Das Blaue Wunder
Wu Tsangs "Lovesong"

1. Oktober 2021 • Text von

Die Installation “Lovesong” der Künstlerin Wu Tsang in der Galerie Isabella Bortolozzi bildet eine transzendentale Erfahrung in Raum und Klang. Das filmische Portrait über den Komponisten und Soundkünstler Beverly Glenn-Copeland verbindet visuelle Farbwirkung mit intensiven Klangebenen. Der blaue Galerieraum als Ort der Spiritualität, Erlösung und Selbstreflexion. 

Das Bild zeigt ein Detail der Arbeit  "Lovesong (with Tapiwa)" der Künstlerin Wu Tsang in der Ausstellung "Lovesong" ind der Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.
Wu Tsang, “Lovesong (with Tapiwa)“, 2021, Detail. Courtesy of the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin. Photo: Graysc.de.

Atem. Bewegung. Spiritualität. Der Hauptraum der Galerie Isabella Bortolozzi ist in Dunkel gehüllt, in der Mitte ein Band in fließendem Blau. Oder ein Fluss aus blauem Band? Zu den Atemgeräuschen treten Stimmen hinzu, der Atem verwandelt sich in Gesang. Nacheinander werden Cello-Klänge, Klavier, Trommel und Kontrabass vernehmbar. Auf dem blauen Band, einem von der Decke bis über den Boden reichenden Vorhang, erscheinen Bilder: Hände auf einer Klaviertastatur, das Gesicht und der Oberkörper eines Mannes, offensichtlich der Lead des Gesangs, seine Hände und Arme vor blauem Hintergrund. Die Gestik spiegelt den Klang der Musik.

Der Mann ist Beverly Glenn-Copeland, Sänger, Komponist, und Soundkünstler. Mit einem Œuvre zwischen Jazz-, Blues-, Pop- und elektronischer Musik vermittelt “Lovesong” das Spirituelle: Lange, sich ausbreitende Klänge, A Capella-Phasen abgewechselt von weichen Instrumental-Spuren; oder staccato Trommelschlag. Angelehnt an spirituelle Call-and-Response Praktiken scheinen die Klänge wie in einem Rund umher zu kreisen. Die Musik ist Flow, der ganze Raum ist Schall – ein Tonraum. Das Fließen der Musik findet Form im Fließen des Stoffs.

Wu Tsang, “Anthem”, 2021, Doppelansicht mit zwei Filmstills. Courtesy of the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin. Photo: Graysc.de.

Die Musik wird fröhlicher, leichter, ein sanftes Crescendo, Trommelschlag. Die Hände Glenn-Copelands scheinen aufgehende Blüten, seine Gestik offenbart Hingabe, sein ganzer Körper ist ein Aufgehen in der Musik. Auf der Krawatte des Künstlers sind zwei heulende Wölfe vor einem Halbmond aufgestickt, auch sie scheinen Teil der Raum-Klang-Situation. Das Bild wird zu einem Horizont von Meer und Wolken; die Falten des Vorhangs kreuzen die Wellen des Bildes – Bewegung, Weite.

“Deep river
My home is over Jordan
Deep river, Lord
I want to cross over into camp ground

Oh don’t you want to go
To that gospel, gospel feast
That promised land
Where all is peace.”

Das Bild zeigt eine Installationsansicht der Ausstellung "Lovesong" der Künstlerin Wu Tsang in der Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.
Wu Tsang, “Lovesong”, Installationsansicht, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin. Courtesy of the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin. Photo: Graysc.de.

Der blaue Vorhang als Fluss, die verschiedenen Blautöne scheinen wie Tageszeiten: Früher Morgen, Abenddämmerung. Ein wiederkehrender Kreislauf. Blau als die Farbe des Göttlichen, Überirdischen; der Klarheit, Treue, und Aufrichtigkeit – a “Lovesong”. Glenn-Copelands Blick streift für einen Augenblick die Kamera, er scheint als Retter und Suchender zugleich.

Der hintere Raum der Galerie ist leer bis auf eine Sitzbank. Die Tonspur des Vorraumes ist zu vernehmen. Vor den halb geöffneten Fenstern sind rechteckige Platten aus blauem Glas angebracht, Assoziationen an Kirchenfenster. Auf der blauen Farbe sind die Worte “Liebeslied” und “Lovesong” zu lesen. Ohne das Nirwana je besucht zu haben, diese Situation kommt der Idee wohl recht nahe. 

Das Bild zeigt eine Installationsansicht der Ausstellung "Lovesong" der Künstlerin Wu Tsang in der Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.
Wu Tsang, “Lovesong”, Installationsansicht, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin. Courtesy of the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin. Photo: Graysc.de.

Der vordere Raum der Galerie bildet einen Bruch. Glenn-Copeland und seine Partnerin Elizabeth Glenn-Copeland im Gespräch. Was als Ausdruck inniger Liebe intendiert ist, erscheint als zur Schau gestellte Manifestation. Aber diese Wahrnehmung mag Unterschieden in der Kultur geschuldet sein. Das Cremeweiß des Teppichs im Galerieraum erinnert an die noble Ausstattung einer Psychotherapeutenpraxis. Selbst-Reflexion als Weg zur Erlösung. Ob in Wort oder Klang, bleibt den Besucher*innen selbst überlassen.

WANN: Die Ausstellung “Lovesong” ist noch bis Samstag, den 30. Oktober zu besuchen.
WO: Galerie Isabella Bortolozzi, Schöneberger Ufer, 10785 Berlin.

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