Der Zyklus der Wäsche
Anna McCarthy in der Galerie Sperling

14. Juli 2022 • Text von

Die Einzelausstellung “Washing Cycle” der Künstlerin Anna McCarthy in der Galerie Sperling erzählt von Refugien vor urbaner Melancholie, nie enden wollender Hausarbeit und wuchernden Zimmerpflanzen. Die skulpturalen und malerischen Arbeiten verbinden sich zu einem häuslichen Setting, in dem der Kreislauf patriarchaler Wertvorstellungen nur durch Chaos durchbrochen werden kann.

Anna McCarthy, “Washing Cycle (tryptych)”, 2022, Permanentmarker, Bleistift, Acryl auf Holz, 21 x 15,4 x 2 cm. Foto: Sebastian Kissel

Waschen, aufhängen, trocknen lassen, anziehen, waschen, aufhängen, trocknen lassen, anziehen. Und wieder von vorne. Waschen, aufhängen, trocknen lassen, anziehen. Eine schwarze Socke liegt erst zerknüllt auf dem Boden, wird dann in der Waschmaschine durch den Sog des Wassers hin und her geschleudert und baumelt später akkurat auf dem Kleiderständer. Dieser nie enden wollende, alltägliche Kreislauf des Wäschewaschens wird im Triptychon „Washing Cycle (tryptych)“ der Künstlerin Anna McCarthy skizziert. 

Das Waschen schmutziger Kleidung zählt zu den entweder unbezahlten oder unterbezahlten Hausarbeiten, die noch immer – egal wie viel Bewusstsein für obsolete, patriarchale Wertvorstellungen geschaffen wird – dem Verantwortungsbereich weiblicher Familienmitglieder zugeschrieben werden. In ihrer Ausstellung “Washing Cycle” in der Galerie Sperling erzählt die Künstlerin von ebendiesen im Verborgenen verrichteten Tätigkeiten, in denen sich tief verankerte Rollenbilder und soziale Diskrepanzen offenbaren. 

Installationsansicht: Anna McCarthy, “Washing Cycle” in der Galerie Sperling, München, 2022. Foto: Sebastian Kissel

Im nächsten Bild regiert das Chaos. In der malerischen Arbeit “My Wardrobe” ist ein mit Kleidungsstücken vollgestopfter Schrank zu sehen, dessen Schubladen sich wegen Überfüllung nicht mehr schließen lassen. Er wird umgeben von noch mehr konfus verteilten Klamotten und Zeug, während links im Bild ein Porno auf dem noch aufgeklappten Laptop läuft. Die beengten Räumlichkeiten erinnern daran, dass vor allem in Großstädten bezahlbarer Wohnraum kostbar und ausreichend Platz zum Leben, vielleicht sogar mit Balkon oder Garten, nur wenigen vorbehalten ist. 

Immer wieder kehrt in diesen überfüllten Innenräumen Ruhe und Struktur ein, wie beispielsweise in der Zeichnung “Washing Line (Bedstuy)”. Hier dominieren persönliche Gegenstände und Haushaltsgeräte, wie Bücher oder ein Ventilator, die wild verteilt im Zimmer herumliegen. Außerdem Pflanzen, überall Pflanzen. Sie dürfen sich unkontrolliert im ganzen Raum ausbreiten und über das Interieur wuchern. Nur ein Wäscheständer mit präzise aufgehängter, sauberer Wäsche stellt sich diesem Chaos entgegen. Zugleich unverzichtbar und sperrig im Weg, bettet er sich wie ein permanentes Möbelstück in die aufgeladene, geradezu pulsierende Komposition ein. 

Installationsansicht: Anna McCarthy, “Washing Cycle” in der Galerie Sperling, München, 2022. Foto: Sebastian Kissel

Der häusliche Kontext sowie Aspekte von Ordnung und Zusammenleben werden nicht nur in malerischen Positionen, sondern auch installativ im Ausstellungsdisplay aufgegriffen. An einer Wand ist kopfüber ein silbernes Waschbecken mit Metallketten und Schlüsseln installiert. In einem Eck am Boden ragt ein abmontierter Wasserhahn in den Raum, der seine beiden Anschlüsse wie zwei lange Beine weit von sich streckt. 

