Die Schönheit der Schabe
Gerrit Frohne-Brinkmann bei 14a

21. Juli 2023 • Text von

Sie sind nicht ausschließlich Pflanze und nicht richtig Tier, auf ihrem Speiseplan stehen Raupen und Fliegen. Fleischfressende Pflanzen wirken außerirdisch, kaltblütig verlocken sie ihre Opfer. Gerrit Frohne-Brinkmann würdigt mit seiner ersten Solo-Show “Appeal to Nature” bei 14a unterschätzte Kreaturen, die den Menschen wohl überleben werden. Eine Show über ungeliebtes Ungeziefer am Pool und zähnefletschende Pflanzenmäuler.

14a Gerrit Frohne Brinkmann Installation View  Appeal to Nature 2023 V
14a, Gerrit Frohne-Brinkmann, Installation View, “Appeal to Nature”, 2023. Photo: Volker Renner.

Wie die Hühner auf der Stange stehen sie auf einer langen Fensterbank. Ihre krallenähnlichen Blätter strecken sich über den Rand ihres Topfes, sie strecken ihre Rüssel in die Luft und fletschen die Zähne. Jede von Gerrit Frohne-Brinkmanns fleischfressenden Keramikpflanzen der Serie “Carnivores” hat einen eigenen Charakter. Sie sind verschieden groß, erinnern an dicke, warzige Kröten oder kleine Dinosaurier mit spektakulärer Halskrause.

Fleischfressenden Pflanzen haftet nicht nur hin und wieder ein Insekt, sondern auch ein ungeheuerlicher Ruf an. Sie sind faszinierend, weil sie so unwirklich scheinen. Sie kleben, schnappen, senden verlockende Duftstoffe aus oder sind eine Fallgrube, aus der es kein Entkommen mehr gibt. Mit ihren Erlenmeyerkolben-Körpern sind sie die Verkörperung einer toxischen Beziehungsfalle, ein mehrgesichtiges Objekt der Begierde, der “Bad Boy” unter den Pflanzen – außen wunderschön, innen lauert das giftige Sekret. Auch Frohne-Brinkmanns keramischen Fantasiepflanzen ziehen die Blicke auf sich, saugen Besucher*innen an wie die Fliegen. 

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Gerrit Frohne-Brinkmann: “Carnivore”, Glazed ceramics, 20x19x18cm, 2023. Photo: Volker Renner.

Sie haben sich schick gemacht, einige tragen knallroten Lippenstift und sie freuen sich über jedes ihrer Opfer, winken es mit einem aufgestellten Blatt freundlich herbei, bezirzen es mit reizendem Wimpernschlag. Sie bilden eine kommunikative Truppe, biegen und krümmen sich in verschiedenste Richtungen, strecken ihre langen und kurzen Hälse aus, flüstern sich scheinbar ihre tückischen Pläne zu. Man meint sie, ihre tiefen, belustigten und kreischenden Stimmen hören zu können, ihre verschiedenen Wesen kennenzulernen.

Die Faszination fleischfressende Pflanze wuchs in Frohne-Brinkmann aufgrund ihrer ur- und gleichzeitig endzeitlichen Erscheinung heran, ihr Dasein im Dazwischen der Lebensarten fasziniert den Künstler. Auf Wesen allgemein, die der Mensch überwiegend unterschätzt, denen gegenüber er sich überlegen fühlt, möchte er würdigen. Die fleischfressenden Pflanzen haben wohl bessere Überlebenschancen auf diesem Planeten als der Mensch, wenn er sie denn lässt. Hier, im Halbschatten der rosa Jalousie bei 14a geht es ihnen prächtig, sie zeigen sich von ihrer besten, ihrer magischen Seite und der Wunsch, diese Kreaturen, ihre korallischen Verwandten im Meer zu schützen, sie mitzudenken, bleibt an Besucher*innen haften wie die dicke Stubenfliege im Maul der Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula).

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Gerrit Frohne-Brinkmann: “Carnivore”, Glazed ceramics, 28x13x12cm, 2023. Photo: Volker Renner.

Neben den “Carnivores” zeigt Frohne-Brinkmann bei 14a seine Polaroidfotografien. Im nebeneinander der vielen Polaroids entsteht ein großes Bild, das vom weißen Rand der einzelnen kleinen Bilder von einem weißen Raster durchzogen wird. Die Kacheloptik erinnert an eine kaleidoskopische Insekten-Optik. Durch die Augen einer Fliege ist in jedem Bild der Werkreihe “Roach Retreat” eine Kakerlake zu sehen, die auf der geflochtenen Lehne eines Möbelstückes am Pool sitzt. Die Kakerlake trägt einen Rucksack aus Platinen und Kabellage, mit dem Pool und dem von Fäden durchzogenen Wasser referiert das Sujet auf David Hockneys berühmte Pool-Paintings. 

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14a, Gerrit Frohne-Brinkmann, Installation View, “Appeal to Nature”, 2023. Photo: Volker Renner.

Die ungeliebte Kakerlake ist ebenso wie die fleischfressende Pflanze maßlos unterschätzt und zudem von einem Ekel-Image verfolgt. Doch als Ungeziefer gilt, was besonders widerständig ist. Die Kakerlake kann unbeschadet in Umgebungen herumkrabbeln, die für den menschlichen Organismus lebensbedrohlich wären. Mit dem Rucksack aus Messtechnik erkundet sie für Forschungszwecke radioaktivverseuchte oder Erdbebenregionen, erfasst dabei Daten, die menschliches Überleben sichern können. “Cyborg Cockroaches” finden bei YouTube und mit “Appeal to Nature” eine rufrettende Plattform. 

14a Gerrit Frohne Brinkmann Roach Retreat I Fujifilm Instax Wide (framed) 56x144cm 2023
Gerrit Frohne-Brinkmann: “Roach Retreat”, Fujifilm Instax Wide (framed), 56x144cm, 2023. Photo: Volker Renner.

An der Stelle des jungen Mannes bei Hockney setzt Frohne-Brinkmann das ungeliebte Tier, den technischen Hybrid, er collagiert Hockney-Pool und Kakerlakenbild digital, fotografiert anschließend die einzelnen Teile des digitalen Bildes vom Computerbildschirm mit der Polaroidkamera ab und setzt es wieder zusammen – vom digitalen zum analogen. Ein surreales Bild entsteht, eines mit dystopischer Aura, wie ein post-apokalyptischer Planet, auf dem die menschliche Hand nur noch in der verlassenden Poolanlage zu erahnen ist. 

Mit “Appeal to Nature” bei 14a ändert sich die Sichtweise auf Schabe, Schlauch- und Kannenpflanze. Frohne-Brinkmann holt ihre besonderen Fähigkeiten aus dem Off des kollektiven Gedächtnisses. Ungeziefer und nicht-vegane Pflanzen gehören nicht gehasst, sie gehören gepriesen, ihnen liegt die Welt viel mehr zu Füßen als dem Menschen. Bitte nicht mit Füßen treten. 

WANN: “Appeal to Nature” läuft noch bis Samstag, den 29. Juli. 
WO: 14a, Poolstraße 34, 20355 Hamburg. 

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