Erden und erden lassen
Gruppenausstellung "Goddesses of Healing" von M.Bassy und Âme Nue

19. November 2021 • Text von

M.Bassy und Âme Nue präsentieren mit “Goddesses Of Healing” Videoarbeiten von Lorna Simpson, Berni Searle und Buhlebezwe Siwani. Ende November wird die Ausstellung in den Räumlichkeiten der Frappant e.V um eine Arbeit von Tabita Rezaire ergänzt. Die Künstlerinnern widmen sich dem kollektiven Trauma, das früher bis heute von Schwarzen Menschen bewältigt werden muss. Sie zeigen eindrücklich, wie fremdbestimmt sich Schwarze Identität entwickelt hat. Bei Kerzenschein, Pfeifen und Wassertropfen regen die drei Arbeiten einen heilenden Prozess an.

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Installation view, “Goddesses Of Healing”, M.Bassy. Berni Searle, “Snow White”, 2001, Double Projection Video Installation, Synchronized, Sound, 9 min.// Buhlebezwe Siwani, “AmaHubo”, 2018, 3-Channel Digital 4K Projection Video Installation, Sound, 13 Min, 1 Sec. Photo: Björn Lux.

Ein hoher und mal tiefer gepfiffener Ton wandert durch die stuckverzierten Räume der M.Bassy. Er erzeugt direkt eine Stimmung, die zwischen Trauer und Besinnlichkeit schwankt. Auf eine Weise sind es niedliche kindliche Töne, aber sie tragen eine schmerzliche Verzweiflung in sich. Der hölzerne Parkettboden und der verschnörkelte Kamin in der Ecke machen es wohnlich. Draußen ist es kalt, hier brennen die Kerzen auf dem Kaminsims.

Staunend im Kreis gedreht lässt sich der Ursprung des Pfeifens schnell finden. Der erste Raum ist dunkel. Die Leinwand zeigt Lorna Simpsons Arbeit „Cloudscape“. Es ist ein Schwarzer Mann im Anzug zu sehen. Er steht einfach da, in dunkler unbestimmter Umgebung und pfeift sein geheimnisvolles Lied. Um ihn herum ziehen Nebelschwaden auf, verdecken seinen Körper teilweise gänzlich und ziehen wieder ab. Ein semitransparentes Bild ergibt sich. Mit aufziehendem Dunst löst sich der Mann optisch vom Boden, sodass er ebenso gut im Himmel zwischen den Wolken verortet werden könnte.

Lorna Simpson, Cloudscape, 2004_at_M.Bassy
Lorna Simpson, “Cloudscape”, 2004 Single-channel video installation, black and white, sound, looped, Copyright by Lorna Simpson – Courtesy the artist and Hauser & Wirth. Photo: Björn Lux.

Lorna Simpsons Arbeit ist in Schwarz-Weiß gehalten und wird, anders als die anderen beiden Arbeiten, deren Anfang und Ende klar auszumachen ist, in einer ununterbrochenen Schleife gezeigt. Das Video bedrückt, da es das schwerwiegende Schweigen über die ewige Halbsichtbarkeit des Schwarzen Körpers und der Schwarzen Identität derart reduziert und pointiert ins Bild setzt. Die afro-amerikanische Künstlerin destilliert mit dieser Arbeit die allgegenwärtige Isolation und Benachteiligung Schwarzer Menschen heraus. Sie kämpfen seit jeher und bis heute für Akzeptanz und ein Zugehörigkeitsgefühl. Dem pfeifenden Mann gegenüberstehend wirkt diese Isolation unmittelbar.

Die zweite Arbeit „Snow White“ von Berni Searle zeigt die in Kapstadt geborene Künstlerin selbst auf zwei hintereinander arrangierten Leinwänden. Auf der einen sieht man sie frontal und auf der anderen aus der Vogelperspektive. Sie kniet nackt auf dem Boden und wird von oben angestrahlt, sodass sich ein Lichtkreis in die Dunkelheit um sie herum frisst. Sie ist von Mehl berieselt und umgeben. Mit ihren Händen hinterlässt sie kreisend Muster im Mehl, sie hinterlässt Spuren. Laute Tropfen fallen von oben herab und das Mehl verändert in Verbindung mit dem Wasser und ihren Armbewegungen seine Konsistenz.

Berni Searle, SNOW WHITE, 2001_at_M.Bassy
Berni Searle, “Snow White”, 2001, Double Projection Video Installation, Synchronized, Sound, 9 min., Installation view at M.Bassy, Commissioned by the Forum for African Arts for the Exhibition Authentic/Ex-Centric, 49th Venice Biennale, Italy, Courtesy the Artist and Stevenson Gallery. Photo: Björn Lux.

Diese zwei bescheidenen Zutaten ermöglichen es ihr, zu backen, also ein existenzielles Handwerk auszuüben. Auf der Erde sitzend und in einem rituellen Kneten sich selbst erdend, erscheint der backende Mensch in vollkommenem Einklang mit sich selbst und der Natur. Sieht man sich das Video die ganzen neun Minuten in der Draufsicht an, empfindet man es fast als unangenehm. Das Perspektivenspiel konfrontiert Besucher*innen mit der eigenen Position und verdeutlicht, dass die Augenhöhe ein soziales Wohlgefühl gibt.