Im monochromen Aquarell “The Crying Series (Peaches)” wird der Aspekt der Reinigung in einem anderen Kontext verhandelt. Geradezu schäumend strömen hier Tränen aus den schwarz geschminkten Augen einer Frau. Wer sie ist, wohin sie mit ihren runden Augen blickt, warum sie weint, das alles bleibt für die Betrachtenden unbekannt. Das Weinen gilt als tabuisierter Vorgang des Körpers, der nur im Verborgenen, in den eigenen vier Wänden stattfinden darf. Auch hier setzt sich die Künstlerin mit einem Prozess auseinander, der in einer leistungsorientierten Gesellschaft weibliche Zuschreibung erfährt. “Heulen” gilt als weibliche Emotion, als hysterisch, als ein Zeichen für Labilität und Trostbedürftigkeit. Eigentlich hat das Weinen aber eine reinigende Funktion im Körper, durch die Stress abgebaut und Endorphine freigesetzt werden. 

Installationsansicht: Anna McCarthy, “Washing Cycle” in der Galerie Sperling, München, 2022. Foto: Sebastian Kissel

Die großformatigen Arbeiten “Evergreen Cemetery (Overgrown)” und “Evergreen Cemetery (Quilt)” fallen thematisch aus dem Ausstellungskonzept, zumindest auf den ersten Blick. In diesen bezieht sich McCarthy auf eines der verheerendsten Fabrikunglücke der amerikanischen Industriegeschichte, nämlich dem Brand der Triangle Shirtwaist Factory im Jahr 1911. In der Fabrik des New Yorker Blusenproduzenten kamen 123 vorwiegend minderjährige Arbeitsmigrantinnen und 23 Arbeiter im Feuer ums Leben. Sechs dieser Opfer wurden damals anonym auf dem Evergreens Cemetery begraben, ihre Identitäten konnten erst 2011 festgestellt werden. McCarthys großformatige Arbeiten skizzieren den historischen Friedhof in Brooklyn. Sie werden durch eine schlangenförmige Straße strukturiert, die in der Arbeit “Evergreen Cemetery (Overgrown)” durch grünes Dickicht führt, zwischen dem sich Grabsteine, Kreuze und weibliche Silhouetten formieren. 

Anna McCarthy, “Evergreen Cemetery (Overgrown)”, 2022, Acryl, Tinte, Permanentmarker, Bart eines alten Manns, Edelstahl, Messing, Bleistift auf Leinwand und Vinyl, 250 x 136 cm. Foto: Sebastian Kissel

Die Arbeiten rufen Bilder von verwüsteten Textilfabriken in Bangladesch in Erinnerung, die hauptsächlich den europäischen Markt mit Kleidung beliefern, wo sie zu Niedrigpreisen in Bekleidungsketten angeboten und stapelweise in Kleiderschränken verstaut werden. Großbrände finden in diesen Fabriken häufiger statt, da Sicherheitsbestimmungen missachtet werden und sich die Fabrikgebäude in miserablen Zuständen befinden. Auch in der Triangle Shirtwaist Factory mussten die Angestellten unter prekären Bedingungen arbeiten, wie in McCarthys Arbeit “Evergreen Cemetery (Quilt)” zu lesen ist. So wurden die Türen von außen verriegelt, um die dort Angestellten von Pausen oder Warendiebstahl abzuhalten. In diesem Sinne erweitert die Künstlerin mit diesen Arbeiten den Kreislauf der Wäsche und schafft Bewusstsein dafür, woher und unter welchen Bedingungen die Kleidung entstanden ist, die sich in häuslichen Wäschekörben türmen.

Installationsansicht: Anna McCarthy, “Washing Cycle” in der Galerie Sperling, München, 2022. Foto: Sebastian Kissel

Wie ein Flaschengeist nimmt in der Arbeit “Bedstuy Backyard (Overgrown)” eine weiblich anmutende Gestalt beginnend vom unteren Bildrand Gestalt an. Symbiotisch gehen ihre Umrisslinien in pflanzenartige Gebilde über, während ihre Umgebung mit tränenartigen Diamanten geschmückt ist. Inmitten dem grünen Dickicht dieser Silhouette führt ein Weg zu einer verschlossenen Tür. Die Arbeiten Anna McCarthys changieren zwischen Kontrolle und Kontrollverlust und suggerieren einerseits klaustrophobische Enge, andererseits Intimität und Zurückgezogenheit. Die in den Innen- und Außenräumen wuchernden Pflanzen formieren sich zu tropischen Refugien inmitten urbaner Tristesse. 

WANN: Die Ausstellung “Washing Cycle” von Anna McCarthy läuft noch bis Samstag, den 6. August
WO: Galerie Sperling, Regerplatz 9, 81541 München

Weitere Artikel aus München