Die Nase läuft
"Entropy" von Suah Im im EIGEN + ART Lab

21. November 2023 • Text von

Ein leichter Knoblauchgeruch hat sich im Raum ausgebreitet, Schläuche leiten Flüssigkeit durch Raumecken und Ameisen hinterlassen ihre Spuren. Mit “Entropy” im EIGEN + ART Lab präsentiert Suah Im die Teilchen ihrer Welt. Die koreanische Künstlerin lädt dazu ein, die warmen und kalten Momente zu finden, durchzuatmen und die Verbindungslinien zu verfolgen, die mitten in ihre eigene Lebensrealität führen.

Suah Im, Entropy, EigenArtLab, Zunge und Bärin, Install 64
Suah Im: Entropy, Ausstellungsansicht EIGEN + ART Lab, Berlin 2023. Photo: Peter Oliver Wolff.

Zwei Zungen züngeln unter einem Gestell, das ein überdimensionales Spermium aufgespießt zu haben scheint. Die Münder aus Textil, die auch als Kissen oder gar orthopädische Nackenrollen fungieren könnten, stehen sich gegenüber und strecken ihre Zungen heraus. Der Geschmacksträger ist in diesem Falle ein orangener Stofflappen, der von einem in den anderen Mund herüberreicht und zu einer Zunge wird. Der aufgenähte Schriftzug auf der Zunge “Was mich nicht umbringt, macht mich stärker” verweist auf die berühmte Durchhalte-Parole Nietzsches und zudem nach oben auf das Gestell, das die Münder überspannt.

Mit dem Metallstab, der den zwei an Astgabeln erinnernden Stäben aufliegt, hat Suah Im einen textilen Wulst aufgespießt. Er erinnert an ein sich schlängelndes Organ wie den Darm oder an ein Riesenspermium. Das rosafarbene, somit fleischig erscheinende Textil wurde um den Stab gewickelt und lässt aufgrund der Zunge und ihren Worten an den Tod, an die Hindernisse des Lebens denken, daran dennoch weiterzumachen. Die Installation “Zunge I-II” verwickelt die Weichheit von Kuscheltieren mit der Härte von Metall und Tod und trifft Suah Ims künstlerische Praxis mitten ins Herz.

Suah Im The strait gate an narrow way, Entropy, EigenArtLab Install59
Suah Im: “The strait gate and narrow way”, Ceramic, monitor, fabric, drawing, filling wool, Variable dimensions, 2022. Photo: Peter Oliver Wolff.

Ihr Anliegen ist es, mit “Entropy” im EIGEN + ART Lab Verbindungen zu schaffen, zwischen Leben und Tod, zurück zur Kindheit, zwischen ihren koreanischen Wurzeln und ihrem heutigen Leben in Deutschland. Diese gezogenen unsichtbaren Fäden führen zu einer spielerischen Formen- und Körpersprache, einem fantasievollen Umgang mit Proportionen. Dennoch spannt Suah Im häufig auch ein schweres Moment ein, das gelegentlich sogar brachial und unerwartet wie im echten Leben, in die rosarote Welt hereinbricht. 

Eine sehr große Nase hängt im Raum. Sie ist aus rotem Stoff gefertigt, der dann mit Epoxidharz übergossen und gefestigt wurde. Ihre Nasenflügel erinnern an Hängematten. Das Epoxidharz hat seine leicht glänzenden Schleimspuren hinterlassen. Man könnte meinen, eine hauchdünne Rotzschicht ziehe sich über den Nasenrücken oder dass die Nase schwitzt.

Suah Im EigenArtLab Entropy Ameisen, Detail 68
Suah Im: “The strait gate and narrow way”, 2022, Details. Photo: Peter Oliver Wolff.

Flüssigkeit ist im Falle der Installation “The strait gate and narrow way” auf jeden Fall im Spiel. In Schläuchen, die sich um die Nase herum über den Boden an den Wänden entlangschlängeln, fließt blau gefärbtes Wasser. Es wird aus einem Glas herausgepumpt und strömt auf seinem Weg durch den Raum in eine Keramik-Ameise hinein und wieder aus ihr heraus. Die Schläuche kommen der rosa Ameise aus dem Mund und über den Augen wie Fühler heraus und lassen an unangenehme medizinische Untersuchungen denken, bei denen Schläuche involviert sind. Der Ameise scheint es aber ganz gut zu gehen, mit offenen Augen blickt sie die Besucher*innen direkt an.

