Wann fängt die Zukunft an?
Klára Hosnedlovà bei Kraupa-Tuskany Zeidler

6. Januar 2021 • Text von

In Klára Hosnedlovàs Ausstellung bei Kraupa-Tuskany Zeidler kann man der Zukunft beim Entstehen zusehen. “Nest” ist ein rares Statement der Zuversicht in wilden Zeiten, in denen dystopische Erzählungen den Diskurs bestimmen.

Arbeiten von Klára Hosnedlová bei Kraupa-Tuskany-Zeidler.
Exhibition View, Nest, Klára Hosnedlová, Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin, 2020. Photo: def image. Courtesy: the artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin.

Als ich die Ausstellung von Klára Hosnedlovà bei Kraupa-Tuskany Zeidler betrete, kommt es mir vor, als sei ich in eine neue Schicht von Realität geschlüpft, die sich etwas näher an meiner Vorstellung davon befindet, was Zukunft ist. Eine Landschaft aus hellgrauem Beton öffnet sich dem Auge, so weich und konturlos, dass das Eintreten in den Raum eher eine Gleitbewegung ist. Eine bizarre Glaskonstruktion schwebt zwischen Decke und Boden und scheint durch Lichtstöße mit den Betrachtenden zu kommunizieren. In der Mitte des Raumes ist eine Art Tisch aufgebahrt, der in seiner Präzision an chirurgische Eingriffe erinnert. Pilze wachsen darin, als hätte die Natur in diesem sterilen Environment ein letztes Funksignal an den Menschen hinterlassen.

Zwei Arbeiten von Klára Hosnedlová bei Kraupa-Tuskany-Zeidler.
Klára Hosnedlová: Untitled (from the series Nest), 2020, cotton thread, terrazzo frame, terrazzo panelling201 x 130 x 24 cm, 78 3/4 x 51 1/8 x 9 1/2, inembroidery: 43 x 30 cm, 16 7/8 x 11 3/4 inunique. Photo: def image. Courtesy: the artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin.

“Nest”, so der Titel der Ausstellung, der sich sowohl auf das Vogelnest als auch auf die Google Home Device bezieht, eröffnet eine Zukunft, die zugleich eingetreten wie auch schon wieder vergangen scheint. Das Design des Raumes ist an der Materialität des Fernsehturmes Ještěd in Klára Hosnedlovàs Heimatland Tschechien angelehnt – eine jener architektonischen Utopien der 70er Jahre, wie sie in Form der Staatsbibliothek beispielsweise auch in Berlin zu finden sind. An diesen Orten, an denen Vergangenheit und Gegenwart auf seltsame Weise zu fusionieren scheinen, überkommt einen stets ein Anflug von Nostalgie. Uneingelöste Zukunftsträume aus vergangenen Zeiten schlummern in der Weite des Raumes, zugleich gewinnt man den Eindruck, selbst schon wieder Teil einer neuen Zukunftsversion zu sein. Und so bewegt man sich zwischen den Arbeiten von Klára Hosnedlovà wie ein Astronaut, der nach einer sehr langen Mission auf die Erde zurückkehrt ist. Spuren dessen, was man zurückließ, sind noch anwesend und doch befindet man sich in einer völlig neuen Realität.

Eine große Wandarbeit von Klára Hosnedlová bei Kraupa-Tuskany-Zeidler.
Klára Hosnedlová: Untitled (from the series Nest), 2020, cotton thread, terrazzo frame, terrazzo panelling, mould melted glass, 200 x 260 x 24 cm, 78 3/4 x 102 3/8 x 9 1/2 inembroidery each: 43 x 30 cmunique. Photo: def image. Courtesy: The artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin.

“Nest” ist ein Gesamtkunstwerk. Und doch sind es die in Beton eingelassenen Porträts, die den Kern der Ausstellung bilden. In ihrer pastelligen Farbgebung schmiegen sie sich in die Wände und bilden so einen unmissverständlichen Teil von Klára Hosnedlovàs Zukunftsszenario. Close-ups von Körpern sind zu sehen, die auf den ersten Blick alltäglichen Dingen nachgehen: Eine junge Frau zieht ein Handy aus ihrer Tasche, jemand säubert sich einen Fingernagel. Doch dann tauchen Gegenstände in den Bildern auf, die irgendwie deplatziert scheinen: Der Blick aufs Smartphone fällt durch ein Lupenglas, jemand hat eine Taschenlampe griffbereit. Die Protagonist*innen suchen in der sterilen Umgebung nach ihresgleichen, nach Nähe, Intimität. Spätestens, wenn man bei dem Mann angekommen ist, an dessen Schulter sich eine einohrige Nacktkatze schmiegt, weiß man, dass sich auch dieser Zukunftstraum höchstwahrscheinlich nicht einlösen wird.

Installationsansicht mit Arbeiten von Klára Hosnedlová bei Kraupa-Tuskany-Zeidler.
Exhibition View, Nest, Klára Hosnedlová, Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin, 2020. Photo: def image. Courtesy: the artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin.

Nähert man sich den Bildern, fällt auf, dass es sich um Stickereien handelt. Die ursprünglich fotografisch festgehaltenen Szenen werden so in ein Medium übersetzt, das in seiner Langsamkeit dem hastigen Zwinkern der Kamera und dem Geklicke in unserer durchdigitalisierten Gegenwart diametral gegenübersteht. Indem Klára Hosnedlovà auch hier Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft ineinanderfließen lässt, kreiert sie eine Art „timeless space“, in dem man sich zugleich fremd wie auch seltsam aufgehoben fühlt. Wo fängt die Zukunft an, fragt man sich, während der eigene Körper in diese konturlose Landschaft eingeht. Genau hier, lautet die Antwort, denn man wird Zeugin davon, wie sich alle drei Zeiten für den Bruchteil eines Augenblickes berühren.

Zwei Arbeiten von Klára Hosnedlová bei Kraupa-Tuskany-Zeidler.
Klára Hosnedlová: Untitled (from the series Nest), 2020epoxy, stainless steel, cotton thread, 230 x 80 x 5 cm, 90 1/2 x 31 1/2 x 2 in, embroidery: 43 x 30 cm 16 7/8 x 11 3/4 in, unique. Photo: def image. Courtesy: the artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin. // Klára Hosnedlová: Untitled (from the series Nest), 2020, cotton thread, stainless steel, 54 x 43 x 4 cm, 21 1/4 x 16 7/8 x 1 5/8 in, unique. Photo: def image. Courtesy: the artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin.

Die Künstlerin verhandele in ihrer Ausstellung die Vorstellung von Zukunft als einer Art „safe space“, heißt es im Ausstellungstext. Und tatsächlich bildet das, was hier als Zukunft deklariert wird, einen Gegenentwurf zu jenen dystopischen Erzählungen, die aktuell den öffentlichen Diskurs bestimmen. Es ist die Unmittelbarkeit des Erlebten, die einen an diesem Ort verweilen lassen will. Jede Sekunde geht ein Stückchen Gegenwart in Zukunft über und die Künstlerin heftet den Blick auf genau diesen magischen Moment der Fabrikation. Und so ist “Nest” ein rares Statement der Zuversicht in diesen wilden Zeiten: Es ist noch nicht zu spät, die Menschheit noch nicht verloren, denn die Zukunft entsteht genau hier, genau jetzt, vor unseren Augen.

WANN: Die Ausstellung “Nest” läuft noch bis zum 16. Januar 2021.
WO: Kraupa-Tuskany Zeidler, Kohlfurter Straße 41/43, 10999 Berlin.

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