Mehr als Reduktion
Maria Eichhorn im Deutschen Pavillon der Kunst-Biennale

30. Mai 2022 • Text von

Maria Eichhorns Beitrag zur 59. Biennale di Venezia ist zugleich Konzeptkunst, eine architektonische Intervention und partizipative Erinnerungskultur. Ihre künstlerische Strategie des Zeigens und Offenlegens von vorhandenen Strukturen könnte den Nullpunkt in der Auseinandersetzung mit der Architektur des Deutschen Pavillons darstellen.

Maria Eichhorn, Relocating a Structure. Deutscher Pavillon 2022, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, 2022, Detail: Nahtstelle zwischen den Gebäudeteilen von 1909 und von 1938; Wandbeschriftungen; Durchgang von 1909 zum vorderen linken Nebenraum, 1938 zugemauert; Durchgang von 1909 zum hinteren linken Nebenraum, 1928 zugemauert; Fundament der Gebäuderückwand von 1909; Gebäuderückwand von 1909, Innenwand von 1938, 1964 abgerissen, Ausstellungsansicht © Maria Eichhorn / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Jens Ziehe.

Für die Bespielung des Deutschen Pavillons hat der Kurator Yilmaz Dziewior die in Berlin lebende Künstlerin Maria Eichhorn eingeladen, die für ihre institutions- und gesellschaftskritische Praxis bekannt ist. In der Vergangenheit arbeiteten sie bereits mehrfach zusammen, zum Beispiel als sich Eichhorn von der Stadt Köln anstellen ließ und anschließend den gesamten Verwaltungsprozess beziehungsweise Papierkram im Museum Ludwig ausstellte, um die bürokratischen Strukturen zu zeigen sowie die Interpendenz von Arbeit, Wert und Zeit. Fragestellungen über Arbeitsbedingungen offenbarte auch ihre Einzelausstellung 2016 in der Chisenhale Gallery London, die über die gesamte Laufzeit von fünf Wochen geschlossen blieb, während alle Angestellten weiterhin regulär vergütet wurden. Das Offenlegen von Strukturen, und zwar architektonischer und damit verbunden ebenso politischer hat sich Eichhorn auch in den Giardini zum Thema gemacht.

Deutscher Pavillon, Außenansicht, © ifa – Institut für Auslandsbeziehungen, Foto: Ugo Carmeni.

Eichhorns Beitrag mit dem Titel „Relocating a Structure“ ist vielschichtiger als die reduzierte Präsentation zunächst erscheint, denn es geht nicht nur um das Abtragen und Zeigen historischer Putzschichten an der Bausubstanz vor Ort. Die Idee der 1962 geborenen Künstlerin war es, den Pavillon an einen anderen Ort zu versetzen und später wieder zu relokalisieren. Nach ausführlicher Recherche und Berechnung wäre dies tatsächlich möglich gewesen und hätte vermutlich zu großem Erstaunen aller Besucher*innen geführt. Der Gedanke ist auch insofern interessant, als geopolitische Machtstrukturen anhand der Pavillon-Standorte der jeweiligen Nationen sichtbar sind, die Eichhorn einfach unterlaufen wäre. Ein Teil des Pavillons ist also ein prozessbasiertes Konzeptkunstwerk.

Maria Eichhorn, Relocating a Structure. Deutscher Pavillon 2022, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, 2022, Detail: Gebäuderückwand von 1909, 1938 als Innenwand verputzt; Nahtstelle zwischen den Gebäudeteilen von 1909 und von 1938; Wandbeschriftungen; Durchgang von 1909 zum vorderen linken Nebenraum, 1938 zugemauert; Durchgang von 1909 zum hinteren linken Nebenraum, 1928 zugemauert; Gebäuderückwand von 1909, Innenwand von 1938, 1964 abgerissen; Fundament der Gebäuderückwand von 1909, Ausstellungsansicht © Maria Eichhorn / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Jens Ziehe. // Maria Eichhorn. Foto: Jens Ziehe.

Manchen ist bekannt, dass ursprünglich 1909 der Bayerischer Pavillon an dieser Stelle erbaut wurde. Es folgte 1912 die Umbenennung als Deutscher Pavillon, bis die Nationalsozialisten dann 1938 das Gebäude nach ihren architekturideologischen Vorstellungen in sein heutiges Erscheinungsbild umbauten und vergrößerten. An der geschichtsträchtigen Architektur haben sich in der Vergangenheit bereits viele Künstler*innen abgearbeitet. Hans Haackes Zertrümmerung des Bodens von 1993 stellt wohl das bekannteste Beispiel dar.

