In Wut vereint Rosanna Graf im Kunsthaus Hamburg
18. Dezember 2023 • Text von Katrin Krumm
In der Ausstellung „Ordinary Women – Carrier Bags of Friction“ im Kunsthaus Hamburg richtet Rosanna Graf den Fokus auf systematisch unterdrückte weibliche Wut. Ausgehend von der Theorie, dass Taschen vor Waffen das wichtigste Werkzeug darstellten, verbindet sie in ihrer Vier-Kanal-Videoinstallation verschiedene Frauenfiguren mit historischen Vorbildern durch ein kollektives Gefühl.
Starrer, neutraler Blick, die Augen in die Kamera gerichtet. Wie bei einem Fahndungsfoto werden von dem Gesicht einer Frau verschiedene Einstellungen festgehalten: zuerst frontal, dann im Profil. Eine Stimme aus dem Off urteilt: “Wenig Eigenkritik“, später: „Geringe Erlebnistiefe“ und „Hang zum Aufwand.“ Die Zitate stammen aus einer Zeitschrift, die eine selbsternannte Gesichtsanalyse der 1962 zum Mord verurteilten Vera Brühne vornahm. In einem bis heute umstrittenen Urteil wurde die damals 52-jährige Frau zu lebenslanger Haft verurteilt, da sie gemeinsam mit ihrem damaligen Partner einen Münchner Arzt und seine Freundin erschossen haben soll.
Die Referenz ist nur eine von vielen, die sich in Rosanna Grafs Ausstellung im Kunsthaus Hamburg finden lassen. In „Ordinary Women – Carrier Bags of Friction” richtet Graf den Blick auf die mediale Darstellung von Frauen, die aus ihrer jeweiligen gesellschaftlich erwarteten Rolle ausbrachen. Dafür bedient sie sich unterschiedlicher Vorbilder aus Geschichte, Popkultur, Politik und Fiktion und führt diese in einer mehrkanaligen Videoinstallation zusammen.
Im Film begibt sich die Frauengruppe gemeinsam und geleitet durch die Antagonistin, die von einer Hexe verkörpert wird, in ein leerstehendes Haus. Sie scheinen selten aus sich selbst heraus zu sprechen, genauso wenig wie sie miteinander agieren. Es sind vielmehr Zitate und Referenzen, die sie oft mit durchdringendem Blick, fast anklagend, in die Kamera vorzutragen scheinen. Die lineare Erzählform des Spukhauses steht fragmentarischen, referenziellen Monologen der Figuren gegenüber. So zitiert eine der Charaktere aus dem “S.C.U.M Manifesto” der US-amerikanischen Radikalfeministin Valerie Jean Solanas. Diese verübte später ein Attentat auf Andy Warhol, als er ihr vermehrt den Eintritt in die Factory verwehrte.
Insgesamt sind es sechs Frauenfiguren, die zwar angelehnt an Geschichten sind, aber sich immer wieder der konkreten Zuweisung versperren – Graf nennt sie: Die Schauspielerin, die Antagonistin, die Journalistin, die Heilige, das Mädchen, und eine Person, die inkognito bleibt. Ihre “gewöhnlichen Frauen” sind von den Geschichten weiblicher Wut inspiriert – von Hexen, Mörderinnen und Terroristinnen. Sie spiegeln vorallem die medialen Zuschreibungen wider, denen Frauen ausgesetzt waren.
So wurde weibliche Wut oft als affektive Verstimmung marginalisiert oder politisch motivierte Taten nicht als solche ernstgenommen. Selbst als Mörderinnen wurden Frauen auf ihr Aussehen reduziert oder ihr gesellschaftlich unkonformes Verhalten als etwas Übernatürliches inszeniert, um das Bild einer “verrückten” Frau zu legitimieren. Vera Brühe wurde von den deutschen Medien beispielsweise als “Hexe” und “blonder Teufel” betitelt, während um die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof ein ganzer “Mutter-Mythos” entstand.
In Grafs visueller Sprache geht es immer wieder um das Herausbrechen und Hervorquellen, das gewaltvolle Nach-außen-bringen von Inhalten aller Art. In einer Szene schlitzt eine ihrer Frauen den Boden auf, um eine Alraune auszugraben, in einer anderen erbricht eine der Protagonistinnen einen Parasiten, um sich dessen zu entledigen und sich somit selbst zu reinigen. Am Ende geben sie sich gemeinsam ihrer kollektiven Wut hin.
In ihrem 1986 erschienenen Essay “The Carrier Bag Theory of Fiction” schlägt Ursula K. Le Guin einen alternativen Blick auf die Anfänge der Menschheit vor. Ihrer Argumentation zufolge waren es nicht Hieb- und Stichwaffen, die zum Fortbestand und damit als wichtigstes Werkzeug galten, sondern der Akt des Sammelns und den Behältnissen, in denen die Dinge gesammelt wurden.
Bezogen auf das Erzählen von Geschichten könnte man nach Le Guin argumentieren, dass diese nicht von klassischen Held*innen getragen werden, sondern von einer Art tragendem Narrativ. Auch Rosanna Grafs Soloausstellung “Ordinary Women – Carrier Bags of Friction” entzieht sich der linearen Erzählweise um einzelne Geschichten. Dazu trägt vor allem die vage Benennung ihrer Charaktere, sowie die fragmentarische Erzählweise und das Einbinden verschiedenster Referenzen aus unterschiedlichen Jahrhunderten bei.
In ihrem Film richtet Graf den Fokus auf das Unheroische, sogar auf das ganz “Gewöhnliche”. Durch ihre Anti-Heldinnen-Erzählung schlägt sie ein Gegennarrativ vor, das sich insbesondere für ihre Protagonistinnen als befreiend erweist.
WANN: “Ordinary Women – Carrier Bags of Friction” läuft noch bis Sonntag, den 07. Januar 2024.
WO: Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15, 20095 Hamburg.