäft selbstverständlich ist – dass uns nämlich jemand begleitet und uns die Dinge zeigt, die vielleicht mit unseren Interessen und Bedürfnissen zu tun haben, so oberflächlich die auch sein mögen – kommt in Museen kaum vor. Dort zeigt man uns sogar bei Führungen einfach ein Ding nach dem anderen, unabhängig davon, was uns gerade beschäftigt oder wichtig ist.

Welche Vorzüge hat das Format Shop gegenüber einer „normalen“ Ausstellung?
Weil ein Shop uns in der Regel nicht verunsichern will, sind Geschäfte auch Orte, an denen wir die Deckung runternehmen können. Da müssen wir nicht Angst haben, intellektuell überfordert zu werden und werden nicht ständig mit unserem Unwissen konfrontiert oder mit der Moralkeule bedroht. Statt minimalistischer Leere und Grabesstille, läuft beschwingte Musik. Geschäfte, die ich mag, sind nicht prätentiös und man begegnet mir freundlich und gesprächsoffen. All das hat mir in der zeitgenössischen Kunst immer gefehlt, solange ich noch nicht „dazugehört habe“. Als Philosophiestudent in München und Paris habe ich mich kaum in eine Galerie getraut.

Eine Schaumstoff-Couch freigestellt. Den Hintergrund ziert in unzähliger Ausführung der Schriftzug "a shop is a shop is a shop".
Tina Grüll: deconstruction couch, 2021. Courtesy: the artist.

Was kann man im Shop in der Kunsthalle Wien erwerben?
Es gibt alles Mögliche zu kaufen, zum Beispiel Postkarten, die man nicht selbst beschreiben darf und für die man sich die Empfänger*in nicht aussuchen kann; Schuhe, die man nicht anziehen kann und einen ehrlichen Spielteppich, der nicht auf heile Welt macht. Auch Kleidung, die einem schmerzhaft auf den Leib geschneidert wird, algorithmisch determinierte Häkelwaren, die auf einem personalisierten Fragebogen beruhen; ein nft ohne Reservepreis und Wasser, das Wünsche erfüllt. Manches kann man aber gar nicht mit Geld erwerben, sondern nur eintauschen.

Geht es dir überhaupt ums Verkaufen? Oder verbirgt sich hinter dem Ladenprojekt am Ende ein anti-kapitalistisches Lehrstück?
Nein. Ganz so einfach ist es nicht! Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Läden total wichtig sein können. Einige meiner Initiationserlebnisse und Schritte zum Erwachsenwerden haben in Shops stattgefunden: in der sechsten Klasse das erste Mal selbst einen Kung Fu Film aussuchen und dann bei Müller kaufen, anstatt mit meinen Eltern Fernsehen; als Zwölftklässler in einer kleinen Boutique in Ravensburg eine Hose wagen, die anders – und teurer – war als alles, was ich bisher gekauft hatte oder als Startup Gründer einen Anzug in Macy’s New York kaufen. All das waren Erlebnisse, die ich nie vergessen habe.

Links ein Dosengetränk fließt in eine rosafarbene Urne, rechts: eine helle Holztfel leuchtet auf hellgrünem Grund über einem Tisch mit Glitzerdecke.
Xenia Lesniewski: Good Vibrations Only, Installation view Bildraum 01, 2021 Courtesy: the artist, Eva Kelety / Bildrecht, Wien 2021. // Klaus Pichler: Harmony energy transformer, 2015-2017. Courtesy the artist.

Woran liegt das?
Bei den letzten beiden Erlebnissen hatte es auch mit den Verkäufer*innen zu tun, die mich beraten, herausgefordert oder ermutigt haben. Ich kann den Macy’s-Verkäufer noch wörtlich zitieren. Also wenn Einkaufen wirklich wichtig ist, geht es eigentlich vor allem um Erfahrungen und Begegnungen. Deswegen fokussieren wir uns auch genau darauf bei „A Shop is a Shop is a Shop“. Das deckt sich übrigens auch mit den Versprechen derjenigen, die noch auf Ladengeschäfte setzen. Irgendwas kaufen, das kann man auch online. Aber Begegnungen und Erlebnisse fehlen.

Deswegen sind die erfahrenen Lifestyle-Berater*innen” ein entscheidendes Element der „A shop is a shop is a shop (beta)“-Experience. Welche besonderen Kompetenzen besitzen die?
Sie sind genauso am Austausch interessiert wie am Verkauf. Und sie wissen, dass ein interessantes Produkt wie ein spannendes Kunstwerk nicht eindimensional ist, sondern ganz verschiedene Zugänge haben kann. So versuchen sie ein ideales Match zwischen Kund*innen und Produkten herzustellen.

Du wünscht dir ein reflektiertes Shoppingerlebnis, ein „shoppiges Reflexionserlebnis“. Wie unterscheidet sich das von unreflektiertem Einkaufen?
Das hat vor allem mit der Art zu tun, wie unsere Berater*innen instruiert sind und auf die Kund*innen eingehen. Aber auch mit den Bildern an der Wand oder auf den Auslagen, die nicht versuchen hypnoästhetische Kaufräusche auszulösen.

Ein hellgelbes Jacket liegt aufgefaltet auf dem Boden, beschwert von einem Stein.
Jimmie Durham: Himmel und Erde müssen vergehen, 2000 Courtesy: Christine König, Vienna and the artist.

Wenn du dir den Konsum der Zukunft ausmalst, was wäre die Utopie?
Ich fände es schön, wenn wir wieder zu dem Schema zurückkämen, das es einmal gab: Man hat einen, vielleicht zwei Sonntagsanzüge, die lokal produziert wurden, und nicht mehr als ein paar Werktagskleider. Die Kleider, die wir haben, sind teuer, aber todschick. Sie sind auf uns abgestimmt und sie sehen mindestens zehn Jahre lang gut aus. Ästhetisch sind sie so zurückgenommen, dass sie nicht aus der Mode kommen. Außerdem muss man uns nicht mit Bildern von geschredderten Junghähnen bewegen, ethische Kaufentscheidungen zu treffen, weil das Unethische sowieso nicht mehr zu haben ist. Dann hätten wir auch nicht ständig Konflikte mit uns selbst. Das wäre sehr entspannend. Und die Dinge, die wir kaufen, lenken uns nicht mehr vom Wesentlichen ab, sondern werden zu Ermöglichern.

Und das worst case scenario?
Dass es so weitergeht, wie bisher

WANN: „A shop is a shop is a shop (beta)“ bis Sonntag, den 13. Februar, während der Öffnungszeiten der Kunsthalle Wien zugänglich.
WO: Kunsthalle Wien Museumsquartier, Museumsplatz 1, 1070 Wien.

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