Zwischen Searles beiden Leinwänden hindurchgehend erstreckt sich im angrenzenden Raum die nächste Videoarbeit „AmaHubo“ von Buhlebezwe Siwani. Diese aus drei Leinwänden bestehende Arbeit erzeugt einen kaleidoskopartigen Effekt, der Betrachter*innen in ländliche Regionen Südafrikas saugt. Die identischen, aber parallel gezeigten Videos umschlingen einen und werden von poetischen Worte Christie van Zyls sprachlich untermalt. Ihre gesprochenen Worte wechseln zwischen Englisch und isiZulu, eine Bantusprache, die vorwiegend in Südafrika gesprochen wird. Sie sticht akustisch besonders durch ihre Klicklaute heraus. Allein sprachlich wird hier bereits ein Spannungsfeld von regionaler Tradition und internationaler Moderne eröffnet.

Berni Searle, “Snow White”, 2001, Double Projection Video Installation, Synchronized, Sound, 9 min., Installation view at M.Bassy, Commissioned by the Forum for African Arts for the Exhibition Authentic/Ex-Centric, 49th Venice Biennale, Italy, Courtesy the Artist and Stevenson Gallery. Photo: Björn Lux.

Es entstehen wunderschöne Bilder, wenn die Gruppe Schwarzer Frauen in weißen Gewändern durch das ausgedörrte Land streift und sich im Kreis formatiert. Der Boden ist staubig trocken, landwirtschaftliche Maschinen haben ihre Muster in ihn gekratzt. Zu sehen sind Bilder des Zusammenhalts, aber gleichzeitig der gemeinsamen Einsamkeit.

Das Video besteht aus dreizehn intensiven Minuten, in denen die Künstlerin, die selbst als Heilerin praktiziert, zeigt, wie die afrikanische Spiritualität vom einziehenden Christentum dämonisiert wurde. Das Thema der Religiosität wird neben der dreiteiligen, an ein Triptychon erinnernde Anordnung der Leinwände auch in den zeremoniellen rituellen Bewegungen der Frauengruppe thematisiert. Diese Bilder schaffen ein Bewusstsein dafür, wie viele Schwarze Menschen sich ihrem Grundbesitz, Glauben und ihren Traditionen beraubt fühlen müssen.

Auch die traumatisierenden Gewalttaten von Weißen, speziell gegenüber Schwarzen Frauen, werden in dem Video performativ inszeniert. Zusammenstehend fallen die Frauen der Reihe nach auf den Boden. „We used to rawr like lions.“, wiederholt die eindringliche Stimme Van Zyls. „Stomping the darkness out of our roots.“ Mit Holzstöcken stampfen die Frauen auf die Erde, bis der Staub aufwirbelt. Diese wehrhaften Gesten der Frauen verdeutlichen, dass sie nicht müde werden gegen Ungerechtigkeiten anzukämpfen.

Buhlebezwe Siwani, AMAHUBO, 2018_at_M.Bassy
Buhlebezwe Siwani, “AmaHubo”, 2018, 3-Channel Digital 4K Projection Video Installation, Sound, 13 Min, 1 Sec, Courtesy the artist. Photo: Björn Lux.

In dem titelgebenden Begriff „AmaHubo“ referiert Siwani auf eine Psalm Passage, die die Wichtigkeit von Selbstliebe und einem Gott, der in jedem selber wohnt, betont. Die Künstlerin formuliert in ihrer Arbeit das Ziel, diese geraubte Selbstliebe zurückzuerlangen. Dem Thema des kollektiven Traumas eines ganzen Landes kann besonders aufgrund der raumgreifenden Installation der Arbeit nicht ausgewichen werden.

„Goddesses of Healing“ schafft in drei Räumen drei verschiedene Zugänge zu Schwarzer Realität. Die Videoarbeiten laden Besucher*innen keine Last auf, sondern wirken auf ruhige und nicht aufdringliche Art und Weise nach. Und was am Wichtigsten ist: sie stimmen hoffnungsvoll. Trotz unzähliger Erschütterungen, Demütigungen und Ungerechtigkeiten, mit denen sich Schwarze Menschen konfrontiert sehen, überwiegt am Ende die Willensstärke und Unermüdlichkeit im Kampf gegen den Rassismus. Diese Aussage, die Aussicht auf Heilung, wird hier klar formuliert. Die Ausstellung lässt Besucher*innen die nötige Zeit, sich auf die Arbeiten einzulassen, sie wirken und einsickern zu lassen. 

Am 27. und 28. November wird die Ausstellung um eine Videoarbeit von Tabita Rezaire erweitert. Die Künstlerin wählt kontrastierend zu den hier besprochenen Werken einen farbintensiven poppigen Zugang zum Thema. Gezeigt wird ihre Arbeit in den Räumlichkeiten der Frappant e.V..

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 12. Dezember. Das Screening von Tabita Rezaires Arbeit findet Samstag und Sonntag, den 27. und 28. November, statt.
WO: M.Bassy e.V., Schlüterstrasse 80, 20146 Hamburg und Frappant e.V, Zeiseweg 9, 22765 Hamburg.

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