Seriell durchpierct
Michaela Schweighofer in Brüssel

5. Juli 2023 • Text von

Interieur ist ihr Material – Michaela Schweighofer arbeitet sich an der Konstruktion des Heimeligen ab. Gerade sind die eigensinnig melancholischen Objekte der Künstlerin bei Flats in Brüssel zu sehen. (Interview: Gianna Virginia Prein)

Michaela Schweighofer gallerytalk 1
Michaela Schweighofer: It‘s so romantic when you say this from the series The fetishist‘s apprentice (desire uprising), 2023 (fine art baryta paper print, passepartout, linden frame, museum glass). Foto: Chantal van Rijt. // Installationsansicht “You shine like I drank the moon”, Komplot, Brussels. Foto: Chantal van Rijt.

gallerytalk.net: Wie ist es mit der Beziehung deiner Objekte zueinander, was macht das Serielle für dich aus?
Was mich an Werkserien interessiert, ist die Kombination des Einzelnen zum Ganzen. Jede Arbeit muss für sich stehen können, gleichzeitig muss sie auch in der Aneinanderreihung Sinn ergeben. Die Objekte müssen die Spannung untereinander und in sich halten können. Oft geht es um minimale Momente, die ich in der Produktion hervorhebe oder weglasse.

Deine gerahmte Serie „The fetishist’s apprentice (desire uprising)“ zeigt auf den ersten Blick ungewohnt positionierte Einrichtungsgegenstände – Screenshots des österreichischen Secondhand-Online-Marktplatzes willhaben. Hinter Museumsglas und farbig abgestimmten, poppigen Passepartouts bekommen ihre zusammengekrümmten, umgedrehten oder aufeinandergestapelten Darstellungen eine gewisse Komik. Therapeutischer Humor? 
Interessant, dass du dahinter gleich eine Art Humor entdeckst. Eigentlich sind die Gegenstände ja ganz tragische Charaktere, die zurückgelassen im Wald, am Straßenrand oder in dunklen Kellerlöchern so wirken, als wären sie abgestellt und nicht abgeholt worden. Erst durch die Inszenierung der anonymen Fotograf:in ergeben sich gewisse Narrative, derer ich mich bediene. Manche sind romantisch, andere traurig oder unheimlich. Humorvoll werden sie vielleicht erst auf den zweiten Blick. Oder was meinst du genau mit therapeutischem Humor?

Michaela Schweighofer gallerytalk 2
Michaela Schweighofer: Staged confusion from the series The fetishist‘s apprentice (desire uprising), 2023 (fine art baryta paper print, passepartout, linden frame, museum glass). Foto: Chantal van Rijt. // Michaela Schweighofer. Foto: Ruben Gutzat.

Damit meine ich einen Humor, der die Spannung auffängt, die die dargestellten Objekte bei Betrachter:innen auslösen. Die Passepartouts sind im Gegensatz zu den Abbildungen fröhlich, pastellfarben gesättigt, weich. Es ist, als würden sie die Gegenstände, die vergangene Lebensphasen begleitet haben, hübsch aufschminken.
(lacht) Well, we do eroticize our trauma – ob wir das auch mit den Traumata der anderen tun, bleibt dahingestellt. Möbel und Gegenstände aus unserem Zuhause können auf jeden Fall stumme Stellvertreter:innen und Zeug:innen unserer Wünsche, Sehnsüchte und Konflikte sein. Im Falle dieser Serie war das ganz klar Teil des Auswahlkriteriums.Alle Objekte auf den Fotos sind aus den 60er- oder 70er-Jahren. Sie sind zu einem Moment produziert worden, in dem Stabilität und Haltbarkeit an erster Stelle standen. Der Moment, in dem sich jemand wiederum dieser Objekte, die für die Ewigkeit gemacht wurden, entledigen will, wird hier festgehalten – in einer abstrusen fotografischen Inszenierung.

Den Titel der Serie „Smothering Heights“ hast du dir von Emily Brontë geliehen und verändert. Darin ist das Wort „mother“ beinhaltet. Zufall?
Das Wort “smothering“ ist deshalb interessant, weil es zwei Bedeutungen hat: jemanden wortwörtlich zu ersticken und – im übertragenen Sinne – jemanden vor Liebe oder aus vermeintlichem Schutzbedürfnis das Gefühl zu geben, gefangen zu sein oder unterdrückt zu werden. „Smothering” als Extremform des „motherings” treibt diesen Moment auf die Spitze. Meine Titel sind oft der Versuch, zu verstärken oder einen Hinweis zur Leserichtung zu geben.

Michaela Schweighofer gallerytalk 3
Installationsansicht “DRY RAIN”, FLⒶT$, , Brussels. Foto: Jan Hoeft. // Michaela Schweighofer: Blind side gems galore, 2023, from the series Smothering Heights, leather, paper, scarves. Foto: Jan Hoeft.

