Die Top 10 Länder-Pavillons
Biennale Arte 2022 in Venedig

4. Mai 2022 • Text von

Die Jury der Biennale Arte 2022 hat ihre Entscheidung getroffen. Demnach ist der beste nationale Beitrag der britische Pavillon von Sonia Boyce. Aber man soll sich ja immer eine Zweitmeinung einholen – auch bei Kunst. Daniela Grabosch von YYYYMMDD verrät, welche Länderpavillons bei ihr besonders Eindruck hinterlassen haben.

Schweiz: Latifa Echakhch, Daenemark: Uffe Isolotto, Deutschland: Maria Eichhorn. Fotos: Daniela Grabosch.

Schweiz: Latifa Echakhch

„The Concert“, kuratiert von Alexandre Babel und Francesco Stocchi

Ich glaube es sind die roten Fenster, die mich triggern. 
Ich betrete Schotter – vermischt mit Überresten von Verbranntem. Ruß. Der Geruch von etwas, das schon vergangen ist. 
Am Ende Dunkelheit. 
Lichtblitze. Meine Augen, die versuchen sich zu adaptieren. Auf dem Rückweg – die roten Fenster. Verkohltes Holz.
Ein Drumset.

Dänemark: Uffe Isolotto

„We Walked the Earth“, kuratiert von Jacob Lillemose

Ich weiß nicht mehr, ob es wirklich so war, aber in meiner Erinnerung rieche ich feucht gewordenes, fermentiertes Heu. Das bringt mich gedanklich sofort an einen Ort. 
Der Raum ist warm und klamm. Die verschmutzten Wände bröckeln. Sci-fi Stalltüren und Tränken. Farbiges Metall im Neonlicht. Flüssigkeiten und Körper.
Atemlose Kentauren – hyperreal – zwischen hier, gestern und übermorgen. 

Deutschland: Maria Eichhorn

„Relocating a Structure“, kuratiert von Yilmaz Dziewior

Ich stelle mir den Raum ohne die vielen Menschen beim Pre-Opening vor. Und spüre die Stille. 
Weißer Text auf weißer Wand. Ich bin gezwungen, mich zu fokussieren. Meine Gedanken driften. 
Abgetragene Wandfarbe. Freigelegte Ziegelsteine. Beton. Eine Absperrung. Das Fundament liegt vor mir.
Durch die Fenster sehe ich Bäume und der Himmel ist blau. Was würde ich ohne die Wände alles sehen? 

Rumänien: Adina Pintilie, Frankreich: Zineb Sedira, Finnland: Pilvi Takala. Fotos: Daniela Grabosch.

Rumänien: Adina Pintilie

“You Are Another Me – A Cathedral of the Body”, kuratiert von Cosmin Costinas und Viktor Neumann

Ohne es zu wissen, stehe ich im Pavillon neben einem der Protagonisten der Arbeit. Ein paar Tage später sehe ich ihn in einem Interview auf meinem Computerbildschirm wieder.
Er sagt dort etwas über sich selbst, was mich sehr berührt. Bewusst leben. 
Intimitäten, (politische) Körper, Verbindungen und Empathie – ohne Vorurteile. 
Zurück in Wien merke, dass ich mir die Arbeit gerne nochmal ansehen möchte – ohne die vielen Geräusche um mich herum. Mit Zeit und nicht im Trubel eines Openings. *

* Dieses Gefühl habe ich bei allen zeitbasierten Arbeiten, die ich auf der Biennale gesehen habe. 

Frankreich: Zineb Sedira

„Dreams Have No Titles“, kuratiert von Yasmina Reggad, Sam Bardaouil und Till Fellrath

Ich stehe mitten in einem Filmset. Konstruiert. Zwischen Realität, Fiktion, Dokumentation und Narration. 
Lichtequipment, Monitore, Markierungen, Requisiten – (historische) Referenzen.
Ich bewege mich langsam.
Beobachtend werde ich zu einem Teil der Installation.
Am Ende verlasse ich das Filmtheater durch die Hintertür. 

Finnland: Pilvi Takala

„Close Watch“, kuratiert von Christina Li

Eine nahezu undurchsichtige Polizei-Spiegelwand teilt den Raum. Ich kann nur schemenhaft erkennen, was sich dahinter auf der anderen Seite verbirgt. Aber ich sehe Personen. Ich fühle mich beobachtet. (Macht-) Verhältnisse. Spatial politics. 
Inside(r)/Outside(r). Sich verschiebende Hierarchien. Hier kann ich beide Seiten betreten. Beliebig oft wechseln. 
Es gibt Situationen, in denen sich die Blicke durch die Spiegelwand treffen. Voraussetzung – beide Individuen stehen trotz räumlicher Trennung eng beieinander. 
Ich hatte so einen Moment. 

