Leere Taschen
Birke Gorm bei Croy Nielsen

9. Juni 2023 • Text von

Was ist wichtiger, Tasche oder Inhalt? Mit schürzenartigen Textilarbeiten vertieft Birke Gorm ihre Auseinandersetzung mit Material, dem Sammeln und dem Aufbewahren. Bei Croy Nielsen verweist sie auf den Zusammenhang von getragenem Besitz und Geschlecht. (Text: Nina Buchwaldt)

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Birke Gorm “to raise to fold”, Installationsansicht, Croy Nielsen, Vienna, 2023. Courtesy of the artist and Croy Nielsen, Vienna. Foto: Kunst-dokumentation.com.

Die Ausstellung von Birke Gorm beginnt bereits am Gang der Galerie Croy Nielsen. Besuchende stolpern auf dem Weg in die Haupträume beinahe über Grüppchen aus kleinen Gegenständen und Gefäßen, die liebevoll am Boden platziert wurden. Nahezu alle Objekte sind aus Terrakotta. Dieser bräunlich-dunkle Ton gehört zu Gorms Werken wie die Einfachheit des Materials.

Für gewöhnlich sammelt Gorm ihr Material selbst und bearbeitet es händisch. Alles leicht Zugängliche, Weggeworfene kommt zum Einsatz: Steine, Glasteile, Metall, Papier oder Jutesäcke. Zum Prozess des Sammelns kam es einerseits aus ökonomischen Gründen, andererseits, weil Gorm das Thema inhaltlich beschäftigt. Die Künstlerin stellt in ihren Werken Inhalte einander gegenüber, die sie aus historischer und aktueller Perspektive betrachtet und gesellschafts-relevant kommentiert.

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Birke Gorm “all-in (check, pink)”, 2023. Textile, terracotta, metal, 107 × 82 × 12 cm. Courtesy of the artist and Croy Nielsen, Vienna. Foto: Kunst-dokumentation.com. // Birke Gorm “to raise to fold”, Installationsansicht, Croy Nielsen, Vienna, 2023. Courtesy of the artist and Croy Nielsen, Vienna. Foto: Kunst-dokumentation.com.

Aufgrund der dunklen Farbpalette wirkten ihre Arbeiten bisher oft archaisch wie Requisiten von Ritualen aus vergangener Zeit. Im Hauptraum angekommen wird es wider Erwarten weich und farbig. Gorm zeigt rosarote, blaue, braune oder grüne Textilarbeiten. Ein krasser Kontrast zu Metall, Glas und Jute.

Bei erster Betrachtung erinnern die neuen Arbeiten an auf dem Kopf hängende Arbeitsschürzen. Sie werden von unzähligen größeren und kleineren, händisch angenähten Taschen strukturiert. Einige erinnern an Hosen- und Hemdtaschen, andere wirken deformiert oder stofflich massiv. Ebenfalls an den einzelnen Werken angebracht sind Knöpfe und kleine Terrakotta-Tröpfchen, die an Schnüren in unterschiedlichen Längen hinabbaumeln. Sie gliedern die Werke nochmals in sich. Ist da vielleicht ein Gesicht zu erkennen? Es fällt auf, dass die Schürzen auch überdimensionale, verkehrt hängende Taschen sind.

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Birke Gorm “to raise to fold”, Installationsansicht, Croy Nielsen, Vienna, 2023. Courtesy of the artist and Croy Nielsen, Vienna. Foto: Kunst-dokumentation.com.

Die Stoffreste hat Gorm zu Hause bei ihrer Großmutter und ihrer Mutter gefunden. Sie erinnern an britischen Tweed, aber auch an Geschirrtücher und somit an Hausarbeit, an Großmuttern beim Kochen und an Geborgenheit. Ist die Schürze weibliche Arbeitskleidung?

Wie bei Gorm eigentlich immer, ist die Gender-Thematik nicht außer Acht gelassen. Schürzen allerdings werden von jedermann getragen. Taschen hingegen waren ursprünglich Männern vorbehalten. Historisch gesehen waren Frauen bis ins 16. Jahrhundert von Männern abhängig, wenn es um die Aufbewahrung von Besitz in Taschen ging. Erst dann kam die Taillentasche für Frauen in Umlauf.

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Birke Gorm “all-in (check, green)” (detail), 2023. Textile, terracotta, metal, 114 × 81 × 10 cm. Courtesy of the artist and Croy Nielsen, Vienna. Foto: Kunst-dokumentation.com. // Birke Gorm “to raise to fold”, Installationsansicht, Croy Nielsen, Vienna, 2023. Courtesy of the artist and Croy Nielsen, Vienna. Foto: Kunst-dokumentation.com.

Die Tasche oder der Behälter als Konzept spielen für Gorm schon länger eine wichtige Rolle. Die Künstlerin beschäftigt sich mit Fragen zur Aufbewahrung und zum Befüllen oder Nicht-Befüllen von Form. Wofür benötigen wir unsere Taschen? Warum tragen wir manches nah am Körper? Was ist wichtiger, Tasche oder Inhalt? Das fragt auch Wilhelm Busch in seinem Gedicht „Ein dicker Sack“, welches Gorm als eine literarische Inspiration nennt. Darin streiten Sack und Korn darüber, wer von größerem Wert ist.

In der Ausstellung bei Croy Nielsen sind alle Taschen leer, wirken wie schlaffe Säcke, inhaltslos. Gorm gibt keine Antworten, liefert nur Grundlage für Interpretationsspielraum. Ihre neuen Werke sind visuell intensiv und vielschichtig. Der Gesamteindruck wirkt nicht mehr hart und urtypisch, sondern irgendwie feiner, domestiziert. Mit Blick auf das Werk der Künstlerin wirkt sie wie ein Aufbruch.

WANN: Die Ausstellung “to raise, to fold” läuft bis Samstag, den 1. Juli. Von Samstag, den 10. Juni, bis Samstag, den 17. Juni, bleibt die Galerie geschlossen.
WO: Croy Nielsen, Parkring 4, 1010 Wien.

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