Ein Herzchen kommt selten allein
Wera Bet bei Grzegorzki Shows

5. September 2021 • Text von

Wera Bet setzt sich in ihrer Ausstellung “I want you but I want you to want me” bei Grzegorzki Shows mit der Bedeutung von Sprache und Symbolik in unserer Gesellschaft auseinander und untersucht am Beispiel des Herzens den Einfluss der Sprache auf unser Weltverständnis. Macht euch bereit für die volle Herzchen-Ladung mit Tiefgang!

Blick hinein in den Ausstellungsraum von Grzegorzki Shows, im Vordergrund sind Fenster und ein Herz zu sehen, durch die Tür blickt man in die Ecke und sieht eine Installation mit rotem Licht und Herzen, ein Herz-Kissen ist in Frischhaltefolie eingewickelt
Ausstellungsansicht, © Roman März.

Die Auseinandersetzung mit der Liebe scheint in der Kunst häufig zu trivial, zu banal. Die polnische Künstlerin Wera Bet beschreibt sich im Gespräch mit gallerytalk.net als einen emotionalen Menschen mit einem gleichzeitig analytischen Kopf. In ihrem neuesten Projekt traut sie sich also an DAS Symbol der Liebe – dem Herzen, das sich in einer Vielzahl im kleinen Ausstellungsraum von Grzegorzki Shows finden lässt. Sie bedient sich eines Symbols, das Teil einer kollektiven Sprache ist und zu einem zentralen Bildelement ihrer Werke wird. In Zeiten von Instagram und Herzchen, die sekundenschnell per Doppelklick beliebig in die Welt hinausgeschickt werden können und Glückshormone freisetzen, scheint das Herz allmählich an Symbolträchtigkeit zu verlieren und zu einem “ganz netten” modischen Accessoire zu verkommen.

Kleiner Ausstellungsraum mit weißen Wänden und grünem Boden, links sind zwei Heizkörper zu sehen, eine Installation mit rotem Licht rechts unten in der Ecke, geradezu über einer Heizung hängt ein beklebter Fotodruck und ein kleines gerahmtes Bild
Ausstellungsansicht, © Roman März.

Auch das kapitalistische System benutzt dieses Symbol, das für etwas steht, nachdem wir uns im Grunde alle sehnen – Liebe und Anerkennung. Herzen werden auf Produkte gedruckt, als Ballons verkauft oder freudig als Pralinen überreicht. Doch was steht eigentlich tatsächlich dahinter? Ist das Herz wirklich noch aussagekräftig genug, um den Wert unserer Gefühle auszudrücken? Gertrude Stein schrieb einst in ihrem Gedicht “Sacred Emily”: “A rose is a rose is a rose”, wie auch Wera Bet es in ihrem Einführungstext zur Ausstellung zusammenfasst. Und so scheint es sich auch mit dem Herz zu verhalten. Es ist eben ein Herz. Dass wir es ganz automatisch mit der Liebe in Verbindung bringen, ist einzig allein ein Konstrukt unserer Sprache, unserer Gesellschaft und Sozialisation. Ein Herz allein bedeutet aber noch lange keine Liebe. Sorry, wenn da gerade Illusionen platzen.

Grüner Ausstellungsbode, links ist eine Art Teppich zu sehen mit zwei Händen, die zusammen ein Herz bilden, rechts daneben eine Art Sitzsacke, der aussieht wie zwei herunterhängende Brüste mit Herzchen drauf
Ausstellungsansicht, © Roman März.

Im Allgemeinen geht es in dieser Ausstellung nicht, wie man vielleicht aufgrund der vielen Herzen vermuten könnte, um die Liebe, sondern um die Sprache und darum, wie wir die Welt entschlüsseln und etwas über die Welt lernen, indem wir sie klar benennen und definieren, was sie ist. Auf diese Weise geben wir ihr eine Bedeutung, die wir in der Regel durch sozialen Druck, Erziehung oder einfach durch das, was wir zu Hause gelernt haben, erhalten. Im Gespräch mit der Künstlerin über ihre eigene Arbeit wird zudem deutlich: Hier geht es weniger um das Produkt, das fertige Kunstwerk im Ausstellungsraum, sondern um uns, die Rezipient*innen. Sie versucht, ihr eigenes Ego weitestgehend hintenanzustellen und den Raum, physisch wie auch gedanklich, für andere freizugeben. Das ist eine spannende und aufmerksame Herangehensweise an die Kunst und Auseinandersetzung mit der Welt – eine fast schon schüchterne Annäherung. Wera Bet bietet einen weitläufigen Zugang, der möglichst viele Menschen abholen kann, weil es alle, welche Sprache sie auch immer tatsächlich sprechen, gleichermaßen betrifft. Es ist eine Einladung, bestimmte Sprachkonstrukte, die man für selbstverständlich erachtet, zu reflektieren und zu hinterfragen.

Ausstellungsansicht: links ein kleines gerahmtes Bild zu sehen, geradezu an der Wand hängt ein großer Druck, der mit kleinen Bildern beklebt ist, der Druck zeigt eine große Rose
Ausstellungsansicht, © Roman März.

Im Gespräch mit der Künstlerin über ihre eigene Arbeit wird schnell deutlich: Hier geht es weniger um das Produkt, das fertige Kunstwerk im Ausstellungsraum, sondern um uns, die Rezipient*innen. Sie versucht, ihr eigenes Ego weitestgehend hintenanzustellen und den Raum, physisch wie auch gedanklich, für andere freizugeben. Das ist eine spannende und aufmerksame Herangehensweise an die Kunst, die mit Sicherheit nicht immer gelingt, aber definitiv einen Versuch wert ist. So wie das Herz ein kollektives Symbol ist, das weltweit bekannt ist, so ist die Liebe auch ein kollektives Thema, das alle gleichermaßen etwas angeht und niemanden in der Kunstbetrachtung ausschließt. Ebenfalls ein schöner Gedanke: Jede*r hat eine eigene Geschichte zum Thema Liebe und ist eingeladen, sie in der Auseinandersetzung mit Kunst zu erzählen, niemand wird aus einem elitären Kreis der Kunstszene ausgeschlossen. Ob das in der Realität tatsächlich so aufgeht, muss sich erst zeigen, aber der Gedanke daran stimmt erstmal optimistisch.

Detailansicht aus einer Installation: zu sehen sind zahlreiche Dinge, die eine Herzenform haben, z.B. Schokolade oder ein Lolli
Ausstellungsansicht, © Roman März.

Die Künstlerin arbeitet derzeit an einem Online-Archiv, das die Ausstellung und das Kunstprojekt auch nach Ende der Laufzeit erweitern und weiterführen wird.  Entstehen soll eine kollektive Ansammlung von Bildern, Musikstücken und Literatur rund um das Thema Herz. Alle können einreichen, was ihnen am Herzen liegt oder was für sie ein Herz bedeutet. Wer Lust hat, ins Thema mit einzusteigen und sich an dem Gemeinschaftsprojekt zu beteiligen, sollte hier aufmerksam dranbleiben!  

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Montag, den 27. September, und kann nach Vereinbarung besucht werden.
WO: Grzegorzki Shows, Prinzenallee 78-79, 13357 Berlin.

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