Das Regenbogen-Präludium Ein praktischer Riss in der theoretischen Diskussion
4. Februar 2021 • Text von Louisa Behr
Das inzwischen wieder entfernte Regenbogen-Präludium heizt die ewige Debatte über den komplexen Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg erneut an. Eine digitale Podiumsdiskussion in diesem Rahmen hat deutlich gemacht, dass die Wichtigkeit einer Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit und zukünftiger Erinnerungskultur nicht oft genug betont werden kann.
Was ist eigentlich ein sogenanntes Präludium? Ein musikalisches Vorspiel, erklärt das Internet. Im Falle des Regenbogen-Präludiums handelt es sich eher um ein künstlerisches Vorspiel für das, was es anstieß: eine erneut an Aufwind gewinnende Auseinandersetzung mit der Zukunft des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg. Das Kunstwerk sei ein gutes Beispiel, wie mit wenig Aufwand eine große Verunsicherung ausgelöst wurde, so Professor Josef Reindl, emeritierter Architekturdozent der TH Nürnberg, im Rahmen der Podiumsdiskussion „Mit Hochdruck ins Postludium – jetzt erst recht. Kunst auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände“, die am 21. Januar 2020 digital stattgefunden hat. Weitere Teilnehmer*innen stammten aus Fachbereichen der Stadtpolitik, dem Kuratorischen, der Judaistik, der Urbanistik und der bildenden Kunst. Ausgangspunkt der Veranstaltung war die Guerillakunst-Aktion eines anonymen Künstler*innenkollektivs – und die für Aufregung sorgende zügige Beseitigung des Werkes.
Ein kurzer Rückblick: Die Kunstaktivist*innen bemalten mit wasserlöslicher Farbe in der Nacht zum 27. Oktober 2020 die Pfeiler der Zeppelintribüne mit den Regenbogenfarben. Trotz seiner ohnehin ephemeren Beschaffenheit wurde das Kunstwerk aus Sorge vor Beschädigung der Gebäudesubstanz vom Baureferat der Stadt schon am nächsten Tag entfernt, denn die Bauten stehen seit 1973 unter Denkmalschutz. Obwohl das Kunstwerk nicht mehr als einen Tag bestand, ist es Dank der sozialen Medien eine Illusion, dass es deshalb auch aus dem Gedächtnis verschwindet. Die Bilder des Werkes breiteten sich online schnell aus. So bilden sie dankbarerweise eine neue Grundlage für die drängende, wichtige Diskussion um das Thema der Erinnerungskultur und wie diese in Zukunft aussehen könnte.
Auf dem Podium betonte der Künstler und Urbanist Christoph Schäfer, dass das Regenbogen-Präludium trotz der Entfernung funktioniert hat. Denn diese greifbare, reale Aktion habe einen Riss in der bisher theoretischen Diskussion zugelassen. Mit dem einfachen und dennoch aussagekräftigen Eingriff, der mit den Regenbogenfarben eine deutliche Botschaft sendet, setzte das Kollektiv um, was die Diskussionsrunden innerhalb der Stadtverwaltung von langer Hand planen: Kunstaktionen auf dem Gelände sollten als Vermittlungssprache fungieren, um dessen historische Problematik zu thematisieren und neue Denkräume im Umgang mit ihr zu eröffnen. Der Regenbogen als Symbol der LGBTQIA*-Bewegung und einer pluralistischen Gesellschaft steht der ursprünglichen Nutzung der Architektur für nationalsozialistische Propaganda gegenüber.
Außerdem, so Schäfer, könnten Kunstaktionen eine Instrumentalisierung und mediale Inszenierung des Geländes verhindern. Ein weiteres Beispiel für einen künstlerischen oder in diesem Falle architektonischen Eingriff ist die Architektur des “Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände”, das sich in der Kongresshalle, einem nicht fertig gestellten Bau des NS-Regimes, befindet. Der Architekt Günther Domenig entwarf einen langen Gang aus Stahl und Glas, der die Architektur der Kongresshalle wie ein Pfeil durchschneidet und einen Kontrast zu der strengen Geometrie der monumentalen NS-Architektur bildet. Schon seit den 1950er Jahren gab es verschiedene Phasen im Umgang mit diesem schwierigen Erbe, das das Stadtbild rund um den Dutzendteich optisch dominiert.
