Vielstimmige Verwundbarkeit “Thank you for having us” im Frappant
16. Oktober 2023 • Text von Katrin Krumm
Nationalität, Geschlecht, soziale Umstände – Wie navigieren wir das Spannungsfeld zwischen gewaltsamer Zuordnung und gewollter Zugehörigkeit? “Thank you for having us” präsentiert die Ausstellung als einen Ort, an dem diese Fragen ausgehandelt werden können. Dafür zeigt sie im Frappant marginalisierte Geschichten von sechs Positionen, die von Momenten im Dazwischen erzählen.
Etwa zwanzig offizielle Dokumente hängen an der Wand des Galerieraums im Frappant. Die Installation “Rite of Passage” zeichnet den bürokratischen Weg des Künstlers Nicholas Mboya nach. Mehrere Reihen von ihm eingescannte Dokumente zeigen den behördlichen Blick auf ihn. Jedes Dokument ziert zudem ein Selbstportrait des Künstlers aus verschiedenen Perspektiven. Im Wechsel zwischen Kenia und Deutschland kann sowohl ein chronologischer Weg nachvollzogen werden, als auch eine Anpassung des Selbst an die jeweiligen Institutionen.
Die Installation dokumentiert nicht nur die benötigten Dokumente, die für internationale Studierende benötigt werden, um für ein Studium in Deutschland aufgenommen zu werden. Sie zeigt auch die langsame Einordnung eines Körpers, der sich amtlichen Blickwinkeln anzupassen versucht, ohne sich dabei selbst zu verlieren.
In der Ausstellung folgen weitere Arbeiten, in denen sich die beteiligten Künstler*innen mit einer von Außen gewaltsam eingeforderten Zuordnung auseinandersetzten. Stellenweise ist sie durchzogen von verschiedenen Gesten der Gewalt, wie sie auch in Asma Ben Slamas filigranen Installationen zu finden sind. Zwischen klar definierten, reduzierten Formen aus Metall und weichem Silikon beschreiben diese die Folgen monotoner Arbeit, die aus der Beschäftigung in Textilmanufakturen resultieren.
In “Thank you for having us” trifft man aber auch immer wieder auf Kippmomente, die sich zwischen zwei Extremen zu befinden scheinen. Eine physische Manifestation eines solchen Moments ist eine riesige Spiegelwand, die Besucher*innen entlang ihres vorgegebenen Wegs führt. Mittels Lichtspiel wechselt der Blick zwischen Durchsicht und Spiegelung. Sowohl die Ausstellungsarchitektur als auch die Rauminstallation machen die Machtungleichheit sichtbar.
Gleichzeitig wird dieser Kippmoment auch von Arbeiten aufgenommen, wie beispielsweise Dejvi Haxhis “Viti 0”, einer vergrößerten Version eines klassischen Kinderspiels. Der Titel ist einem albanischen Film entnommen und folgt der Geschichte zweier Jugendlicher. Die rastlosen Bewegungen der silbernen Kugeln innerhalb des Labyrinths beschreiben den Zwischenzustand, das Gefühl festzustecken, aber gleichzeitig rastlos zu sein – im Tauziehen zwischen Heimat und neuem Ziel.
Dass Zugehörigkeit am Körper verhandelt wird, zeigen Joana Atemengue Owonas Arbeiten. Ihre Skulptur “Resting / Shock” aus Kalkstein und synthetischem Haar integriert die Umgebung in das Werk. Um den eingravierten Text lesen zu können, müssen Betrachter*innen sich unter die Skulptur begeben. Dies schafft eine Spannung zwischen poetischer Form und potenzieller Bedrohung. Mittels ihrer sinnlich erfahrbaren Darstellung von Körperzuständen thematisiert sie generationelles Trauma und geteilte Verletzlichkeit.
Auch in Derk Insa Wagners Arbeiten wird der Körper – wenn auch nicht immer anwesend – indirekt umschrieben. Wagner nimmt die physische Manifestation des Dokumentierens als Grundlage für die Arbeit “Chronology of my Head”.
Die in Klarsichthüllen einsortierten Haarteppiche und Make-Up-Tücher wurden stellenweise um persönliche Notizen erweitert. Die Arbeit überträgt den intimen Moment des Abschminkens auf queere Identitätsentwicklung und löst die Grenzen zwischen Privatperson und Künstler*in auf. Sie beschreibt die Wechselwirkung zwischen den Umständen, in denen sich der Körper befindet und die Auswirkungen auf die Identität. Die Arbeit “Sample Observations” erweitert das Archiv zudem um Materialien, die zwischen hyperfeminin interpretierten Nagelplastiken und Teilen einer Spielzeugserie gerichtet an männliche Jugendliche angesiedelt sind.
In der Ausstellung treten die gezeigten Positionen in den Dialog, wodurch sich eine fragmentarische Zusammensetzung unterschiedlicher, subjektiver Blickwinkel ergibt. So auch bei Mohammad Pooris Zwei-Kanal Filminstallation “Irrevocable”, in der sich die beiden Protagonist*innen im singenden Wechsel wiederfinden. Es handelt sich um Abschiedssongs an eine von ihnen selbst definierte Heimat, denen Pooris ruhige Found-Footage-Naturaufnahmen gegenüberstellt.
“Thank you for having us” untersucht die Formen gelebter Zugehörigkeit, die sich der Ablehung von Außen immer wieder neu finden. Durch die persönlichen Perspektiven werden Schwellen abgebaut und Zugänge geschaffen. Im Wechsel von Mikro- und Makrobeobachtungen, sowie Innen- und Außenbeschreibungen beziehen die gezeigten Arbeiten immer den Körper als Austragungsort mit in ihre Überlegungen ein. Die präsentierten Arbeiten haben alle eine taktile Qualität, deren sinnliches Potenzial sich im mehrstimmigen Gespräch zwischen den einzelnen Positionen entfaltet.
WANN: Die Ausstellung “THANK YOU FOR HAVING US” läuft bis Sonntag, den 22. Oktober.
WO: Frappant, Zeiseweg 9, 22765 Hamburg.