Gallery Weekend Berlin 2021
Dieses Jahr ist alles anders

27. April 2021 • Text von

Von wegen Stößchen. Statt Weißwein vor Ort gibt es beim Gallery Weekend Berlin 2021 Einblicke via Zoom. Weil es ja aber nicht nur um fröhliches Getummel, sondern vor allem um gute Kunst geht, sind wir nur ein bisschen bedröppelt. Exzellente Ausstellungen gibt es nämlich selbstverständlich auch in diesem Jahr. Wie immer haben wir unsere Favoriten für euch zusammengestellt.

Skulptur von Kayode Ojo. Zwei Stühle stehen sich auf einer Spiegelfläche gegenüber, beide mit identischen Kleidungsstücken in Rostrot bedeckt.
Kayode Ojo: “L’Amant Double (Vienna)” (2020), 115 x 183 x 60 cm (45 1/4 x 72 1/8 x 23 5/8 in). Courtesy of the artist and Sweetwater. Photograph by kunst-dokumentation.com.

Es ist jetzt gut eineinhalb Jahre her, dass die Galerie Sweetwater mit einer Ausstellung von Kayode Ojo ihre Türen öffnete. Jetzt ist sie in neue Räumlichkeiten umgezogen und irgendwie ist es nur konsequent, dass diese erneut der amerikanische Künstler einweihen darf. Stahl, Spiegel und Strass sind bei seinen Skulpturen garantiert. Das ist visuelle Verführung, da kann man sich nicht gegen wehren. Doch – auf die Gefahr hin, jetzt ein bisschen nach Poesiealbum zu klingen – Lasst euch nicht von der Oberfläche blenden. Echt kostspielig sind Ojos Glamour-Materialien nämlich nie. Ein vorzügliches Spiel mit dem schönen Schein!

Sweetwater, Leipziger Str. 56-58, 10117 Berlin.

Edition von Gerrit Frohne-Brinkmann zeigt ein altes Windows-Pop-up-Fenster. Der Text: "kindly check the attached LOVELETTER coming from me".
Gerrit Frohne-Brinkmann: ILOVEYOU, 2021. Inkjet print, framed. 45,7 x 61 cm. Unlimited edition.

Eine E-Mail aus einer anderen Zeit: “kindly check the attached LOVELETTER coming from me”. Gerne doch, vor allem wenn er von Gerrit Frohne-Brinkmann kommt. Einzig, dieser Liebesbrief ist nicht, was er zu sein verspricht. Frohne-Brinkmann nimmt in seiner Ausstellung “ILOVEYOU” Bezug auf den sogenannten “Love Bug”, ein Virus, der im Jahr 2000 an über 10 Millionen Windows-Nutzer*innen versandt wurde. In der Galerie Noah Klink infiziert der Virus Rechner, die auf pinkfarbenem Teppich gebettet den Raum einnehmen. Macht nostalgisch und sensibilisiert vielleicht für verdächtige E-Mail-Anhänge.

Galerie Noah Klink, Kulmer Str. 17, 10783 Berlin.

Roboter-Skulpture von Geuhmyung Jeong.
Geuhmyung Jeong: Upgrade in Progress, installation view, Fondazione Modena Arti Visive, 2020. Photo: Rolando Paolo Guerzoni.

Dem Ausstellungstitel nach finden hier Wartungsarbeiten statt. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, dass alles, was im Rahmen von Geumhyung Jeongs Solo-Show “Under Maintenance” bei Klemm’s zu sehen ist, ganz genau so soll. Ferngesteuerte Roboter vermenschlicht mit Teilen von Schaufensterpuppen und Medizin-Dummies bevölkern den Ausstellungsraum. Wie lebendig kann so eine mechanische Kreatur eigentlich sein? Dies gilt es dringend herauszufinden.

Klemm’s, Prinzessinnenstraße 29, 10969 Berlin.

Keramik von Monika Grabuschnigg. Wie in einer Höhle sitzen menschenartige Körper allein und ineinander verschlungen.
Monika Grabuschnigg: detail from “Echoes of Ultraviolet Rays”, 2020. Glazed ceramic. Courtesy DOCK 20 – Kunstraum und Sammlung Hollenstein. Image Miro Kuzmanovi.

Aggressiver Optimismus, das ist doch eine Haltung, mit der sich die Gegenwart womöglich bestreiten ließe. Horse & Pony versorgt uns mit einem ordentlichen “Hell, Yes!” in Gestalt einer gleichnamigen Show. Ich sag’s, wie es ist, Space und Macher sind so super, da bin ich voreingenommen. Die Gruppenausstellung versammelt mit Christa Joo Hyun D’Angelo, Cheryl Donegan, Monika Grabuschnigg, Ryan McNamara, Jennifer Sullivan, Derick Decario und Ladale Whitson aber auch eine starke Truppe, deren Arbeiten gesehen werden wollen. Auch wenn die Ausstellung nicht im offiziellen Programm des Gallery Weekends ist: eine echte Empfehlung!

