Chaos an der Sollbruchstelle Mara Wohnhaas im Off-Space Hamlet
19. Juni 2023 • Text von Anja Grossmann
Mit „A fly on a speaker’s nose” zeigt der Off-Space Hamlet eine erste Ausstellung von Mara Wohnhaas in Zürich. Den Auftakt der Ausstellung bildet eine textbasierte Performance, in der die Künstlerin das Treiben einer störenden Fliege beschreibt. Das umherschwirrende Insekt unterbricht Gedankenfluss und Rede. Es wird zur Metapher für die Störungen, Deformationen und Brüche in Wohnhaas‘ Werken.
Im Ausstellungsraum steht ein langer weißer Tisch. Zwei Damenschuhe sind in eine weiße, mit Stoff überzogene Tischplatte eingelassen. Es handelt sich um Riemchenpumps, deren Absätze sich tief in den Tisch graben. In der Mitte ist die Tischplatte gebrochen. Womöglich ist das Gewicht der Besitzerin der Schuhe für die Zerstörung verantwortlich. Hat hier jemand zu lange auf Tischen getanzt? Die gesplitterten Kanten der Bruchstelle des Möbels ragen in spitzen Winkeln hervor. Sie erinnern an gebrochene Eisschollen. Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass sie nicht zu den Bruchkanten der jeweils anderen Tischhälfte passen. Hier zu sehen ist ein inszenierter Zusammenbruch, ein konstruierter Ruin.
„A fly on a speaker’s nose“ nennt Mara Wohnhaas die Arbeit. An der Eröffnung ihrer gleichnamigen Ausstellung im Off-Space Hamlet sitzt sie auf einer kantigen Erweiterung der Tischplatte. Die Installation dient der Künstlerin als Sitzfläche und Aufführungsort ihrer Performance „The fly on a speaker’s nose“.
Wohnhaas tritt als speaker, als Sprecherin auf. Sie liest einen Text, der danach in gedruckter Form im Ausstellungsraum verbleibt. Er liegt an der Stelle, an der die Künstlerin gesessen hat. Der Text beginnt mit den Worten: „Minimum appearance – maximum performance. The fly, my personal performance role model“ – also: „Minimales Erscheinungsbild – maximale Performance. Die Fliege, mein persönliches Performance-Vorbild.
Wohnhaas spricht über das Scheitern des Sprechens, die Fehlvermittlung ihrer Gedanken und von einer Fliege, die dafür verantwortlich scheint. „Breaking the bond between (the) words. Jumping from one sentence to another and into one another. […] Paralysis by analysis“. Das Umherschwirren der Fliege unterbricht, nervt, stört den Gedankenfluss. Sie ist ein Störfaktor. „Als Kontingenz bricht/bringt sie außer Takt. The system is upset. The speech becomes disjointed.“ Zugleich erscheint die Fliege als Metapher für die narrative Unzugänglichkeit ihrer eigenen Gedanken. Durch die performative Beschreibung eines misslungenen Vortrags wird die Irritation selbst zum Motiv. Wohnhaas thematisiert die subversive Kraft des Unterbruchs.
Unterbrüche sind auch in Wohnhaas‘ Selbstporträts zu sehen. Diese bestehen jeweils aus fünf mal acht quadratischen Fotografien in einem hochformatigen weißen Raster. Die Künstlerin fotografierte sich ausschnittsweise selbst und collagierte ein neues Bild aus den entstandenen Bruchteilen ihres Körpers. So entstanden Wesen mit absurd langen Extremitäten, zahlreichen Armen und in Mustern aufgelösten Torsi, auf denen ihr Kopf sitzt.
Insgesamt vier dieser Arbeiten sind in der Ausstellung zu sehen. In einer ersten Collage zeigt Wohnhaas sich in dreifacher Ausführung auf einer Pritsche liegend unter einer Decke mit gotisch anmutendem Faltenwurf. In einer anderen Collage scheint sie im futuristisch floralen Print eines Kleides zu verschwinden. Dann zeigt sie sich mit breitem Oberkörper und zur Faust geballten Händen ihre Schuhe als Tasche tragend. Zuletzt ist ihr Körper durch Teile einer Bronzeskulptur ersetzt. Über ihrem Kopf fliegt eine gescheckte Drohne wie eine riesige Fliege. Mit einem Arm wehrt sie das Tier ab, während sie am Handy und Headset zugleich spricht.
Die in Raster gesetzten Fotoarbeiten wecken Assoziationen zu Instragram-Feeds und zu von Selfies gefluteten Handykameraordnern. Wohnhaas zeigt sich darin nicht mit Duckface oder in einer anderen bekannten Kamerapose. Stattdessen arbeitet sie mit der Irritation ihres eigenen Bildes. Die Künstlerin schafft ein vermeintliches Chaos an der Sollbruchstelle. Die intendierte Selbstsabotage erzeugt ein neues Ganzes und erweckt absurde Wesen zum Leben.
In der Ausstellung „A fly on a speaker’s nose“ beschreibt Wohnhaas ein sich widerholendes Scheitern und bringt es zur Aufführung. Dies thematisieren auch die Kuratorinnen Antonia Truninger und Julia Hegi. In der Vorbereitung zur Ausstellung schrieben sie sich gegenseitig zahlreiche Emails über Wohnhaas‘ Arbeit und den Stellenwert des Zweifels. Noch während des Schreibvorgangs entschieden sie den Emailverkehr für die Ausstellungsbesuchenden offenzulegen. Er erscheint als begleitender Text zur Ausstellung.
Hegi schreibt: „Mir gefallen die humorigen, fast komikhaften Situationen in ihrer Arbeit so gut. Ein wiederholtes Zerfallen, das ich auch sehr deutlich in mir selbst verspüre. Für einen kurzen Moment denke ich, es erfasst zu haben, das, was ich sehe, dann scheitere ich wieder, und alles wird irgendwie absurd. Ich muss ehrlich sagen, ich verstehe es noch nichts ganz.“
Trunninger antwortet: „Ich finde es schön, wie du dein eigenes wiederholtes Scheitern beschreibst. Ich kann das gut nachvollziehen. […] Vielleicht kann durch die Offenbarung unserer Zweifel, unseres Nicht-Wissens genau die Offenheit bewahrt werden, die so wichtig scheint, um den Ambivalenzen in Maras Arbeit gerecht zu werden.“
Wohnhaas‘ Ausstellung bei Hamlet musste mehrfach verschoben werden und wäre fast gescheitert. Erst hat der Transport der Arbeiten nicht rechtzeitig geklappt, dann wurde die Künstlerin krank. Im dritten Anlauf kann man die Ausstellung nun sehen. Darin vermittelt sich die subversive Kraft des Scheiterns bildlich.
WANN: Die Ausstellung „A fly on a speaker’s nose“ läuft bis Samstag, den 8. Juli.
WO: Hamlet, Dörflistrasse 67, 8050 Zürich.