Ornamente als soziopolitische Informationsträger Larisa Sitar im KVOST – Kunstverein Ost
6. Oktober 2023 • Text von Gast
Die rumänische Künstlerin Larisa Sitar untersucht Ornamente als Marker für gesellschaftlichen Wandel in der Beziehung von Kunst und Architektur. Wer die Ausstellung „Hope swapping, fixed“ im KVOST besucht, begibt sich auf die Spuren vergangener und gegenwärtiger Vorstellung von nationaler Identität und kulturellem Erbe in Ost und West. (Text: Marlene Sichelschmidt)
Anlässlich der Verleihung des Claus Michaletz Preises zeigt der KVOST – Kunstverein Ost die Einzelausstellung „Hope swapping, fixed“ von Larisa Sitar. In den hellen Ausstellungsräumen wird eine Auswahl skulpturaler Wandarbeiten und Flachreliefs, stuckartiger Gebilde und Zierleisten präsentiert. Einige der eleganten Objekte sind an klassische Motive – Flora, Fauna und Figurengruppen – angelehnt, andere von einem sensorischen wie materiellen Gestaltungsansatz gezeichnet. Sie erinnern in Wiederholung und Rhythmik der Form an digital modellierte Bilder.
Im Zusammenspiel wecken die Kunstwerke vielschichtige kulturelle Assoziationen und führen einen auf die Fährten der Ursprünge antiker Wanddekoration, ihrer kulturellen Kommerzialisierung bis hin zur Übernahme westlicher Motivik in das osteuropäische Bauwesen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Die Arbeiten der Serie „Robust Boast“ stehen im Zentrum der Ausstellung. Es handelt sich um weiße, mit den Wänden verschmelzende Basreliefs, wie die Ansammlung oberkörperloser Beine, deren Füße unter der Zimmerdecke zu schweben scheinen. Direkt über der Fußbodenleiste zieht eine gestaffelte Männergruppe bestehend aus fünf identischen Oberkörpern in Profilansicht die Besucher:innen in den Bann.
Ausgehend von ihrem Interesse an der rituellen Motivik der Antike reflektiert Sitar, wie architektonische Ornamente zu bewährten Machtsymbolen wurden und heute für die meisten Betrachtenden zu vollkommen bedeutungsleeren Dekorationen verkommen sind. Die Geschichte Rumäniens, besonders die Revolution von 1989 und der gewaltvolle Sturz der realsozialistischen Diktatur unter Nicolae Ceauseșcu, die bis heute auf das Land einwirken, sind dabei biografischer Bezugspunkt für ihre visuelle Erzählung.
Sitars Werke stellen direkten Bezug zur osteuropäischen Architektur der 1990er-Jahre her. Die architektonische Aneignung von klassischer Bildsprache diente den Menschen als Mittel, ihre veränderten sozialen und kulturellen Realitäten zu verarbeiteten und den glorifizierten Westen einzuholen.
Die Werkserie „Robust Boast“ wurde bereits in gleichnamigen Ausstellungen in Bukarest (2022) und in Brüssel (2019) ausgestellt. In Berlin sind den Basreliefs nun aktuelle Wandskulpturen Sitars gegenübergestellt und erweitern ihre konzeptionelle Untersuchung von Ornamenten als soziopolitischen Ausdruck um eine poetische Ebene.
Ein petrolblaues, wellenförmiges Samt-Ungetüm, das den Ausstellungsraum nach außen abgrenzt, eine lackierte Holzformation im Schaufenster: Die Bandbreite der ausgestellten Arbeiten ist durch das Spiel mit den Materialien verbunden. Auf den ersten Blick ist schwer zu erkennen, woraus die organischen Formen gestaltet sind. Der Drang, sie zu berühren, ist dafür umso größer.
Der Ausgangspunkt für Sitars künstlerische Auseinandersetzung lässt sich vielleicht in der Fotoserie „Home Palace“ von 2008 bis 2010 finden. Besucher:innen streifen sie beim Durchqueren des Ausstellungsraumes: 42 Farbfotografieren dokumentieren nicht beendete und unbewohnte Bauprojekte im ländlichen Rumänien. Die außergewöhnlichen Prunkbauten sind von im Ausland lebenden Personen mit einem doppelten Interesse in Auftrag gegeben. Zum einen wollen sie in ihren ehemaligen Heimatdörfern den hart erarbeiteten neuen sozialen Status demonstrieren, zum anderen erhalten sie sich mit dem Bauvorhaben die Illusion auf eine Rückkehr ins Herkunftsland aufrecht.
So ist es auch kein Zufall, dass Samt, Lack, Leder und Holz der Wandskulpturen das Innenleben von Architektur in die Kunstwerke einbeziehen. Die Materialien schlagen eine Brücke zum Haus als Heim, Ort der Erinnerung und Identitätsformung, an dem die Lebensrealität des Individuums geformt wird und somit Normen und Werte mit Leben erweckt werden.
Dass Architektur zum Platzhalter des Menschen erhoben wird und seinen Status oder sein Revier mankiert, darf dabei nicht als rein postsozialistisches Phänomen betrachtet werden. Daher ist es kein Zufall, dass in den rumänischen Bauruinen auch ohne Hintergrundwissen über das Leben der Arbeitsmigrant:innen weitere Parallelen zu entdecken sind, zum Beispiel zu individuell dekorierten Doppelhaushälften in Deutschland oder zu luxuriösen Schwarzbauten an der italienischen Mittelmeerküste.
Wenn man zu Fuß den KVOST verlässt und sich auf der Leipziger Straße in Richtung Alexanderplatz oder über den Platz des Volksaufstandes von 1953 zum Potsdamer Platz begibt, nimmt man nach dem Besuch von „Hope swapping, fixed“ auch die architekturbezogene Kunst der DDR – die Plastiken, Mosaike und dekorativen Bauelemente der Umgebung – mit anderen Augen wahr. Nun kommt man nicht umhin, sich zu fragen, welche Vorbilder und welche Vorstellung von nationalem Erbe in sie eingeschrieben sind.
WANN: Die Ausstellung „LARISA SITAR. Hope swapping, fixed“ läuft bis zum 19. November. Eine Finissage mit Performance und Musik findet am 18. November statt.
WO: KVOST – Kunstverein Ost e.V., Leipziger Str. 47/Jerusamlemer Str., 10117 Berlin.