Horse & Pony, Altenbraker Str. 18, 12053 Berlin.

Drei Gemälde von Andi Fischer hängen in der Galerie Åplus.
Andi Fischer: “TaTa ongart”, Installationsansicht, Åplus, 2021. Courtesy of Åplus.

Wenn vermeintlich naiv gemalt, dann doch vorzugweise Andi Fischer. Auf ihn können sich auch Kritiker*innen der Kritzelkunst einigen und das mit gutem Grund. Er malt einfach auf die exzellenteste Weise schlecht. Keine Ahnung, ob das 2021 noch Provokation ist, wenn man den Strich aufs Wesentliche reduziert. Fischers Arbeiten machen Laune. In jeder einzelnen steckt Witz und – sofern man sich denn drauf einlässt – auch ordentlich Narrativ. Da werden Berge versetzt, es wird sich ins Haifischbecken begeben. Nur zum Löwen im Vorgarten fällt mir jetzt auf Anhieb kein Sprichwort ein. Fischers Ausstellung bei Åplus heißt jedenfalls “TaTa ongart” und ist absolut empfehlenswert.

Åplus, Stromstraße 38, 10551 Berlin.

Skulptur von Thomas Liu Le Lann, ein Stoffhase mit sehr langen Beinen lehnt an einer Wand, Ohren verdecken das Gesicht.
Thomas Lui Le Lann: Ziwen III, 2020. Jersey, vinyl, faux fur, pvc, polyester wading. Unique240 x 40 x 12 cm. Courtesy DITTRICH & SCHLECHTRIEM, Berlin. Copyright Thomas Liu Le Lann. Photo, Jens Ziehe.

Ein bisschen ramponiert sieht der Hase aus, vielleicht macht er auch nur Pause – wer könnt’s ihm verdenken. Die Stoffpuppe von Thomas Liu Le Lann lehnt irgendwie lädiert im Raum, die Löffel sind dem Tier vors Gesicht gesunken. Soft-Heroes, so nennen sich die langbeinigen Figuren des Künstlers, die im Rahmen der Ausstellung „MILO“ bei Dittrich & Schlechtriem zu sehen sind. Dazu gibt es Bilder (Vinyl auf Plüschsamt), eine Skateboard-Pyramide, eine „Frotteehummerscheere“ und einen aus Glas geblasenen Riesenschnuller. Wer jetzt nicht schon restlos begeistert ist, hat die Schau nicht verdient.

Dittrich & Schlechtriem, Linienstraße 23, 10178 Berlin.

Malerei von Agnes Scherer. Zu sehen ist ein Mensch mit Hammer in der Hand von den Schultern aufwärts.
Agnes Scherer, Ausstellungsankündigung „My refuge, my treasure, without body, without measure“, ChertLüdde, 2021 (Detail).

Wenig ist schöner, als wenn Kunst den gesamten Ausstellungsraum in Beschlag nimmt und genau das ist bei Agnes Scherer zu erwarten. “My refuge, my treasure, without body, without measure” bei ChertLüdde ist eine ortsspezifische Installation. Malerei und Skulptur in heiteren Farben verschmelzen zu gar nicht mal so heiteren Szenarien. Das Düstere erschließt sich auf den zweiten Blick. Irgendwo zwischen Versuchung und Gefahr tut sich womöglich Offenbarung auf und die wollen wir uns selbstverständlich nicht entgehen lassen. Das Ende der Geschichte? Offen, vor allem offen für Interpretation.

ChertLüdde, Ritterstraße 2A, 10969 Berlin.

Detailansicht einer Skulptur von Sofia Hultén. Ein Stück Jeansstoff ist über eine Metallkonstruktion gestülpt.
Sofia Hultén, „Super Call Me Fragile Ego“ (detail), 2021. Courtesy of the artist and Daniel Marzona, Berlin.

Jeans weht im Wind: Das ist Sofia Hultén, also eine ihrer Arbeiten. Für eine Serie kinetischer Skulpturen hat die Künstlerin Second-Hand-Hosen an Straßenmasten befestigt und so wehen die Denim-Beine denn nun durch die Galerie Daniel Marzona. “Super Call Me Fragile Ego” lautet der großartige Ausstellungstitel, der Männlichkeitsbilder direkt adressiert, ohne die Dinge beim Namen zu nennen. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Bei Hulténs Skulpturen geht es um britische Skin-Head-Kultur und Upskirting, um Hohlheit und Eitelkeit kindlicher Ideologie. Eine weitere Werkserie nimmt den Wiederaufbau eines niedergebrannten Familienhauses in den Blick.

Daniel Marzona, Marienstraße 10, 10117 Berlin.