Die Schläuche leiten das Wasser an weiteren Artgenossen vorbei, die entlang der Wand herumwuseln. Sie sind jedoch schwarz und bloßer Umriss, sie sind in ihrer wulstigen Form als Ameisen zu enttarnen, erinnern jedoch ebenso stark an Fußabdrücke im Sand. Spuren sind ein gutes Stichwort in Bezug auf Suah Ims raumgreifende Installation: In Form der Ameise porträtiert sich die Künstlerin selbst, hinterlässt dort, wo sie auftaucht, ihre eigenen Spuren.

Suah Im Entropy EIgenArtLab Wasser Knoblauchmann
Suah Im: “The strait gate and narrow way”, 2022, Detail. // “Übermenschen (Knoblauchmann erschien!)”, 2023. Photo: Peter Oliver Wolff.

Die Ameise ist Hinweis auf das Zeichen, das Suah Im der altchinesischen Lehre nach und aufgrund ihres Geburtstages zugeordnet wurde: der Gyemi. Er steht für ein schwarzes Schaf und Regen in der Wüste, aber ihm wird zugeschrieben, fleißig wie eine Ameise zu sein. Zudem identifiziert sich die Künstlerin stark mit einer Ameise, da das Wort Gyemi dem koreanischen Wort für Ameise “개미” (gaemi) sehr ähnelt. Das Wasser in den Schläuchen symbolisiert den Regen in der Wüste, der den Gyemi am Leben erhält. 

Die Nase ist ein zentrales Thema für Suah Im. Sie weckt in der Wahrnehmung von Gerüchen Erinnerungen wie kaum ein anderes Sinnesorgan. Die Nase saugt Luft ein, hält so einen lebenswichtigen Zyklus in Gang, sie versorgt den Menschen mit Sauerstoff oder gelegentlich mit meditativer Ruhe. Immer wieder taucht sie symbolisch und überdimensional auf oder wird ein zentraler Teil ihrer Performance.

Suah Im Performance, Entropy, EigenArtLab, Übermenschen, Install33
Suah Im: Entropy, Performance zur Eröffnung im EIGEN + ART Lab, Berlin 2023. Photo: Peter Oliver Wolff.

Wenn sie performt, regt sie die Nase der Zuschauer*innen an in dem sie Knoblauch in einer Keramikschale mit dem Titel “Knoblauchmann” zerstößt. Der Geruch verbreitet sich während ihrer Performance zunehmend im Raum. Olfaktorisch wahrnehmbar wird so ihre persönliche Historie, ihre Verbindungslinie zur koreanischen Kulinarik.

Zudem macht sie die Wandelbarkeit ihrer Objekte sichtbar, wenn sie sich die Nase oder wie sie sie auch betitelt, den “Atembeutel” wie eine Maske aufsetzt und mit ihr blind herumläuft. Sie erkundet ihre eigenen Arbeiten als laufende Nase, ertastet sich ihren Weg zu ihnen und steckt ihre Arme und Beine durch die Öffnungen und textilen Schläuche ihrer Skulpturen. Für einen kleinen Moment scheint sie so mit ihnen zusammenzuwachsen.

Suah Im ist vermutlich ein kleines bisschen mehr als andere Künstler*innen und in jeder Hinsicht ein Teil ihrer Werke, sie und die zwei in ihr zusammenfließenden Kulturen sind das Puzzleteil, das ihr Gesamtkunstwerk zusammenfügt. Ganz im Sinne des Ausstellungstitels ist “Entropy” eine Show aus Suah Ims Teilchen, ihrer Unordnung, warmen und kalten Momenten, eine bewegte Show, ein sinnliches Erlebnis. 

WANN: Die Ausstellung “Entropy” läuft noch bis Samstag, den 16. Dezember.
WO: EIGEN + ART Lab, Torstraße 220, 10115 Berlin.

Weitere Artikel aus Berlin