Die Schönheit des Unperfekten
Die Künstlerin Sofia Stevi über das Potenzial von Kunst, Kalligraphie und den weiblichen Körper

21. Juli 2021 • Text von

Ihre in schwarz-weiß gehaltenen Körper haben Rundungen, entsprechen keinem gängigen Schönheitsideal und fallen durch unnatürliche Proportionen auf. Aber gerade durch diese kaum stilisierte, natürliche Darstellungsweise verleiht die griechische Künstlerin Sofia Stevi ihren Werken eine besondere Ausdruckskraft. Momentan ist ihre Kunst bei ALMA ZEVI in Venedig ausgestellt. Gallerytalk.net sprach mit Stevi über Schönheitsoperationen und wie sie dazu kam, Baumwoll-Shirts zu bemalen.

Einblick in die Galerie Alma Zevi in Venedig
Sofia Stevi, The Somnambulists, ALMA ZEVI Venice, 16 April – 31 July 2021 Photo credits: Enrico Fiorese, Courtesy: The Artist and ALMA ZEVI.

gallerytalk.net: Ich bin gerade aus Athen zurückgekommen und war richtig begeistert von der Stadt. Wie, würdest du sagen, ist die momentane Situation für zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen dort?
Kurz bevor die 14. Ausgabe der documenta 2017 in Athen stattfand, war die Stadt sehr vielversprechend für die junge Kreativszene. Ich bin damals von London nach Athen gezogen und habe hier einen Projektraum gegründet. Die documenta war wirklich ein Schritt für die zeitgenössische Kunstszene der Stadt. Besucher und Besucherinnen waren aus verschiedenen Ländern gekommen, und die Galerien hatten beeindruckende Ausstellungen gezeigt. Heutzutage ist es im Vergleich zu damals ein bisschen langweilig geworden. Aber wir haben immer noch eine Menge Möglichkeiten.

In deinen Bildern, die du in deiner aktuellen Ausstellung “The Somnambulists” bei ALMA ZEVI in Venedig zeigst, versuchst du unser Inneres unsere Angst, Liebe und alle Arten von menschlichen Gefühlen deutlich zu machen. Ich habe mich gefragt, ob diese Suche auch durch das Jahr mit der Pandemie ausgelöst wurde?
Nicht wirklich, denn eigentlich sind diese Bilder schon älter. Aber Alma bat mich, sie zu zeigen, und ich dachte, dass sie in dieser seltsamen Situation einen Sinn ergeben. Als die Pandemie losging, hatte ich nicht wirklich das Bedürfnis, Kunst zu machen − ich habe mich gefragt, na ja, was ist der Sinn in diesen schwierigen Zeiten? Das hier ist größer als alles andere. Ich hatte gerade eine Ausstellung in einem Projektraum in Athen kuratiert, mit Künstlerinnen wie Agnieska Polska, Nana Sahnig, Constance Tenvik und Marianne Vlaschits. Wir hatten die Eröffnung eine Woche vor dem Lockdown. Ich erinnere mich, dass ich zu meinem Partner sagte, dass wir jetzt eine Woche zu Hause bleiben müssten. Daraus wurden dann eineinhalb Jahre.

Drei schwarz-weiße Arbeiten von nahem.
Sofia Stevi, The Somnambulists, ALMA ZEVI Venice, 16 April – 31 July 2021 Photo credits: Enrico Fiorese, Courtesy: The Artist and ALMA ZEVI.

Glaubst du, dass die Menschen in dieser Zeit des Lockdowns mehr auf ihren Körper gehört haben? Einfach, weil man in der Zeit zu Hause mehr mit sich selbst beschäftigt war?
Glücklicherweise lebe ich nicht alleine und habe einen Partner. Allerdings sind viele meiner Freunde Singles, sie verbrachten viele Monate nur mit sich selbst. Ich denke schon, dass viele Menschen eine engere Beziehung zu ihrem Körper dadurch aufgebaut haben oder sich eher erlaubt haben zuzuhören, was in ihnen vorgeht.

Körper in deinen Bildern aus der “Bodily form”-Serie (2018) haben etwas sehr Natürliches an sich. Sie erinnern mich manchmal an Arbeiten der französischen Künstlerin Annette Messager. Du versuchst auch, deine Körper in keiner Weise zu stilisieren, richtig?
Nein, die Körper und ihre Haltungen sollten natürlich und zerbrechlich sein. Ich male sie sehr schnell. Mit einem Pinselstrich, das gibt ihnen tatsächlich Bewegung. Ich verwende nur Tusche, da sind dann auch keinerlei Fehler erlaubt.

