Durst nach Transformation
„Our Vampires“ in der Galerie Sperling

2. Dezember 2021 • Text von

Für die multimediale Ausstellung „Our Vampires“ in der Galerie Sperling nimmt die Kuratorin Attilia Fattori Franchini die ambivalente, mythologische Gestalt des Vampirs zum konzeptionellen Ausgangspunkt. Die Gruppenausstellung versammelt fünf Künstler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen, die gesellschaftliche Erwartungshaltungen und universale Sehgewohnheiten in ihren Arbeiten spielerisch zersetzen.

Sveta Mordovskaya: Untitled (clowns), 2018, Kaffeesahnedeckel, Größe variabel, Foto: Sebastian Kissel.

Schrill kostümierte Clowns gedruckt auf runden Kaffeesahnedeckeln formieren sich sichelförmig über dem Galerieboden. Verräterisch freundlich grinsen sie die Besucher*innen von dort unten aus an. In der Ecke verbergen sich phallisch anmutende Äste, die ihre hölzernen Zungen hemmungslos ihrem Gegenüber entgegenstrecken, während unmittelbar nebenan ein knallroter Objektrahmen mit monsterartigen Gesichtszügen seinen Mund weit aufreisst, damit wir hinab in seinen anspielungsreichen Schlund blicken können.

Installationsansicht der Ausstellung “Our Vampires in der Galerie Sperling, Foto: Sebastian Kissel.

Schnell lässt sich erahnen, dass man hier nicht auf blasse unsterbliche Nachtgestalten treffen wird. Die Ausstellung „Our Vampires“ verhandelt die Figur des Vampirs sinnbildlich als aufrührerische, mythologische Figur, die entgegengesetzt den Standards dieser Welt existiert und sich erfolgreich gesellschaftlichen Kategorisierungen und sexuellen Normierungen entzieht. „Sie sind die Madonnas und David Bowies der Erzählung“, beschreibt es die Kuratorin eindrücklich in ihrem Ausstellungstext.

Die einzelnen Künstler*innen positionieren sich in ihren malerischen, filmischen, skulpturalen und installativen Arbeiten gegen obsolete Machtstrukturen und werfen Fragen zu Identität und Rollenbildern auf. Autobiografische Fragmente wie Kindheitserinnerungen oder individuelle Erfahrungen verbinden sich zu illusionistischen Bildszenerien. Anspielungen und Verweise auf das Potential von Sprache und Semiotik ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Objekte hindurch. 

Justin Fitzpatrick: A Whisper in the Cloister, 2019, Öl auf Leinwand, 73 x 113, Foto: Sebastian Kissel.

Der Künstler Justin Fitzpatrick (*1985) widmet sich in seiner Arbeit der Geschichte sexueller Repression, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind. Im Fokus seiner kritischen Auseinandersetzung stehen kirchliche Institutionen, die ungebrochen an ihren Moralvorstellungen festhalten. Seine malerischen Bildszenerien changieren zwischen sakral und surrealistisch, düster und melancholisch: Ein weinender Mönch flieht vor einer Säulenreihung mit überdimensionalen Ohren hinaus aus dem Bildrand. Uniformierte Gestalten mit grünem Teint fahren auf Rollschuhen einen ausgestreckten Zeigefinger entlang. Die gestaffelten Sakralbauten rotieren rhythmisch wie am Fließband. Sinnesorgane wie Ohren oder Mund fügen sich wie selbstverständlich in das kompositorische Bildgeschehen ein. In ihrer überdimensionalen Darstellung verweisen sie auf die manipulative Macht von Sprache und Framing. 

Birke Gorm: IOU, 2021, Holz, 63 x 10 x 7 cm, Foto: Sebastian Kissel.

Die Künstlerin Birke Gorm (*1986) arbeitet vorwiegend mit unbehandelten Materialien aus ihrer unmittelbaren Umgebung, wodurch sie sich künstlerische Unabhängigkeit von finanziellen, logistischen oder geografischen Bedingungen garantiert. In der Ausstellung „Our Vampires“ zeigt die Künstlerin zwei Wandobjekte aus ihrer fortlaufenden Serie „IOU (2017-)“. Dabei handelt es sich um gefundene Äste, die sie mit der Technik des Schnitzens mit anthropomorphen Gesichtszügen ausgestattet hat. Durch ihre raue naturbelassene Oberfläche erscheinen diese Wesen in der cleanen Galerieatmosphäre wie ungenierte Fremdkörper, die den Besucher*innen die Zunge entgegenstrecken. Das „Zunge Zeigen“ als unhöflich konnotierte Geste ist für diese geschnitzten Wesen die einzige Möglichkeit, sich gegenseitig zu berühren und Bindungen aufrecht zu erhalten.