Niederlande: Melanie Bonajo, Portugal: Pedro Neves Marques, Litauen: Robertas Narkus. Fotos: Daniela Grabosch.

Niederlande: melanie bonajo

„When the body says Yes“, kuratiert von Orlando Maaike Gouwenberg, Geir Haraldseth und Soraya Pol

Ich bin am anderen Ende der Stadt. Das Licht in der Chiesetta ist schwach, aber warm. Ich ziehe meine Schuhe aus und bewege mich über den gepolsterten Untergrund. 
Farben und Materialien – matt, glänzend, glitzernd und reflektierend. Flauschig und glatt. Hart und weich. 
Ich setze mich hin und lehne mich an. Für einen Moment verschwindet mein Körper in dieser organisch fluffigen Landschaft. 
(Isolierte) Körper im Raum verhandeln Intimität, Nähe und Distanz – togetherness. 
Wie schnell lasse ich mich selbst los? 
„How do you feel when your body says Yes?“ (Zitat aus dem Ausstellungstext von Melanie Bonajo)

Portugal: Pedro Neves Marques

“Vampires in Space”, kuratiert von João Mourão und Luís Silva

Ein Raumschiff im Palazzo. Auf dem Weg zu einem weit entfernten, erdähnlichen Exoplaneten – „In space it’s always night“ (Zitat aus dem Ausstellungstext von João Mourão + Luís Silva) 
Umgeben von Leichtbaustrukturen beobachte ich die Crew und werde ein Teil von ihr. Ich spüre ihre Nähe. Bewege mich mit. Für einen Moment vergesse ich, wo ich bin, und schwebe. 
Erinnerungen. Fiktion und Szenarien einer möglichen anderen Zukunft.

Litauen: Robertas Narkus

„Gut Feeling“, kuratiert Neringa Bumblienė

Türkisblaues Neonlicht. Algen. Kühlschränke. Ein Industrie-Laufband. Konservendosen. Kisten. 
Organische Materialien. Automatisierte Abläufe. Ständige Wiederholung. Unaufhaltsame (Massen-) Herstellung. 
Produktionsstätte? Labor? Shop?
Für? Ein „mysteriöses“ Produkt aus Algen, in der Lagune gesammelt. Wakame – eine invasive Spezies. 

Italien: Gian Maria Tosatti, USA: Simone Leigh, Belgien: Francis Alys. Fotos: Daniela Grabosch.

Italien: Gian Maria Tosatti

“History of the Night and the Fate of Comets, kuratiert Eugenio Viola

Es regnet in Strömen. Wir müssen warten – einzeln. Security Personal regelt den Eingang. Maintain silence. 
Ein verlassener Ort. Maschinen, Lüftungsrohre, Metalltreppen und knarrende Türen. Eine leere Wohnung. Der Abdruck eines Kreuzes an der Wand. Ein Doppelbett. Verstaubte Gardinen. 
Ich schaue durch ein leicht getöntes Fenster – in eine Halle mit Nähmaschinen. Blaues Garn. 
Es riecht nach Chlor. 
Ein geflutetes Reservoir im Dunklen. Ein Lager ohne Inhalt. 

Knapp vorbei an den Top 10, aber unbedingt erwähnenswert: Japan: Dumb Type (Shiro Takatani, Ryuichi Sakamoto, Ken Furudate, Satoshi Hama, Ryo Shiraki, Marihiko Hara, Hiromasa Tomari, Takuya Minami, Yoko Takatani), Australien: Marco Fusinato, Ungarn: Zsófia Keresztes, Österreich: Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl, USA.: Simone Leigh, Belgien: Francis Alÿs, Großbritannien: Sonia Boyce und Argentinien: Monica Heller

Elaine Cameron-Weir, Delcy Morelos, Giulia Cenci. Fotos: Daniela Grabosch.

In der Hauptausstellung haltet Ausschau nach Arbeiten von Elaine Cameron-Weir, Hannah Levy, Delcy Morelos, Mire Lee, Sandra Mujinga, Precious Okoyomon, Wu Tsang und Giulia Cenci.

WANN: Die Biennale Arte 2022 läuft bis zum 27. November.
WO: Venedig.

Ihr plant eine Reise zur Biennale? Wir haben Tipps für Kunst-Ausstellungen in Venedig.

Ihr seid hin und weg von Daniela Graboschs Kunstgeschmack? Dann ab zu YYYYMMDD.

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