Plädoyer für zivilen Ungehorsam Nils Alix-Tabeling im Dortmunder Kunstverein
7. Juli 2023 • Text von Julia Stellmann
Die Beschwörung ist geglückt. Der Geist der Ulrike Mandrake geht um – eine fiktive Person, ein Hybrid aus Ulrike Meinhof und der giftigen Heilpflanze Alraune. Ist es die Beschwörung eines Dämons oder einer Heldenfigur? Ihr Feenpfeil zumindest liegt als Relikt des Kampfes gegen patriarchale Systeme gut verwahrt auf Epoxidharz. Der französische Künstler Nils Alix-Tabeling stellt im Dortmunder Kunstverein die Grundsatzfrage. Was ist richtig und was falsch?
Vorrichtungen, die ähnlich Traumfängern Blicke spinnen aus dünnem Zwirnsfaden. Staffeleien mit Leinwänden aus Stickereien. Darauf Szenen der Natur, der Idylle. Da sind zum Beispiel Vögel, die in Bewegung eingefangen zart gestickt nach toten, metallisch aufgehängten Bienen picken. Auf einer anderen Vorrichtung findet sich Löwenzahn, dessen Blütenblätter aus der Oberfläche ragen, unterhalb eines Anhängers in irisierender Raupenform.
Schnecken sind nackt oder haben Häuser, kriechen hin zum verlassenen Heim oder aber sitzen wie versteinert, gleich Fundstücken an Nachbildungen von Händen, Fingern, die über die Fänger hinaus nach außen weisen. Davor stehen Stühle, die bereit machen für eine Geisterbeschwörung, eine Séance. Ausgestattet mit Sitzkissen, die wie Gehirnen anmuten und dessen Gerüst an die Skelette betender Menschen erinnert. Assoziationen zu Anstaltsmöbeln wecken, mit zwischen den Beinen sitzendem Kopf.
Seltsame Wesen wurzeln aus der Erde, wirken wie Dämonen oder Gnome. Eine Wurzel in Menschengestalt wie die der Alraune. Zusätzlich schaffen Kerzenhalter die richtige Stimmung, auch wenn die Kerzen bereits niedergebrannt sind. Was wurde geopfert im Kerzenlicht? Ziegeninnereien sind auf der Werkliste als Bestandteil der Objekte ausgewiesen, bei genauerem Hinsehen zu finden als Behältnis in Form eines Darms für Schneckenhäuser. Heilkräuter, Ziegenhörner beschwören, was beschworen werden mag.
Der Geist der Ulrike Mandrake, der Name erinnert an die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof gepaart mit der giftigen Heil- und Ritualpflanze Alraune. Ihr Geist ist es, der vom französischen Künstler Nils Alix-Tabeling beschworen wird und tatsächlich hallt ihre Stimme durch die Räume des Dortmunder Kunstvereins, lässt sich als fiktives Gespräch zwischen Ulrike Meinhof und KPD-Politikerin Rosa Luxemburg vernehmen. Beide inhaftiert, für versuchten Mord oder verbale Kritik am System, collagiert Alix-Tabeling klanglich Textpassagen aus echten Briefen und Tagebucheinträgen. Ist es eine Teufelsbeschwörung oder die von zwei Heldinnen?
Ein Pfeil mit einer Büste wird präsentiert wie ein kostbares Relikt, das im Museum Verwahrung finden müsste. Flügel zieren die Porträtbüste, machen den Pfeil zur Feenwaffe, die Pfeilspitze mit kleinen Gehirnen, Perlen, Kristallen zum Zauberwerkzeug. Das Konterfei ist dabei dem Ulrike Meinhofs nachempfunden. Der Pfeil zeugt von einem Kampf, findet sich auch an der hohen hölzernen Statur, die zeigt wie der Pfeil einen Wurm, den Feind durchbohrt. Bei dem Feind handelt es sich um den sogenannten Wyrm, der bei Alix-Tabeling ein wiederkehrendes Motiv bildet. Die Bezeichnung leitet sich vom altenglischen Wort für Schlange oder Drache ab. Der Wyrm symbolisiert grundsätzlich patriarchale Strukturen, die sich einer gleichberechtigten Gesellschaft blockierend entgegenstellen.
Aus dem Unbewussten streben Körper in Träumen und Gedanken nach oben, wie Leichen aus dem Schlick. Türen öffnen sich, mit dunklen Ozeanen im Innern, lassen sich manchmal wieder schließen und manchmal nicht. Dann tritt das Wasser über die Schwelle, flutet den Körper, droht den innewohnenden Geist zu ersticken, ob er will oder nicht. Das Unbewusste, die innerlichen Nervensysteme und Träume werden besonders in den Malereien von Alix-Tabeling beleuchtet. Es ist, als ob er tief unter die Oberfläche ginge und ganz eigene Welten mit eigenen Legenden erschaffe, die trotzdem ganz eng mit dem Jetzt verbunden sind.
Ziviler Ungehorsam ist in Frankreich und Deutschland wieder in aller Munde, wenn Klimaktivist*innen verhaftet Gefängnisstrafen drohen und bereits verhängt wurden. Ist es moralisch in Ordnung, verbotene Dinge aus den richtigen Gründen zutun? Sich in vermeintlicher Notsituation gegen die Staatsmacht aufzulehnen? Und wie geht die Staatsmacht um mit unangepassten Körpern, mit queeren, weiblichen, sozial benachteiligten oder geistig/ körperlich eingeschränkten Personen?
Rhizomartig zieht sich die virulente Thematik durch die Ausstellung “But Who is Ulrike Mandrake?”. Selbst kopulierende Feuerkäfer, die auf Französisch Gendarmen heißen, tragen auf dem Rücken den Schriftzug „Police“. So wie das Thema verschiedenste Aspekte hat, speisen sich die vielgestaltigen Skulpturen des Künstlers aus vielerlei Materialien. Textil, 3D-Druck, Naturmaterialien, Holz, Metall, um nur einen Bruchteil der Bestandteile zu nennen. Es gibt sicher Aspekte, die für Ulrike Meinhof sprechen und trotzdem war es versuchter Mord, der sie ins Gefängnis brachte. Ziviler Ungehorsam ist essenziell als Korrektiv für menschenfeindliche Systeme, doch wird es schwierig, wenn sich die Aktivist*innen der gleichen gewaltsamen Mittel wie ihre Gegner*innen bedienen.
WANN: Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 10. September.
WO: Dortmunder Kunstverein, Rheinische Straße 1, 44137 Dortmund.