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Matthew Muir in der Galerie Oel-Früh

17. November 2023 • Text von

Die Soloshow von Matthew Muir in der Galerie Oel-Früh präsentiert verschiedene Formen der Sinnsuche, darunter Religion, Spiritualität und Lifestyle. Als Basis seiner Skulpturen nutzt er ausschließlich online gekaufte Ware, die er meist in kreisförmigen Arrangements zusammenführt. „Mantra“ ist ein selbstironischer Kommentar über die Kommerzialisierung gegenwärtiger Bewältigungsstrategien.


Matthew Muir, MANTRA, Ausstellungsansicht Galerie Oel-Früh, Hamburg, 2023.

Jackass-Legende Steve-O schmückt die Einladungskarte für Matthew Muirs Soloshow “Mantra” in der Galerie Oel-Früh. Sie zeigt ihn in kriechender Haltung mit verzerrtem Gesicht und rot unterlaufenen Augen inmitten eines Berges von Partydrogen in Kapselform.

Äquivalent zum Motiv auf der Einladung sind dieselben silber-glänzenden Kapseln, zusammengeschweißt zu einem großen Kreis, an der Wand der Galerie zu sehen. Muir sieht den Ausgangspunkt der Ausstellung in der Frage nach der Sinnsuche und wie Menschen versuchen, diese durch verschiedene Formen des Konsums zu erlangen. Motiviert von der Idee des Mantras als sich wiederholende, positive Geste präsentiert er verschiedene Lösungsansätze, die er genauso schnell durchdekliniert, wie sie im echten Leben gewechselt werden. Dafür nutzt er online gekaufte Ware, die er in minimalistischen Arrangements zu Skulpturen zusammenführt.

Matthew Muir, Untitled (pink whippets), 50x50cm, iSi Cream Capsules // Matthew Muir, Untitled (candle holder), 28x28x4cm, marble Christmas table decoration

Die Basis seiner Skulpturen bilden alltägliche Dinge. Meist sind es überspitzte, kitschige Objekte, deren Form unmittelbar Aufschluss über ihre Funktion oder Symbolik gibt, wie der sternförmige Kerzenständer als Symbol christlich-westlicher Dekoration. Die Zugänglichkeit seiner Ausstellung liegt dabei in der Universalität der gewählten Objekte: durch die Variation zwischen Subkultur und Bürgerlichkeit, Referenzen zu Pop, Glaube oder Spiritualität ist für jede Person etwas Passendes dabei.

Formal kehrt Muir immer wieder zum Kreis zurück. Dieser findet sich auf verschiedenen Ebenen wieder, sowohl innerhalb der Skulptur durch sich wiederholende Objekte als auch durch die kreisförmige Anordnung.

Matthew Muir, Untitled (Meditation stool stack), 200x86x40cm, 18 meditation stools, crystal ball

Eine Skulptur in der Mitte des Raumes scheint das perfekte Gleichgewicht in symmetrischer Balance zu zeigen: helles Holz, abgerundete Kanten, ein perfekter Bogen, dessen Mitte eine transparente Glaskugel ziert. Geformt aus zusammengesetzten Meditationshockern, die auf Amazon erworben wurden, ist die Skulptur das perfekte Beispiel eines liberalen Versprechens des Individualismus, dem die Massenware als ironischer Kontrast gegenübersteht.

Während Anfang der 90er noch Ablenkung durch Konsum und Substanzmissbrauch medial als größte Lösung dargestellt wurde, sind Schönheit, Gesundheit und Spiritualität an ihre Stelle getreten. Beworben durch selbsternannte Lifestyle-Gurus, Stars und Werbung unterlaufen diese Ansätze immer kürzere Iterationen und Phasen. Dabei bleibt der Hedonismus derselbe, was ausgetauscht wird, sind die Objekte: Alkohol wird zu Skin Care, wird zu Yoga und so weiter.

Ausstellungsansicht, Matthew Muir: MANTRA, Galerie Oel-Früh, Hamburg, 2023.

Dies zeigt Muir durch die einzelnen Skulpturen in “Mantra” auf. Durch ihre sich wiederholende Formsprache werden sie zu verheißungsvollen Gesten des Heilsversprechens und selbst zu konsumierbarer Ware. Die konsequente Logik der Ausstellung wird nur durch eine der Skulpturen gebrochen. Im hinteren Bereich des Raumes liegt sie als dreiteiliger Stapel: ein Buch, gebunden in Lederimitat und mit leeren Seiten, darauf eine Versandbox, in der ein Vogelnest drapiert ist.

Dem Narrativ der Ausstellung folgend liegt nahe, dass auch hier ein sinnstiftender Lösungsansatz präsentiert wird. Mit einem Buch, das zwar als Symbol für Wissenstransfer gesehen wird, hier jedoch leer bleibt, schafft Muir ein reines Zitat. Jeglichem Zweck entbunden steht die Arbeit für sich selbst und präsentiert das Erzeugen, Betrachten und Kontextualisieren von Kunst als nur eine weitere sinnstiftende Tätigkeit, die vielleicht auch beliebig ausgewechselt werden kann.

Matthew Muir, Untitled (candle holder), detail // Matthew Muir, Untitled (book, box, bird nest) 16x12x12cm, blank book, bound in fake leather, box, tape, bird nest

Zum Vehikel der Selbstoptimierung verdammt, verkennt das Mantra das kollektive Leid. Was kann, statt Konsum, eine alternative Antwort auf menschliches Leiden und Sinnsuche sein?

Für einen Stunt in der MTV Show “Jackass” schloss sich Steve-O in eine Festivaltoilette ein und ließ sich anschließend mittels Kran durch die Luft schleudern. In einer anderen Folge zog er so lange Wasabi durch die Nase, bis er sich mehrfach übergab. Der US-amerikanische Entertainer, welcher mit bürgerlichem Namen eigentlich Stephen Glover heißt, ließ für seine Performances viele fragliche Dinge mit sich machen. Auf die Frage nach seiner beruflichen Selbstbezeichnung antwortet er “I’m a distraction therapist”, zu Deutsch: “Ich bin Ablenkungstherapeut”.

Muirs Show startet an dem Punkt, an dem Menschen ihr persönliches Leid erkennen und zeigt die Absurdität der Möglichkeiten auf. Darin bieten die Arbeiten einen selbstironischen, aber verständnisvollen Ansatz. Nicht unähnlich zu den Waren selbst schlagen Muirs Arbeiten Zerstreuung in der oberflächlichen Ablenkung vor, indem sie die Sinnsuche kommodifizieren und konsumfähig machen. Die Ausstellung endet passenderweise mit einem ironischen Selbstportrait, in dem sich Unernst, Leichtigkeit und Angst vermischen.

WANN: Die Ausstellung “MANTRA” läuft bis Sonntag, den 26. November.
WO: Galerie Oel-Früh, Marckmannstraße 32, 20539 Hamburg.

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