Die Nürnberger Bürger*innen begleitet die Diskussionen schon eine ganze Weile. Die aktuelle natürlich mit noch größerem Interesse: Der Bau der Kongresshalle und die Zeppelintribüne sollen für eine Menge Geld saniert und erhalten werden. Wozu? Auf der Webseite der Museen Nürnberg steht geschrieben, dass somit eine Erschließung und „zukunftsgerichtete geschichtskulturelle Auseinandersetzung mit dem historischen Ort“ möglich sein und die „Bauten im heutigen Zustand auch für nachkommende Generationen als Lernort“ erhalten werden sollten. Es gibt allerdings auch andere Meinungen: Man könne das Geld lieber anders investieren und das Gelände dem Verfall überlassen – diese vertritt auch Architekturprofessor Reindl. Er argumentiert, dass das Ausmaß des Grauens der NS-Zeit wahrnehmbar bleibe, selbst wenn die Bauten verfallen. Es solle keine Überhöhung durch Aufwertung stattfinden – er nennt die Schlagworte Banalisierung vs. Auratifizierung. Außerdem sei das Gelände in diesem Sinne kein Denkmal – obwohl es unter Denkmalschutz stehe – sondern eher ein Mahnmal.
Der aktuelle Plan der Stadt sieht neben der Sanierung eben auch eine künstlerische Nutzung des Geländes vor – während des Podiums berichtet der Künstler Georg Winter, ehemaliger Professor für Kunst und öffentlichen Raum an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, dass er das Gelände in Vergangenheit bereits mit einigen seiner Klassen performativ erforscht hat. Es handelte sich zwar um ephemere Erfahrungen, aber durch Dokumentation und mehr Informationen für Besucher*innen könnten solche Interventionen als eine Art lebendiges Archiv funktionieren. Es sollte nicht spurlos vorbei gehen, welche Initiativen schon ergriffen wurden, um mit der komplexen Thematik umzugehen. Auch wenn es hier zwar um eine gewisse Ortsspezifik geht, wird während der Podiumsdiskussion deutlich, dass das Thema „Umgang mit den architektonischen Überresten der NS-Zeit“ eines ist, dass für viele deutsche Städte relevant ist.
Doktor Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums in München, betont mehrmals, weshalb die Auseinandersetzung mit den verbliebenen Bauten so wichtig ist: Die Zeitzeug*innen werden natürlicherweise immer geringer und die biografische Brücke ist so bald nicht mehr da. Deshalb sei es umso wichtiger die Architektur als Vermittlerin von Erinnerung heranzuziehen. Zadoff erklärt anhand der kürzlich stattgefundenen paradigmatischen Ausstellung „tell me about yesterday tomorrow“ im NS-Dokumentationszentrum in München, dass eine permanente Auseinandersetzung mit der Erinnerung notwendig ist, da diese nicht statisch festgehalten werden kann. Die Ausstellung betonte unter anderem den interventionistischen Zugang der Kunst. Auch Professorin Elke Krasny, Kuratorin und Kulturtheoretikerin, wirft mit dem Stichwort „Forensic Turn“ die Frage auf, wer Träger*in von Erinnerung ist und ob die Architektur dies zu sein vermag?
So ist die aktuelle Beschäftigung mit dem Gelände in jedem Fall unumgänglich, eine permanente Lösung aber dennoch kaum möglich zu finden – die Komplexität dieses Ortes erfordert eine stetige Auseinandersetzung. Vermittlung soll nicht im Sinne von ex post facto gedacht werden, sondern als Prozess – gerne auch mit Partizipation. Winter spricht unter diesem Schlagwort davon, dass neue Beteiligungsformen ermöglicht werden sollten. Ein weiterer Konsens wurde in der Podiumsdiskussion von allen Teilnehmer*innen ebenfalls betont: Es ist wichtig den Diskurs zu öffnen und dafür steht das Regenbogen Präludium paradigmatisch. Es hat einen Impuls für eine neue Aushandlung mit polyphoner Beteiligung gegeben. Somit werden wir immer wieder wieder aufs Neue an die aktuelle Relevanz der Auseinandersetzung mit den Themen Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus erinnert. Und das ist das Mindeste, was im Umgang mit dem schwierigen Erbe der NS-Architektur getan werden sollte.
Die Podiumsdiskussion wurde von der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, dem BauLust e.V. und dem Institut für Kunst und Gestaltung der TU Wien ausgerichtet und kann unter diesem Link in voller Länge angesehen werden.