Tänzelnd in Venedig Bruce Nauman in der Punta della Dogana
11. Juni 2021 • Text von Teresa Hantke
Er spielt, provoziert und hinterfragt was künstlerische Praxis eigentlich ausmacht. Der amerikanische Künstler Bruce Nauman probierte sich in seiner langen Schaffenszeit an verschiedenen Medien wie Fotografie, Performance bis hin zu Video. Der Palazzo Grassi – Punta della Dogana ehrt einen der großen zeitgenössischen Künstler seit Ende Mai mit einer Einzelausstellung.

Tänzelnd bewegt man sich durch die eindrucksvollen Hallen der Ausstellungsräume Punta della Dogana. Man wird geleitet von einem Durcheinander von Klavierklängen und den surrenden Geräuschen, die aus einem der zahlreichen Videoprojektionen in der Ausstellung stammen, und streicht durch die beeindruckenden Hallen des ehemaligen Zollgebäudes von Venedig an der Landzunge, wo sich der Canal Grande mit dem Canale della Giudecca trifft.

Das dreiecksförmige Gebäude ist als Ausstellungshaus neben dem dazugehörenden Palazzo Grassi in Venedig und der kürzlich eröffneten Bourse de Commerce in Paris, ein Teil der Pinault Collection – die Sammlung des französischen Unternehmers und Kunstsammlers François Pinault. Und es ist wohl kein Zufall, dass die von Carlos Basualdo und Caroline Bourgeois konzipierte Ausstellung “Bruce Nauman: Contrapposto Studies” ausgerechnet in der Lagunenstadt das Werk eines zeitgenössischen Künstlers präsentiert, der bereits eng mit der jüngeren Kunstgeschichte von Venedig verbunden ist. 2009 erhielt Nauman den Goldenen Löwen für seinen Beitrag zum amerikanischen Länderpavillon auf der Biennale.

Während Nauman 2009 mit skulpturalen Arbeiten überzeugte, liegt der Fokus der diesjährigen Ausstellung auf grundlegenden Aspekten seines künstlerischen Œuvres – das Künstleratelier als Ort der Kreation sowie das Ausgrenzen körperlicher Grenzen in Performances. “I want my art to be vehement and aggressive because that forces people to pay attention.” Dieser Wunsch nach Aufmerksamkeit wird in den Variationen von Naumans gezeigten “Contrapposto Studies” durchaus deutlich. Nicht laut, schrill, wie es häufig in der zeitgenössischen Kunst geschieht, sondern gekonnt subtil und nicht ohne Komik.

Naumans 2015 und 2016 entstandene Videoinstallationen mit dem Titel “Contrapposto Studies, I Through VII”, deren Präsentation sich über die gesamte Haupthalle des Museums erstreckt, beziehen sich auf die 1968 entstandene Einkanal-Videoarbeit “Walk with Contrapposto”. Gekleidet in weißem T-Shirt und Jeans schiebt sich Nauman in diesem Video die Hüfte von rechts nach links schwingend, einen schmalen Holzkorridor entlang. Abwechselnd bleibt er mit einem gestreckten sowie angewinkelten Bein in der Haltung des Kontraposts stehen. Michelangelos’ David oder die Venus von Milo – sie alle kennzeichnet jenes Gestaltungsmittel, ein Wechselspiel von Stand- und Spielbein zum Ausbalancieren der Gewichtsverhältnisse.

In seinen neuesten Videoarbeiten balanciert Nauman durch sein Atelier, tritt laut mit dem Absatz seiner Cowboystiefel auf, scheint durch andauernde Wiederholung der Bewegung dem Idealstandbild der antiken Bildhauerei und Renaissance nachzueifern, es herauszufordern. Besonders amüsant wirkt dies, wenn man sich dabei die Vielzahl der in Kontrapost gestalteten Skulpturen in den Fassadennischen oder Innenräumen der Kirchen Venedigs in Erinnerung ruft, die sich beinahe an jeder Ecke der Stadt präsentieren. Es ist das erste Mal, dass Nauman mit “Contrapposto” explizit ein früheres Werk aufgreift und dieses mit neuesten technischen Möglichkeiten weiterdenkt.

So zeigt er mit den beiden Arbeiten “Contrapposto Split” (2017) und “Walking a Line” (2019) ebenfalls den Kontrapost-Lauf durch sein Atelier, diesmal jedoch entwickelt mit Hilfe von 3D-Technologie. Vor den immer surrealer wirkenden Videos sitzt man schließlich mit 3D-Brille und blickt einem nun gealtertem Körper zu, der sichtlich schwerer das Gleichgewicht ausloten kann, beim Auf- und Abschreiten seines Ateliers zu. Teilweise wirkt Naumann unbeholfen. Die Geradlinigkeit, die sich noch in den Videos von 1968 zeigt, ist verflogen. Nicht zuletzt mag dieser Eindruck durch den Einsatz neuer Technologien und die plastischere Darstellung seines Körpers durch die 3-D-Technik verstärkt sein.

Auch sein Studio hat Nauman durch ein interaktives Mapping in “Nature Morte” (2020) als 3D-Scan in seine Arbeit eingewoben. Vom Experimentieren mit Videobändern, als die Technologie zum ersten Mal verfügbar war, bis hin zum Einsatz der neuesten 3D-Technologie, hat sich Nauman selbst immer in die Position eines Probanden versetzt. Er hat mediale Grenzen ausgelotet und ist dabei einmal mehr auf den Ursprung aller Möglichkeiten zurückgekehrt, die er mit dem Einsatz seines Körpers in seinem Atelier, dem Arbeitsort schlechthin, erlangen kann. Immer wieder schaukelt man beim Besuch der Ausstellung mit Nauman mit, wippt von Seite zu Seite und ist beim Austritt doch erleichtert, sich in normalem Gang fortzubewegen und an jahrhundertalten Skulpturen, die im lässigen Kontrapost gestaltet sind, vorbeizugehen.
WANN: Die Ausstellung “Bruce Nauman: Contrapposto Studies” läuft bis 9. Januar 2022.
WO: Palazzo Grassi – Punta della Dogana, Dorsoduro 2, 30123 Venedig, Italien.