Hedonismus zum Hineinsinken Die Metaebenen der Monika Grabuschnigg
28. August 2019 • Text von Anna Meinecke
Sie hat Keramik vielleicht nicht im Alleingang cool gemacht, aber sie hat schon damit gearbeitet, als andere noch die Nase darüber rümpften. In komplexen Brenn- und Glasierprozessen schafft Monika Grabuschnigg Skulpturen und Reliefs mit Subtext von Platon bis Popmusik.
gallerytalk.net: Die erste Arbeit, die ich bewusst von dir gesehen habe, war dieser Penis-Brunnen, damals noch bei “HORSEANDPONY”, später beim “Berlin Art Prize”. Das schäumte alles so schön. Was hatte es damit auf sich?
Monika Grabuschnigg: Es ist lustig, dass du Penis-Brunnen sagst. Ich sehe darin keinen Penis – und viele andere auch nicht. Aber ein paar definitiv, also ist das schon in Ordnung. (lacht) Ausgangspunkt für den Brunnen war ein Popsong, “Soap” von Melanie Martinez. Das ist so eine gemachte Teenie-Sängerin. Sie singt davon, dass sie sich eher den Mund mit Seife auswaschen würde, als Worte der Zuneigung auszusprechen. Das wurde Millionen Mal gehört. Es ist Zeitgeist geworden, emotional nicht verfügbar zu sein. Da spielt ein bestimmter Narzissmus mit rein, eine generelle Selbstbezogenheit, die sich dann Individualismus nennt. Es geht um Kalkül, darum, ob man auch etwas zurückbekommt, wenn man bereit ist, zu geben. So ein Konzept steht der Liebe konträr entgegen.
Wie sollte Liebe denn eigentlich funktionieren?
Der englischsprachige Ausdruck “to fall in love” beinhaltet es: Es geht darum, sich fallen zu lassen. Keine Kontrolle, kein Kalkül. Ich bin da beispielsweise bei Roland Barthes fündig geworden. In seinem Buch “A Lover’s Discourse: Fragments” aus den 70ern schreibt er von einem “room of affection”, also einem Raum, in dem man tatsächlich über Liebe sprechen kann. Es ist das komplette Kontrastprogramm zu diesem Popsong, in dem es um sterile Selbstkontrolle geht. Barthes versucht, “die Liebe” wirkliche zu sezieren und eine Brücke zwischen einem rationalen analytischen und persönlich emotionalen Verständnis zu bauen.
Der Brunnen, von dem wir sprachen, ist Teil einer Serie von Skulpturen. Wofür stehen die?
Genau, ich gehe damit der Frage nach, was „Contemporary Love”, “Desire” und “Longing“ in Zeiten von Tinder & Co. bedeuten kann. Was sind die neuen Rollen Modelle in einer Kultur der Technologie, in der Narzissmus und der Selbstoptimierung zu Tugenden stilisiert werden? Der Titel der Serie, „What shall I swear by“ ist aus Shakespeares „Romeo und Julia“, aus dem zweiten Akt. Die beiden haben sich gerade kennengelernt und müssen sich schon wieder trennen. Er sagt so etwas wie: „Ich schwör meine Liebe zum Mond.“ Und sie sagt: „Nein, nein, nein, der Mond ist zu unbeständig. Schwör auf dich selber!“ Das ist doch spannend: Wer heute „auf sich selber schwört“, ist vielleicht sogar eher nicht an Bindung interessiert – ganz anders als bei Shakespeare.
Du hast gerade binnen kürzester Zeit auf Popmusik, Literatur und Philosophie verwiesen. Wie wichtig ist es dir bei der Rezeption deiner Arbeit, dass all diese Referenzen mitgelesen werden?
Ich lese mich in Themen ein, die mich generell im Leben beschäftigen. Auf einmal ist dann da ein Buch – also nicht einfach so, man hat ja danach gesucht. Aber daran knüpfe ich dann an. Das eine bedingt das andere und es werden immer mehr Informationen. Wenn man sich für etwas interessiert, eröffnen sich so viele neue Welten. Tatsächlich stellt sich aber die Frage, wie wichtig mir all diese Texte sind. Mir kommt es vor allem darauf an, dass meine Arbeiten ohne dieses ganze Hintergrundwissen funktionieren. Wer möchte, bekommt die ganzen Metaebenen noch dazu.
Du arbeitest mit Keramik. Mittlerweile ist das angesagt, du bist damals aber erst einmal auf Widerstände gestoßen, richtig?
Mein Professor aus dem Auslandsstudium an der Bezalel in Jerusalem, Lance Hunter, hatte mir dringend davon abgeraten. Er war schon damals so etwas wie mein Mentor, mittlerweile ist er ein Freund. Er war es, der mich von der Malerei in die Dreidimensionalität gepusht hat. Aber von der Idee mit der Keramik war er erstmal nicht überzeugt. Ich wollte das aber unbedingt. Also hat er mir eine Keramikerin gesucht und sie um einen Crash-Kurs gebeten. Innerhalb von zwei Monaten habe ich aufgesogen, was ich konnte. Weil ich viele Abform- und Gusstechniken schon kannte, habe ich das Material schnell begriffen. Für meine Diplomarbeit habe ich 2011 in Keramik gegossene Gasmasken produziert. Es gab Leute, die fanden das richtig gut. Aber nicht alle. Die Arbeiten haben polarisiert.
Was gefällt dir an dem Material besonders?
Es ist zum Beispiel sehr ökologisch. Man kann Keramik recyceln. Und ich komme aus der Malerei. Für mich sind Oberflächen unglaublich wichtig und mit der Glasur kann man bei Keramik viel machen. Meine Arbeiten sind teilweise fünfmal im Ofen gebrannt, immer wieder neu glasiert – das ist keine Standardpraxis. Als Bildhauerin gehe ich mit dem Material anders um, als ich das als Keramikerin tun würde.
