Auf der Suche nach dem Ursprung
Paul Valentin in der Galerie Britta Rettberg

20. November 2023 • Text von

Paul Valentin kreiert mit seiner Werkserie “Tacit Call” eine neue Welt in Sci-Fi Optik rund um ein philosophisches Dilemma. Die gleichnamige Einzelausstellung bei Britta Rettberg zeigt drei posthumane Figuren, die sich unbeholfen durch eine dystopische, menschenleere Landschaft bewegen. Die atmosphärische Videoinstallation ist durchzogen von surrealistischen Traumbildern und kunsthistorischen Referenzen.

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Tacit Call, 2023, Dreikanal Videoinstallation, 30 min., 4:3, Stereo Sound, synchronisiert, TFT Screen mit Video, Holzbänke, Installationsansichten I Installation views (Photos: Dirk Tacke I Paul Valentin).

Sie tragen weiße Stoffschuhe und dunkle, eng anliegende Sportkleidung. Ihre Schuhe sind bereits dreckig und die Kleidung wirkt ausgeblichen. Statt eines menschlichen Gesichts besitzen sie individuelle, starre Masken, die teilweise mehrere Augen, Nasen und Münder aufweisen. Nur ihre Hände sind anders, organischer. Die drei Protagonisten aus Paul Valentins dreiteiliger Videoinstallation “Tacit Call” wirken wie Replika menschlichen Lebens. Wie Androiden, die sich ihrem Körper gerade erst bewusst geworden sind, bewegen sie sich hölzern durch eine scheinbar verlassene Welt.

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Tacit Call, 2023, Dreikanal Videoinstallation, 30 min., 4:3, Stereo Sound, synchronisiert, TFT Screen mit Video, Holzbänke, Installationsansichten I Installation views (Photos: Dirk Tacke I Paul Valentin).

Einer der Protagonisten läuft zielstrebig über ein verlassenes Industriegelände. In sanftes Licht getaucht schreitet er über graue Betonplatten und Pfützen. Er ist nicht allein. Eine weiße Hündin gesellt sich zu ihm, führt ihn in einen von Pflanzen überwucherten Bereich. Grünes Gras und große Bäume überziehen das verwaiste Terrain – ein Garten Eden in der ansonsten kalten Umgebung. Dort trifft er auf einen Eindringling, ein übergroßes Monster, gegen das er nicht ankommen kann. Er tritt in den ungleichen Kampf, fällt zu Boden und beginnt sein Abenteuer von vorn.

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Tacit Call, 2023, Dreikanal Videoinstallation, 30 min., 4:3, Stereo Sound, synchronisiert, TFT Screen mit Video, Holzbänke, Installationsansichten I Installation views (Photos: Dirk Tacke I Paul Valentin).

Valentins Einzelausstellung bei Britta Rettberg erstreckt sich über drei Räume, in denen jeweils eine Videoprojektion im Loop läuft. Die drei Videos zeigen entsprechend einen der drei humanoiden Protagonisten, die sich, eingebettet in atmosphärischen Sound, durch eine dystopische Landschaft bewegen. Die Umgebung auf der Leinwand scheint aus der Zeit gefallen, alt und neu zugleich. Verlassene klassizistische Bauten, rätselhafte Technologien, glänzende Orgelpfeifen und moderne Gemälde sind vertraut und zugleich fehl am Platz.

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Tacit Call, 2023, Dreikanal Videoinstallation, 30 min., 4:3, Stereo Sound, synchronisiert, TFT Screen mit Video, Holzbänke, Installationsansichten I Installation views (Photos: Dirk Tacke I Paul Valentin).

Der Künstler widmet sich in seinen Arbeiten immer wieder großen philosophischen Fragestellungen, so auch in seiner neuesten Werkserie “Tacit Call”, in der er sich der Frage nach dem Ursprung über das Münchhausen-Trilemma annähert. Dabei handelt es sich um ein von dem Philosophen Hans Albert formuliertes Problem. Es wird die Frage aufgeworfen, ob es möglich sei, einen finalen, “letzten Grund” oder auch eine “erste Ursache” wissenschaftlich zu beweisen. Der Versuch einer solchen Letztbegründung endet laut Albert im Münchhausen-Trilemma.

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Tacit Call, 2023, Dreikanal Videoinstallation, 30 min., 4:3, Stereo Sound, synchronisiert, TFT Screen mit Video, Filmstill | Paul Valentin.

Das Trilemma besteht, wie Valentins Videoinstallation, aus drei Teilen. Der Versuch, etwas bis ins letzte Detail zu begründen, kann zu einem Zirkelschluss, einem infiniten Regress oder zu einem Abbruch der Überlegung und zur Dogmatisierung des letzten Grundes führen. Das Paradox des Trilemmas spiegelt sich in den drei Videoprojektionen wider: Ein Tanz um ein leeres Zentrum, eine unendliche Reflexion in glatten Monitoroberflächen und ein aussichtsloser Kampf.

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Tacit Call, 2023, Dreikanal Videoinstallation, 30 min., 4:3, Stereo Sound, synchronisiert, TFT Screen mit Video, Filmstill | Paul Valentin.

Was ist der Ursprung einer Idee, wenn es keinen ersten Grund geben kann? Die Besucher*innen können in die computergenerierte Welt des Künstlers eintauchen und sich selbst auf die Spurensuche begeben. Eine Antwort auf dieses Münchhausen-Trilemma ist in Valentins Arbeit nicht zu finden, seine drei posthumanen Gestalten auf den Leinwänden stecken in einem unendlichen Loop der Geschehnisse fest, gefangen in ihrem persönlichen dystopischen Dilemma, umgeben von surrealistischen Traumbildern.

WANN: Die Ausstellung “Tacit Call” läuft noch bis zum 23. Dezember. 
WO: Britta Rettberg, Gabelsbergerstraße 51, 80333 München.

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