Daniele Milvio: LM in AG, 2021, synthetischer Lehm, Holz, Gaze, Gesso, Wachs, Metall, Kunstharz, Acryl, Tusche und Wasserfarben auf Baumwollpapier, 34 x 26 x 7 cm, Foto: Sebastian Kissel.

Daniele Milvio (*1988) fokussiert sich in seiner Kunst auf die Möglichkeiten der Narration und des Storytellings, die er in vollem Umfang ausschöpft. Durch die Verwendung antiker Kompositionsschemata entsteht ein widersprüchliches Panorama aus subtilen Referenzen und ironischen Reflexionen. Besonders eindrücklich gelingt dies in der Arbeit „LM in AG“. Im Inneren eines knallroten monsterartigen Körpers befindet sich ein monochromes stilllebenhaftes Arrangement mit einem weiteren Bilderrahmen. Darauf wird die kriminelle, italienische Fernsehpersönlichkeit Lele Mora im Auto sitzend dargestellt. In der Banalität und Flüchtigkeit der hier präsentierten Situation lässt sich auf einen sarkastisch-kritischen Umgang des Künstlers mit der heutigen Gesellschaft und Personen des öffentlichen Lebens schließen.

Installationsansicht der Ausstellung Our Vampires in der Galerie Sperling, Foto: Sebastian Kissel

Das Ansammeln von und die unmittelbare Konfrontation mit alltäglichen Materialien bilden das dominante Narrativ der zeichnerischen und skulpturalen Praxis von Sveta Mordovskaya (*1989). In den hier präsentierten Arbeiten wird die vielseitige Bandbreite ihres multidisziplinären Schaffens spürbar: Eine Wandskulptur aus unglasierter Keramik, eine Bodeninstallation aus skurrilen Clown-Motiven und ein glänzender Kokon aus transparentem Geschenkpapier, der von der Galeriedecke pendelt. Durch die Verschiebung zwischen Objekt und Kontext entstehen Zwischenräume für neue, inhaltliche Verflechtungen. Die Erinnerungen an die früheren Funktionen dieser Gegenstände bleiben an ihnen haften, während sie sich mit den individuellen Erfahrungen der Besucher*innen zu vielfältigen Deutungsebenen multiplizieren.

Marianna Simnet: Titos Dog, 2020, HD Digital Video, Ton, 5 mins, 56 sec, Foto: Sebastian Kissel.

Marianna Simnet (*1986) erforscht in ihren Filmen, Zeichnungen und Performances das Potential körperlicher Transformationen von Mensch und Tier durch medizinische, pharmakologische oder technologische Eingriffe. In der Videoarbeit „Titos Dog“ können die Betrachter*innen die Künstlerin dabei beobachten, wie sie sich selbst durch Make-Up und Prothesen in einen deutschen Schäferhund verwandelt. Synchron zu diesem Wandlungsprozess erzählt sie in abwechselnd kroatischer und englischer Sprache über die Beziehung des kroatischen Politikers Josip Broz Tito zu seinem Hund Luks. Die Erzählung vermischt sich im Laufe des Videos immer mehr mit den eigenen Kindheitserinnerungen über den ehemaligen Präsident Jugoslawiens, der ein umstrittenes Symbol der Einheit war. 

Die Ausstellung „Our Vampires“ in der Galerie Sperling ist eine gelungene Gegenüberstellung zeitgenössischer Vorstellungswelten zwischen rätselhafter Komik und schauriger Melancholie. In dieser Widersprüchlichkeit verunsichern die Arbeiten auf positive Weise. Denn während man sie genauer inspiziert, wird man das Gefühl nicht los, im nächsten Augenblick auf einen unerwarteten Plottwist zu stoßen. 

WANN: Die Ausstellung „Our Vampires“ läuft noch bis Samstag, den 29. Januar 2022.
WO: Galerie Sperling, Regerplatz 9, 81541 München.

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