Verlorene Mythen auf Papier
Das artspring-Festival in der Galerie Pankow

9. Juni 2022 • Text von

“Der Mythos ist hin” – so lautet der Titel des Kunstfestivals artspring Berlin 2022, in dessen Zentrum eine gleichnamige Ausstellung in der Galerie Pankow steht. Darin zu sehen: 80 künstlerische Arbeiten auf Papier. Eine vielfältige Schau der zeitgenössischen, künstlerischen Landschaft von Pankow sowie der perfekte Ausgangspunkt für einen Spaziergang durch die offenen Ateliers.

Ausstellungsansicht “Der Mythos ist hin”, Galerie Pankow, 2022, Foto: Julia Brodauf.

Kaum ein anderer Bezirk in Berlin steht derart stellvertretend für den Wandel vom progressiven Szeneviertel hin zum angepassten und gentrifizierten Familienbezirk wie der Prenzlauer Berg. Wo nach Mauerfall und Wende besonders Kneipen, Clubs und andere kulturelle Off-Spaces das Straßenbild prägten, sind es heute Yoga-Studios, Spielplätze und familienfreundliche Cafés – eine Entwicklung, die besonders Kunst- und Kulturschaffenden das Leben schwer macht.

„Der Mythos ist hin“ lautet passend dazu der Titel des diesjährigen artspring Festivals ebenso wie der zentralen Ausstellung des Kunstfestivals in der kommunalen Galerie Pankow. Auf fünf Räume verteilt zeigt die Ausstellung insgesamt 80 Arbeiten von Pankower Künstler:innen und liefert mit einem medial-künstlerischen Fokus auf Papierarbeiten einen umfangreichen Vorgeschmack auf das Herzstück des artspring Festivals in und um Pankow: das Wochenende der offenen Ateliers.

Gentrifizierung und Verdrängung sind seit jeher die zentralen Themen beim artspring Festival. Das Kunstfestival wurde 2017 aus der Idee heraus gegründet, Künstler:innen im Bezirk Pankow mehr Sichtbarkeit zu verschaffen sowie auf die aufgrund von Ausverkauf und Immobilienspekulation teils schwierigen Arbeits- und Ausstellungssituationen im Bezirk aufmerksam zu machen. Nun zeigen Julia Brodauf und Jan Gottschalk mit einem umfangreichen Kunst- und Kulturprogramm bereits zum sechsten Mal, dass die für Kulturschaffende bedrohliche Stadtentwicklung längst auch Bezirke wie Pankow betrifft.

Dagmar Gerster, “it´s your climate too-Nachbilder einer Pandemie“ (2020) / Chus Lopez Vidal „Ich trage meine Geschichte mit“ (2021), Ausstellungsansicht Galerie Pankow, 2022, Foto: Julia Brodauf.

In der zentralen Ausstellung des Festivals in der Galerie Pankow schwingt dieser Gründungsmythos mit, bildet jedoch längst nicht das einzige Tableau, auf dem gesellschaftliche Veränderung verhandelt wird. Die Fotografin Dagmar Gester beispielsweise behandelt in ihren Fotografien den Mythos von der Unverletzlichkeit unserer westlichen Gesellschaften, mit dem nicht zuletzt das Corona-Virus gehörig aufgeräumt hat. 

Für ihre Serie „it’s your climate too – Nachbilder der Pandemie“ fing sie mit ihrer Kamera Momente während der Corona-Pandemie ein, in denen Natur, Gesellschaft und Freiheit in einem Spannungsfeld aus Nähe und Distanz erscheinen. Rot-weiße Absperrbänder werden in den Fotografien zum Symbol für den Ausnahmezustand, für notwendig eingeschränkte Freiheitsrechte ebenso wie für gesellschaftliches Handeln, das zu dieser Situation erst geführt hat.

Liesl Pfeffer, „The Moon“ (2021) / Julia Brodauf, „Akt“ (2022), Ausstellungsansicht Galerie Pankow, 2022, Foto: Julia Brodauf.

Aber auch die Natur als solche, Körperbilder oder das Medium der Malerei finden inhaltlich wie formal eine Auseinandersetzung in den Werken der 80 Künstler:innen. Kassandra Aschenbachs Arbeiten bewegen sich dabei im Reich des Fiktionalen. In ihren Zeichnungen, Druckgrafiken und Künstlerbüchern verhandelt sie Kunstgeschichte und Mythologie und schafft aus ihren Erzählungen humorvolle, künstlerische Geschichten. 

Die Berliner Künstlerin Isabel Pauer, Meisterschülerin von Katharina Grosse, schafft mit ihren Werken hingegen ihre ganz eigenen Mythen. Dinge, Formen, Szenen aus dem Alltag formt Pauer zu ungewöhnlichen Kompositionen, die einen neuen Blick auf die Welt erlauben. 

Schmidt Sandra, “the lost rooms (die verlorenen Räume)“ (2016), Ausstellungsansicht Galerie Pankow, 2022, Foto: Julia Brodauf.

„Der Mythos ist hin“ – mit dem diesjährigen Titel des artspring Festivals Berlin zitieren die Macher:innen einen Film über den Prenzlauer Berg zur Zeit der Wende. Die Protagonist:innen im Film flanieren darin durch ihren Bezirk, ohne diesen zu kommentieren. Ähnlich still verhalten sich auch die Arbeiten in der Galerie Pankow und laden die Besucher:innen ein, sich ihre ganz eigenen Gedanken zu den Mythen rund um Bezirke wie Pankow oder Prenzlauer Berg zu machen, ebenso wie zu solchen, die sich um die Stadt Berlin als solche und die Welt als gesamte ranken. 

Sowohl der Besuch der Ausstellung in der Galerie Pankow als auch ein Blick auf die riesige Liste von insgesamt 330 teilnehmenden Künstler:innen stimmt dabei hoffnungsvoll: Ganz dahin scheint der Mythos eines künstlerisch-kreativen Pankow noch nicht zu sein.

WO: Galerie Pankow, Breite Str. 8, 13187 Berlin.
WANN: Die Ausstellung “Der Mythos ist hin” läuft noch bis Sonntag, den 19. Juni 2022. Das Wochenende der offenen Ateliers findet von Samstag, den 11. Juni bis Sonntag, den 12. Juni 2022 statt. 

Vielen Dank für die schöne Zusammenarbeit, artspring.

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