Päpstlicher Exorzismus
Lea Draeger bei Ebensperger

20. Mai 2022 • Text von

Reicht es, 6000 Päpstinnen und Päpste zu zeichnen, um die strenge Religiosität der eigenen Familie zu verarbeiten? Lea Draeger hat den Versuch gewagt und ein beeindruckendes Werk geschaffen. Das ist nun in einem alten Krematorium in den Räumen von Ebensberger zu sehen.

Ausstellungsraum bei Ebensperger mit den Arbeiten von Lea Draeger. Boden und Wand sind mit kleinen gerahmten Zeichnungen gekachelt. Vor der Wand steht ein Mann im Anzug.
Lea Draeger, Ökonomische Päpste und Päpstinnen, Ebensperger Berlin, 2022. Foto: Ludger Paffrath.

Spiritualität hat vor allem in den letzten Jahren wieder ihren Einzug in die Berliner Kunstwelt gefunden. Meist schauen dabei Künstler*innen sehnsuchtsvoll auf Regionen wie Südostasien oder Zentralamerika und die Einheit indigener Völker mit der Natur oder den sensiblen Umgang im menschlichen Miteinander. Vieles wird mit Vorbildcharakter gezeigt, manches ist wahrscheinlich romantisiert, aber rundum ist allein die Auseinandersetzung mit Alternativen, zu dem, „was man hier kennt“, mindestens geistig anregend.

Um die Worte der Nächstenliebe zu finden, muss man allerdings gar nicht so weit in die Ferne schauen, denn wohlbekannt hat auch Europa geistige Führung – die katholische und evangelische Kirche. Mitglied wird man hier ganz einfach durch Taufe und tatsächlich gehörten laut Zählungen der Evangelischen Kirche im Jahr 2020 rund 51 Prozent der Deutschen einer der Kirchen an. Allerdings haben die Glaubenseinrichtungen seit Jahren mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen. Allein im Jahr 2020 entschieden sich 220.000 Kirchenmitglieder auf evangelischer und 221.390 auf katholischer Seite zum Austritt.

Detailansicht der Zeichnungen von Lea Draeger.
Lea Draeger, Ökonomische Päpste und Päpstinnen, Ebensperger Berlin, 2022. Foto: Ludger Paffrath.

Anfang des 20. Jahrhunderts gehörten noch nahezu alle Deutschen der christlichen Kirche an. Große Austrittsbewegungen gab es dann in der Weimarer Republik, während der NS-Diktatur, in der DDR und auch nach der Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre.

Neue Rekordzahlen zeigen sich gerade in jüngster Zeit wieder. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland beschreibt, dass „allein die Stadt München 9074 Kirchenaustritte bis zum 8. April [2022 verzeichnete]. Im Vergleichszeitraum 2021 waren es nur knapp 5000. Die jeweilige Konfession wurde dabei nicht erfasst.“ Die Tendenz sei auch in anderen Städten sichtbar. Ein Grund dafür könnten unter anderem die Ende Januar vorgestellten Gutachten zu Missbrauchsfällen in der katholischen Erzdiözese München und Freising sein. Besonders die katholische Glaubenseinrichtung wird in Deutschland allerdings nicht nur aufgrund von unzähligen Skandalen kritisch betrachtet, denn auch Teile der Grundstruktur finden keine Anerkennung mehr.

Links eine Raumansicht mit Tür und Fenster, Lea Draegers Zeichnungen auf dem Boden, rechts Draegers Zeichnungen an der Wand.
Lea Draeger, Ökonomische Päpste und Päpstinnen, Ebensperger Berlin, 2022. Fotos: Ludger Paffrath.

In der Ausstellung „Ökonomischen Päpste und Päpstinnen“ in der Berliner Galerie Ebensperger widmet sich Lea Draeger in Aufarbeitung ihrer eigenen Familiengeschichte den patriarchalen Machtverhältnissen in der katholischen Kirche und dem Papst als institutionellem Körper. Sie untersuchte dafür Briefe ihrer Großmutter an die Mutter, Protokolle von Gesprächen zwischen den beiden und einen unveröffentlichten unfertigen Roman des Großvaters: „Der Nebel über den Friedhöfen“. Die Darstellung ihrer Erkenntnisse erfolgte in kleinteiliger Arbeit, die sich über sieben Jahre zog: Überall, wo Draeger war, wo sie fuhr, wo sie reiste, malte sie anfangs erst briefmarkengroße Päpste und dann auch Päpstinnen, bis am Ende rund 6000 Stück davon zusammenkamen.

„Die Päpstinnen traten recht schnell auf, sicherlich als notwenige Konsequenz auf das anfängliche nur durch Päpste geprägte System. […] Neben diesen historischen Vorbildern spielten die Päpstinnen anfangs vor allem gängige Frauenrollenbilder durch, begannen sich bald aber dagegen zu wehren und schließlich lösten sie sich ganz davon. Das Gleiche geschah mit den Päpsten, die ebenfalls gängige Geschlechterkategorien und Zuordnungen zu durchbrechen begannen,“ so Dreager über die Entwicklung ihrer Figuren, die jeweils in individueller Pose mit passendem Namen zu sehen sind.

Blick durch die Flügeltür in den Ausstellungsraum von Lea Draegers Solo-Show bei Ebensperger. Boden und Wand sind mit kleinen gerahmten Zeichnungen gekachelt.
Lea Draeger, Ökonomische Päpste und Päpstinnen, Ebensperger Berlin, 2022. Foto: Ludger Paffrath.

Die umfangreiche Arbeit Draegers erweckt den Eindruck einer Teufelsaustreibung, einer Verarbeitung von religiöser Geißelung, die ihre Familie geprägt hat. Die Strenge verliert ihre Wirkung durch die humorvolle Darstellung der Figuren. Sie scheint eine Art emanzipierte Spiritualität einzufordern, dessen Anhänger*innen frei sind in ihrem Glauben, ihrem Sein und dem Miteinander. Alle Figuren sind Päpst*innen und Päpste und somit mächtige Führende eines neuen Glaubens. Und trotzdem – oder gerade deshalb, verbreitet Draegers geistliche Armee einen leichten Grusel.

WANN: Die Ausstellung „Ökonomischen Päpste und Päpstinnen“ von Lea Draeger läuft noch bis Sonntag, den 19. Juni.
WO: Ebensberger Berlin, Plantagenstraße 30, 13347 Berlin

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