Die Arbeiten sind genäht. Anne Boyer schreibt in ihrem Buch “Garments Against Women”: „Sewing is difficult“ – Nähen ist schwierig. Ich mag diesen Satz dafür, dass er so einfach überlesen wird, gleichzeitig aber so vieles beinhaltet …
Hmm, meinst du, die Vielschichtigkeit des Zitats liegt darin, dass das Nähen schwer ist, weil es in der Vergangenheit stark weiblich* konnotiert war und als häusliches Handwerk abgestempelt wurde? Oder worin siehst du die Schwierigkeit?

Ich denke an einen gerissenen Faden oder eine wieder aufgetrennte Naht. Nähen erfordert Geduld und Selbstdisziplin, es wird an Frustrationsgrenzen gestoßen. .
Stimmt, aber eigentlich zeichnet sich Nähen ja durch seine Niedrigschwelligkeit aus: leicht zugänglich, leicht erlernt, von zu Hause aus machbar, nicht teuer, die Materialien sind außerdem gut transportierbar und unzerbrechlich. Ich sehe erst mal nur Vorteile.

Michaela Schweighofer gallerytalk 4
Installationsansicht “You shine like I drank the moon”, Komplot, Brussels. Foto: Chantal van Rijt.

In den Vorteilen, die du nennst, liegt auf jeden Fall das emanzipatorische Potenzial der Nähmaschine. Um beim Thema zu bleiben: Deine zusammengerollten und seidenbeflickten Isomatten, die von gespitztem Manila-Holz oder Stahl durchpierct werden, erinnern an offene Sicherheitsnadeln. Mode als Schutz oder Bedrohung?
Ich würde eher von Schutz mit Angriff in Notlage sprechen. Eine Kombination aus sich zunächst widersprechenden Materialien und deren vermeintliche Funktionen. Es geht darum, die Spannungen zwischen den einzelnen Ebenen aufrechtzuerhalten.

Bei Flats ist derzeit eine Jalousie aus der Serie „Sanctimonious grifting“ zu sehen. Durch sie blickt die Betrachter:in von Innen nach Innen.
Genau, diese Arbeit ist eine Kombination aus Poster und Jalousie. Der Blick wird Richtung Außen gerichtet, aber durch Jalousie und Vorhang vom Außen getrennt. Doppelt verhindert blicke ich auf eine Wand. So wie in den gerahmten Fotoarbeiten “The fetishist’s apprentice (desire uprising)” und den Skulpturen “Smothering heights” richtet sich der erste Blick auf das Interieur und erst der zweite weg vom konkreten Raum und Objekt hin zu einer Innerlichkeit. Erwartungen, Wünsche, Sehnsüchte und Enttäuschungen blicken mir entgegen – Gefühlszustände, die schon in der kleinbürgerlichen Wiege erstickt werden.

Michaela Schweighofer gallerytalk 5
Michaela Schweighofer: Sanctimonious grifting I, 2023, poster print, Venetian blinds. Foto: Jan Hoeft. // Michaela Schweighofer: Sanctimonious grifting I, 2023, poster print, Venetian blinds. Foto: Jan Hoeft.

Ist diese beengte Innerlichkeit ein Prinzip, das sich durch all deine neueren Arbeiten zieht?
Ich beschäftige mich mit der Architektur und dem Mobiliar, denen heteronormative, patriarchale Machtverhältnisse eingeschrieben sind – mit der Kernfamilie und Rollen die genderkonform erfüllt werden sollen. So eng, wie die Wand- und Bodenskulpturen geschnürt sind, so kleinbürgerlich das Mobiliar, so blind die vermeintlichen Fenster, so klaustrophobisch wirken die Objekte. Auch wenn sie versuchen, ihrer eigenen Rolle zu entweichen, sind sie doch in sich selbst gefangen.

„Riding high on capital A-nxiety“, „Smells like mean spirit“, „Compressed in every way, dysfunctional on every level“: Deine Titel lesen sich wie romantisierte Verzerrungen emotionaler Abhängigkeiten. Geht es am Ende um ein schwelgendes Kreisen um sich selbst?
Die Titel tragen auf jeden Fall eine Melancholie in sich. Sie sind Sprachrohre zwischen mir, Werk und Betrachter:in. Ich flüstere ihnen Dinge zu und sie uns. Sie wollen sich verständigen und fordern eine gewisse Lesart, ohne dabei auf Kategorisierungen zu pochen.

WANN: Die Gruppenausstellung „Dry Rain“ läuft bis Sonntag, den 30. Juli.
WO: FLⒶT$, Avenue Charles-Quint 293, 1083 Bruxelles.

Weitere Artikel aus Brüssel