Eichhorn legt nun die „Nahtstellen“ der Architektur des Pavillons frei, was dazu führt, dass man anhand von Ausschnitten roher Ziegelwände und offenem Fundament nachvollziehen kann, wo welche baulichen Veränderungen am Gebäude stattgefunden haben. Ein breites Loch im Boden legt die ehemalige hintere Außenwand frei sowie überraschenderweise die Reste von Kippenbergers U-Bahnschacht von 2003. Eichhorn trifft auch eine Aussage, indem der durch die NS-Architektur erweiterte Bereich der Apsis dahinter leer bleibt und den Besucher*innen versperrt ist. Sanfte weiße Wandbeschriftungen über dem freigelegten Mauerwerk kommentieren und datieren die baulichen Umbrüche.

Maria Eichhorn, Relocating a Structure. Deutscher Pavillon 2022, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, 2022, Detail: Nahtstelle zwischen den Gebäudeteilen von 1909 und von 1938; Fundament der Gebäuderückwand von 1909; Gebäuderückwand von 1909, Innenwand von 1938, 1964 abgerissen; Durchgang von 1909 zum rechten Nebenraum, 1912 zugemauert, Ausstellungsansicht © Maria Eichhorn / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Jens Ziehe.

Eichhorns Beitrag besteht zusätzlich noch aus einem partizipativen Teil, denn zweimal wöchentlich finden Führungen durch die Stadt zu Orten der Erinnerung und des antifaschistischen Widerstandes statt. Norditalien war in den letzten beiden Jahren des zweiten Weltkriegs unter deutscher Besatzung, in Venedig trafen Faschistinnen, Partisaninnen und deutsche Truppen aufeinander. Die Spuren der Geschichte führen ins Ghetto wo Gedenktafeln an die jüdische Bevölkerung erinnern, an den Bahnhof Santa Lucia, wo eine Säule die Namen von Bahnangestellten trägt, die bei der Flucht auf das Festland halfen oder in die unmittelbare Nähe der Biennale, wo Carlo Scarpas Denkmal für die Partisanin Venetiens stand.

Maria Eichhorn, Relocating a Structure. Deutscher Pavillon 2022, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, 2022, Detail: Wand­ beschriftungen; Durchgang von 1909 zum Hauptraum, 1912 zugemauert, 1928 geöffnet, 1938 zugemauert; Durchgang von 1909 zum vorderen linken Nebenraum, 1938 zugemauert; Wand von 1909 zwischen zwei Nebenräumen, 1938 abgerissen; Durchgang von 1909 zum hinteren linken Nebenraum, 1928 zugemauert; Durchgang von 1909 zum Hauptraum, 1912 zugemauert, Ausstellungsansicht © Maria Eichhorn / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Jens Ziehe.

Der Deutsche Pavillon von Maria Eichhorn ist leise und minimalistisch im Vergleich zu den meisten anderen Präsentationen in diesem Jahr. In der Geste des Abtragens, des Wegnehmens, in der Reduktion auf Grundstrukturen liegt die Stärke von Eichhorn. Die Erwartungen an sie waren hoch, kennt man die beschriebenen intelligenten früheren Konzepte, mit Institutionen und Geschichte einen kritischen Umgang zu finden. Dass sich Eichhorn vor diesem Hintergrund auf den Kontext der deutschen Vergangenheit und ihrer Bewältigung bezieht, erscheint somit nur konsequent. Möglicherweise ist nun auch ein Nullpunkt erreicht und zukünftig können sich die Künstler*innen im Deutschen Pavillon wieder vorwärtsgewandteren Themen widmen.

WANN: Die 59. Biennale di Venzia läuft noch bis zum 27. November 2022.
WO: Deutscher Pavillon, Giardini, Venedig.

Mehr zur Kunst-Biennale? Wir hätten da eine Übersicht über die Top 10 Länder-Pavillons von Daniela Grabosch parat. Außerdem eine Übersicht über die besten Ausstellungen in Venedig abseits von Giardini und Arsenale.

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