Pigmentwelten
22. Januar 2016 • Text von Quirin Brunnmeier
Flirrende Farben und komplexe Prozesse. Die Galerie Barbara Gross zeigt in der aktuellen Ausstellung Skulpturen und Leinwände der gefeierten Malerin Katharina Grosse. Und bringt ein Stück Venedig nach München.
In ihren installativen Arbeiten schafft die Malerin Katharina Grosse geradezu anarchische, offene visuelle Systeme. Der Boden und die Decke können zu Teilen des Malgrundes werden, Erde und Steinblöcke, Stoffe und Möbelstücke, Bäume und andere Objekte werden kombiniert und miteinander verwoben. Sie schafft gleichsam organische und komplexe Farb- und Wahrnehmungsräume, die fast keine Grenzen zu haben scheinen. Architektonische Parameter werden in ihren Interventionen getestet und Materialität mit den Mitteln der Malerei, die die Leinwand verlassen hat, in Frage gestellt, Schichten übereinander gelegt. Unter dem Titel „Untitled Trumpet, 2015“ präsentierte die Malerin auf der Biennale 2015 in Venedig solch eine flirrende Farblandschaft. Der von ihr bespielte Saal in den Arsenalen galt als einer der Höhepunkte der von Okwui Enwezor kuratierten Ausstellung.
Ein Fragment dieser Installation steht nun im Zentrum der aktuellen Ausstellung in der Barbara Gross Galerie. Die kantige, wirklich dynamisch wirkende Skulptur, die in der Mitte des Ausstellungsraumes positioniert ist, war in Venedig in den Erdlandschaften des ausufernden Farbraumes eingegraben, wurde nach dem Ende der Ausstellung geborgen und wird nun als eigenständige Arbeit präsentiert. In der Galerie steht sie quasi als Pars pro Toto unterschiedlichen Arbeiten Grosses gegenüber. Ein Tondo dominiert eine zentrale Wand der Galerie. Die Leinwand ist in der unteren Hälfte der kreisrunden Malerei abgerissen und gibt den Blick auf die Holzkonstruktion des Rahmens frei, Spuren von Erde sind zu erkennen. Auch diese Arbeit war ursprünglich Teil einer Raumarbeit, „Pigmentos Para Plantas y Globos“, die 2008 im Museum Artium de Álava im spanischen Vitoria-Gasteiz zu sehen war. Zusammen mit anderen Leinwänden ragte das Bild dort halb bedeckt aus der aufgeschütteten Erde.
Diese Arbeiten, die aus ortsspezifischen Installationen herausgelöst wurden, stehen in der Ausstellung Leinwänden gegenüber, die im Atelier entstanden sind. Feine und mehrschichtige nicht-figurative Malerei, die einen Einblick in den prozessualen Charakter von Katharina Grosses künstlerischer Praxis zulassen: Schichten und Techniken vermischen sich, Farben changieren, Laufrichtungen wechseln dynamisch. Und auch Erde und die charakteristischen Farbstürme der Raumarbeiten finden auf den im Studio entstandenen Arbeiten ihren Platz. Auf flächiger Pinselmalerei leuchten zarte Farbräume auf, an deren Rändern man Reste von Erdmaterial erkennen kann. Grosse bedeckt auf dem Boden liegende, bereits bemalte Leinwände teilweise mit Erde, besprüht sie gestisch mit Farbpigmenten und trägt anschließend die Erde wieder ab. Wie nach der Bearbeitung mit einer Schablone entstehen so Bilder die unterschiedliche Malweisen und Prozesse verbinden und eine klare Verbindung zu ihren raumgreifenden Arbeiten schafft: Auch wenn sich die Herangehensweisen und die künstlerische Praxis der Arbeiten aus dem Atelier von den installativen Eingriffen unterscheiden, eint sie doch die Haltung.
Auf den ersten Blick mag die Präsentation von Fragmenten aus Installationen, die zunächst im institutionellen Rahmen gezeigt wurden und nun im Kontext einer Galerie ausgestellt werden, wie die kommerzielle Zweitverwertung von handhabbaren Teilen installativer Arbeiten wirken, die wertvolle Etiketten wie „Venedig Biennale“ tragen. Doch die gezeigten Skulpturen und Leinwände entwickeln in den Räumen der Galerie einen eigenen Charakter und erweisen sich als stark genug, nicht als Versatzstücke und lediglich als Verweise auf die raumgreifenden Installationen zu wirken.
WANN: Die Ausstellung ist bis zum 12. März 2016 in der Galerie zu sehen.
WO: Barbara Gross Galerie, Theresienstrasse 56, Hof 1, 80333 München.