Eine Frau, die auf einem Balkon sitzt
Porträt Sofia Stevi, Courtesy the artist.

Alle Werke, die du bei ALMA ZEVI zeigst, sind mit Tusche gezeichnet. Kommt das von deiner Ausbildung als Grafikdesignerin? Die feinen Linien erinnern mich sehr an Kalligraphie.
Ich habe Typographie studiert, was sehr mit Kalligraphie verbunden ist. Ich hatte einige Klassenkollegen und Kolleginnen, die wirklich großartige Kalligraphen waren. Man muss allerdings sehr geduldig sein, um wirklich gut darin zu sein. Und, sagen wir mal, eine starke Persönlichkeit haben. Ich konnte das jedoch nicht. Ich habe diese Leute wirklich bewundert, und vielleicht habe ich deshalb angefangen, etwas Neues zu machen, aber mit dem gleichem Material. Als ich als Künstlerin anfing, gab mir jemand mal einen sehr guten Rat: “Du musst Design vergessen”. Denn als Designer, musst du etwas Angenehmes kreieren. Aber Kunst ist nicht dasselbe. Ich habe fast versucht, nicht zu mögen, was ich mache.

Ein nackter Frauenkörper auf einer Leinwand
Sofia Stevi, The Somnambulists, ALMA ZEVI Venice, 16 April – 31 July 2021 Photo credits: Enrico Fiorese, Courtesy: The Artist and ALMA ZEVI.

Was ist denn deiner Meinung nach, der bedeutendste Unterschied zwischen Design und Kunst?
Wenn man ein Designer ist, arbeitet man für andere Menschen. Man versucht zu kommunizieren. Man kommuniziert auch als Künstlerin, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Man kümmert sich nicht darum, ob die Leute mögen, was man macht oder nicht. Es geht nicht darum, jemandem zu gefallen. Manchmal sehen die Leute Kunst, und es öffnet ihnen die Augen. Kunst ist eher psychologisch.

Du arbeitest auch mit Baumwolle. Kommt das noch von deiner Ausbildung zur Graphikdesignerin?
Das geschah aus zwei Gründen. Der eine war, dass ich irgendwie Angst hatte, auf Leinwand zu arbeiten, was ich jedoch heute mache. Vor ein paar Jahren war ich in London und übernachtete in Almas Haus, was eine Art persönliche „Residency“ war. Sie hat mir einige Vintage-Klamotten gegeben, teilweise sehr schöne Baumwoll-Shirts. Dann habe ich begonnen, mit Tinte auf ihnen zu zeichnen. Seitdem ist Baumwolle Bestandteil meines Werkes. Die Kombination von Baumwolle und Tinte ist wirklich schön. Ich mag das sehr.

Zwei schwarz-weiß gemalte Körper vor buntem Hintergrund.
Sofia Stevi, The Somnambulists, ALMA ZEVI Venice, 16 April – 31 July 2021 Photo credits: Enrico Fiorese, Courtesy: The Artist and ALMA ZEVI.

Die Inspiration kam also mehr oder weniger durch Alma?
In gewisser Weise ja (lacht)!

Mir gefällt, dass deine Körper verletzlich scheinen. Wir werden ja täglich mit perfekten Körpern auf beispielsweise Instagram konfrontiert. Man verhält sich so, als wäre es das Wichtigste, dass man fit bleibt. Wie siehst du das?
Wir leben in einer sehr visuellen Generation. Alle sehen gleich aus − auch durch plastische Chirurgie. Ich glaube, wir wissen kaum mehr, was Schönheit bedeutet. Bei Schönheit geht es um Charakter und Differenzen. Sogar die Models in der Vergangenheit hatten unterschiedliche Gesichter. Sie waren echt und natürlich. Ich glaube, viele Frauen mögen meine Arbeit gerade deshalb, weil die Körper, die ich male, nicht perfekt sind. Viele Sammlerinnen von mir sind Frauen. Vielleicht geht es darum, sich wohl zu fühlen. Ich bin eine Frau, und natürlich Feministin – meine Kunst geht somit auch über die Power von uns Frauen!

WANN: Die Ausstellung “The Somnambulists” ist noch bis Samstag, den 31. Juli, zu sehen.
WO: ALMA ZEVI, Venice Projects, San Marco 3208, Salizzada Malipiero, 30124 Venedig.

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