Bei dir im Studio ist es staubig, da liegt schweres Zeug rum. Wie wichtig ist es dir, körperlich zu arbeiten?
Körperliche Arbeit ist für mich tatsächlich wichtig. Ich finde sehr viel Ausgleich in der Bewegung. In der Bildhauerei muss man ständig um sein Werk herumgehen. Permanent ändert sich der Blickwinkel. Es ist wie Tanzen, du bist immer in einem Rhythmus.
Du hast dir strikte Arbeitszeiten verordnet, arbeitest diszipliniert. Ist da überhaupt noch was übrig dem hedonistischen Künstlertyp, der mit dem Glas Rotwein vor seiner Leinwand herumlungert?
Hedonistisch kann ich schon auch sein. Aber alles hat seine Zeit und seinen Ort. Die Arbeit ist teilweise ein sehr manischer Prozess. Das ist dann wie ein Hineinsinken: Im Kopf dreht sich alles um ein bestimmtes Thema – nicht nur im Atelier. Du gehst nach Hause, liest weiter, siehst weiter, hörst weiter. Alles spielt zusammen. Ich finde diese Zustände fantastisch, wenn etwas wirklich läuft und man mittendrin ist in der Produktion. Ich gehe darin auf! Ich habe dann das Gefühl: Okay, das hier ist mein Platz! Aber man muss davon auch immer wieder einen Schritt zurücktreten und runterfahren.
Wie gelingt dir das?
Ich verbringe Zeit mit Freunden oder mache einfach das Handy aus und ziehe mich alleine zurück.
Du hast diese Keramikreliefs gemacht, anonyme Figuren in Denkerpose. Worüber denken die nach?
Die Figuren sind irgendwie verloren, festgefroren in einem Gemütszustand. Kennst du das „Dictionary of Obscure Sorrows“? John Koenig arbeitet seit ein paar Jahren daran. Ihm war aufgefallen, dass es so viele Gefühlszustände gibt, für die wir nicht das passende Vokabular haben. Deswegen erfindet er neue Wörter, zum Beispiel „Onism“. „Onism“ beschreibt das Gefühl, in einem Körper gefangen und deswegen zwingend an einem Ort zu sein. Man steht also am Flughafen und schaut auf die Abflugtafel. Die Flüge gehen überall hin, aber man selbst steckt fest. Eins der Reliefs, von denen du sprichst, heißt „Lost in Onism“. Man muss aber auch gar nicht genau wissen, was die Figuren in den Reliefs umtreibt. Ich glaube, man kann sich auch so in ihnen wiedererkennen.
Und was für Themen beschäftigen dich gerade? Bei Das Arty in Berlin hast du zum Beispiel Keramiken in Erdtönen gezeigt, die fast ein bisschen wie Wurfwaffen aussehen …
Moral und menschliche Verantwortung, der Klimawandel und der weltweite Rechtsdruck – das sind Themen, die mich umtreiben. Grundsätzlich interessiere ich mich für die Analyse und das Neudenken gesellschaftlicher Strukturen und Glaubenssätze in Verbindung mit dem Internet. Wir können heute virtuell eigene Realitäten schaffen und somit unser Selbst immer wieder neu kreieren. Das überfordert oft, uns fehlt noch das Wissen und Werkzeug damit umzugehen. In einer beschleunigten Welt fühlen wir uns zunehmend ängstlich und entfremdet. So wie Platons befreiter Gefangener in die Höhle zurückkehrt, werden auch wir versuchen, der Realität zu entkommen. Die Höhle ist der Ort der sicheren Apathie, in die wir zurückkehren und stagnieren. Die Serie mit den “Wurfwaffen”, wie du sie nennst, heißt “Ignite nature – Hardware for the Real (Shadow 1 & 2)”. Der Titel ist eine Metapher für ein Werkzeug: Platons Feuer festgefroren in einzelne Flammen aus Keramik.
Im vergangenen Jahr warst du die Gewinnerin des Berlin Art Prize. War das ein Turning Point in deiner Karriere?
Es gibt ja immer wieder Turning Points. Ein Turning Point war es, von der Dubaier Galerie Carbon12 vertreten zu werden. Ein anderer Turning Point war es, die „What shall I swear by“-Serie fertigzustellen. Das waren die größten Keramikarbeiten, die ich bis dato gemacht habe. Und ja, auch der Berlin Art Prize war für mich wichtig. Ich bin eine Künstlerin, die in Berlin lebt, die hier seit fast sieben Jahren arbeitet, die sich hier zuhause fühlt. Es war schön, ausgewählt zu werden und mit so vielen tollen anderen Künstler*innen ausstellen zu dürfen. Die letzte tolle Erfahrung war die Zusammenarbeit mit dem Kurator Benedikt Seerieder für die Kunsthalle Baden-Baden. Es ist mir wichtig, dass meine Arbeiten gesehen werden. Es bringt mir nichts, wenn sie nur im Atelier rumstehen.
Noch bis Sonntag, den 15. September, ist Monika Grabuschniggs Einzelausstellung „In Delirium I Wear My Body“ in der Kunsthalle Baden-Baden zu sehen. Bis zum 13. Oktober ist sie in der Gruppenausstellung “The Garden Bridge” im Berliner Brücke Museum vertreten.
Der Berlin Art Prize eröffnet in diesem Jahr in zwei Etappen am Freitag, den 30. August, sowie am Samstag, den 31. August. Die Ausstellungen laufen bis zum 27. September.