Widerständiger Schweiß
"Sweat" im Haus der Kunst

18. Juni 2021 • Text von

Mit dem Schweiß als Sinnbild körperlichen Ausdrucks präsentiert „Sweat“ Generationen und Nationen übergreifende Geschichten von Körpern im Widerstand. Bewegung, Tanz und Kritik an starren Systemen vereint die gezeigten Positionen. Ihre Forderungen sind omnipräsent, nicht nur auf der Straße als der Ort, wo Körper auf Freiheit insistieren.

Portrait von Zadie Xa mit Maske auf einem Fels
Zadie Xa, Child of Magohalmi and the Echoes of Creation, 2019. Photo: Benito Mayor Vallejo.

Schweiß als Zeichen, dass man am Leben ist. Das Ausstellungsthema könnte nach Monaten des heruntergefahrenen Soziallebens kaum besser das Bedürfnis nach Lebendigkeit aufgreifen. Nach Bewegungsfreiheit, Exzess und intensiver körperlicher Berührung. Es geht um bewegte Körper; In den Werken von Jacolby Satterwhite, António Ole, Santiago Reyes, Isaac Julien und Eisa Jocson wird der Tanz zum bestimmenden Ausdrucksmittel. In den überwiegend installativen Werken geht es aber ebenso um Körper in Bewegung in einem weiteren Sinne. Sie alle drängen darauf, identitätspolitische Grenzen in Bezug auf Sexualität, Geschlecht und Herkunft zu Schwellen zu machen. 

Videostill von Jacolby Satterwhites Installation im Haus der Kunst
Jacolby Satterwhite, Still from “We Are In Hell When We Hurt Each Other”, 2020, HD color video and 3D animation with sound, 24:22 min. © Jacolby Satterwhite Courtesy of the artist and Mitchell-Innes & Nash, New York.

In der Mittelhalle im Haus der Kunst, dort wo früher das Format „Der Öffentlichkeit“ von den Freunden Haus der Kunst wechselnde Einzelpräsentationen kostenfrei zugänglich machte, hat der amerikanische Künstler Jacolby Satterwhite ein eindrucksvolles Nachtclub-Environment geschaffen. Tanzende Avatare in hybriden Science-Fiction Landschaften singen vom Paradies und dem Sieg der Liebe in der Welt. In der Ästhetik verschmelzen Musikvideo, Computerspiel und Realität. Die starke Videoarbeit mit tanzbarem Sound und Discokugel ist ein großartiger Auftakt der Ausstellung. Der Dancefloor ist eröffnet.

T-Shirts des Künstlers Santiago Reyes mit von Schweiß verschmierter Aufschrift nach seiner Performance Dancing Southward
Installationsansicht mit Werken von Santiago Reyes, Haus der Kunst, 2021. Foto: Maximilien Geuter.

Der aus Ecuador stammende Künstler Santiago Reyes macht die körperliche Spur von Schweiß in seiner Performancereihe „Dancing Southward“ besonders eindringlich. Ein Video dokumentiert, wie er an acht Tagen vom Haus der Kunst ausgehend Richtung Süden durch den öffentlichen Raum tanzte. Dabei trug er T-Shirts mit der Aufschrift „Was ich ertanzt habe, kann mir keiner nehmen“, deren Buchstaben langsam von seinem Schweiß getränkt zu einem Batik-ähnlichem Farbverlauf verschwimmen. Angefangen in Hanoi 2016, hängen die T-Shirts in verschiedenen Sprachen in der Ausstellung und zeugen von seinem öffentlichen Tanzakt in den Straßen der Städte.

Fotografien von Tabita Rezaire der Serie Inner Fire
Tabita Rezaire, Inner Fire: BBHMM, 2016, Diasec print (li.) und Inner Fire: Bow Down, 2017, Diasec print (re.).

Von der 1989 in Frankreich geborenen Tabita Rezaire wird die lebensgroße Selbstportrait-Serie „Inner Fire“ präsentiert, die über popkulturelle Elemente und provokante Slogans westlich geprägte Bildstereotypen aus dem Internet aufdeckt. Die fünf Bilder verkörpern jeweils archetypische Zuschreibungen von Schwarzen Frauen in Bezug auf Rasse, Sex, Spiritualität, Technologie und Einkommen und zeigen auf, wie sich diese Narrative auf die eigenen und kollektiven Imaginationen und Identitäten auswirken. Mit ihrer eingängigen Bildsprache verdeutlicht Rezaire dekoloniale Forderungen und spielt mit den Ästhetiken des Cyberfeminismus und Afrofuturismus.

Zadie Xas Textilarbeiten und Masken der Göttin Magohalmi
Installationsansicht mit Werken von Zadie Xa, Haus der Kunst, 2021. Foto: Maximilien Geuter.

Bewegung als Fluidität veranschaulichen die Werke der in Kanada als Tochter einer südkoreanischen Einwanderin geborenen Künstlerin Zadie Xa. Ihre Textilarbeiten und Masken sind Relikte früherer Performances, in denen sich traditionelle südkoreanische Mythologie und Popkultur vermischen. Die eigene Identität sowie der Übergang zwischen Natur und Kultur werden zu fließenden Inszenierungen. Der Göttin Magohalmi kommt darin besondere Bedeutung als Schöpferin von geografischen Landschaftsformationen zu als auch dem Ozean, der traditionell als Ursprung des Lebens auch für das Unbekannte steht.

Installation von Daniel Lind-Ramos mit unterschiedlichen Tanzutensilien aus Puerto Rico
Daniel Lind-Ramos, Con-junto (The Ensemble), 2015. Photo: Pierre Le Hors.

Unter der gemeinsamen Klammer des Widerstandes gegenüber traditionellen gesellschaftlichen Konventionen – der sehr schweißtreibend sein kann – versammelt „Sweat“ Werke 30 künstlerischer Positionen. Auf der Pressekonferenz bezeichnete der künstlerische Direktor Andrea Lissoni die Ausstellung als „game-changing“. In jedem Fall verdeutlicht die internationale Zusammenstellung gleichzeitig die Komplexität verschiedener Lebensrealitäten und dass die Fragen der Gegenwart in Bezug auf individuelle Freiheit, Teilhabe und Ausgrenzung doch sehr ähnlich sind.

WANN: Die Ausstellung „Sweat“ ist bis Sonntag, den 9. Januar, zu sehen.
WO: Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, 80538 München.

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