Figur in grau von Anna Uddenberg.
Anna Uddenberg: Courtesy of Anna Uddenberg; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin.

Was haben Spiritualität und Selbstinszenierung gemeinsam? Oftmals trieft beides von Konsum-Kultur. Und darum geht es unter anderem bei Anna Uddenbergs Ausstellung “Big Baby” bei Kraupa-Tuskany Zeidler. Die Künstlerin lässt sich inspirieren von Identitätsperformances in digitalen Sphären. Sie nutzt in ihrer Arbeit Symbole von Klassenzugehörigkeit und sexuelle Anspielungen. Zu erwarten: ein Schwung neuer Skulpturen, grandios wie die, die wir schon kennen.

Kraupa-Tuskany Zeidler, Kohlfurter Str. 41/43, 10999 Berlin.

Grüne Skulptur von Samson Young.
Samson Young: Support Structure # 7, 2019, 3D-printed nylon, 25.4 x 25.4 x 11.5 cm / 10 x 10 x 4.5 inches © the artist. Courtesy Galerie Gisela Capitain, Cologne and Capitain Petzel, Berlin.

Ein bisschen wie Ruinen aus der Zukunft wirken die Arbeiten, die Samson Young bei Capitain Petzel zeigt – in Neonfarben, feingliedrig und klar erkennbar per 3D-Drucker in die Welt geworfen. “Seltsame Landschaften” oder “versunkene Baukunst”, so beschreibt Young selbst die Werke. Vormals stützende Strukturen für andere Arbeiten dürfen sie jetzt ganz für sich allein stehen. Der Künstler findet: viel schöner als geplant. Schön sind sie wirklich, da kann ich mich anschließen. Außerdem zu sehen: ein neues Werk, “DAO35”, entstanden extra für die Ausstellung im Studio, sowie die audiovisuelle Arbeit “Screensaver”.

Capitain Petzel, Karl-Marx-Allee 45, 10178 Berlin.

Ashley Hans Scheirl: Goldfinger, 2019. Acryl auf Leinwand, 160 x 240 cm. Ashley Hans Scheirl: Fist, 2018. Bedruckte Folie auf Alu-DiBond, 320 x 107 cm. Photo: Matthias Bildstein, Wien.

Ashley Hans Scheirl wird gemeinsam mit ihrer Partnerin Jakob Lena Knebl den österreichischen Pavillon bei der Venedig Biennale 2022 bespielen. Passend zur News zeigt nun die Galerie Crone Arbeiten der Künstler*in im Rahmen der Ausstellung “Currencies of De*Capital Delirium”. Wenn die Schau hält, was die Pressemitteilung verspricht, erwartet uns ein ästhetisches wie inhaltliches “Auf die Fresse”. Malereien, Skulpturen und Zeichnungen erzählen von “Konsum und Sinnsuche, Restriktion und Freiheit, Gier und Entsagung, Exzess und Vereinsamung, Aufbegehren und Resignation, Identität und Transformation, Geschlecht und Hierarchie, individueller Lebensentwurf und globale Verwerfungsökonomie”. Was ist das für eine Welt, die da entworfen wird? Sie ist absurd, vielleicht obszön, voll von Humor, vielleicht etwas chaotisch und definitiv fantastisch. Da führt kein Weg dran vorbei.

Galerie Crone, Fasanenstraße 29, 10719 Berlin.

Gif einer Hologramm-Arbeit von Aleksandra Domanovic.
Aleksandra Domanović: Worldometer 1, 2021. Courtesy of the artist and Tanya Leighton, Berlin. Photography: Gunter Lepkowski.

Dem nur schwer Vorstellbaren eine Form geben, das ist gar nicht so einfach. Aleksandra Domanović hat sich dennoch daran versucht. Bei Tanya Leighton gibt es ihre “Worldometers” zu sehen. Holografische Projektoren bringen den Galerieraum zum Flirren. Wie Ton auf einer Töpferscheibe blinken Bilder, kaum erschienen, schon verschwunden. Dass eine Rilke-Lesegruppe Domanović zu ihrer Arbeit inspiriert hat, scheint da erstmal ganz schön weit weg. Doch genau die gab der Künstlerin Halt während der Pandemie. Dort wurden gemeinsam Gedanken geordnet, so wie die Website “Worldometer” mit Echtzeitstatistiken Flüchtiges für den Moment fixiert. In Bewegung bleiben die Dinge dennoch unaufhaltsam. Das kann Angst machen – oder beruhigen.

Tanya Leighton, Kurfürstenstraße 25, 10785 Berlin.

Öffentliche Touren durch die Galerien, die offiziell Teil des Programms sind, gibt es per Zoom am Samstag, den 1. Mai, und am Sonntag, den 2. Mai. Zugang ohne vorherige Anmeldung zu jeder Zeit. Hierlang zu den Gallery Weekend Live Tours.

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