Architektur im Schlafsack
„Künftige Ruinen“ - Christin Kaiser bei Åplus

28. Oktober 2021 • Text von

Bauwerke müssen sich historisch und saisonal genauso warm anziehen wie wir Menschen. Sie müssen sich hin und wieder aus verschiedensten Gründen hinter Fassaden oder Bäumen verstecken. Für die einen ist der Schlafsack ein Gehäuse, andere schützen ihr Gehäuse mit einem Schlafsack. Die seltsam nah aneinanderliegenden Lebensrealitäten von Architektur und Mensch erkundet Christin Kaiser derzeit textil und fotografisch in ihrer Einzelausstellung “Künftige Ruinen” bei Åplus.

Installation view: "Künftige Ruinen", Åplus Berlin, 2021. Courtesy: Christin Kaiser & Åplus Berlin, Photo: Åplus Berlin.
Christin Kaiser, Installation view, “Künftige Ruinen”, Åplus Berlin, 2021. Courtesy: Christin Kaiser & Åplus Berlin, Photo: Åplus Berlin.

Mit vorsichtiger Neugierde öffnete ich die Åplus-Tür und ging die ersten wackeligen Schritte in den Ausstellungsraum. Vorsichtig, weil man nie weiß, was sich hinter Galerietüren verbirg, wackelig, weil der Boden übersät ist mit mittelgroßen Kieselsteinen. Jeder Schritt knirscht, jeder Schritt muss ausgelotet werden. Es gelingt eine direkte Verknüpfung des eigenen Körpers, seiner Balance und mit der Kunst.

Christin Kaisers “Dorischer Ärmel” dominiert in strahlendem Gelb den ersten Raum. Die Säule aus Stoff und Fleece hängt von der Decke und lenkt die Blicke der Besucher*innen vom knartschenden eigenen Fuß bis ganz nach oben. Sie ist überdimensionaler Teil einer Jacke oder eines Pullovers, aber gleichzeitig ist sie auch Ausschnitt eines repräsentativen Gebäudes. Diese spielerische Aufgabe ist es, die Kaiser stellt: Finde die Überschneidung von Architektur und Kleidungsstück.

Christin Kaiser: Dorischer Ärmel, 2021, Fabric & fleece, 400 x 80 x 80 cm, 157 24/50 x 31 1/2 x 31 1/2 in. Courtesy: Christin Kaiser & Åplus Berlin, Photo: Åplus Berlin.
Christin Kaiser: Dorischer Ärmel, 2021, Fabric & fleece, 400 x 80 x 80 cm, 157 24/50 x 31 1/2 x 31 1/2 in. Courtesy: Christin Kaiser & Åplus Berlin, Photo: Åplus Berlin.

Die dorische Säule als rangniedrigste, unverschnörkelste Säule der Säulenordnung und der Ärmel mit Gummizug am Handgelenk. Beides nicht übermäßig schick, aber eben auch nicht zerrissenes T-Shirt und Einfamilienhaus. Kleidung, wie auch Säule sind Teile einer schützenden, wie auch einer scheinerschaffenden Fassade. Säule trägt Sims, Mensch trägt Kleidung, Säule verziert Gebäude, Kleidung verziert Mensch.

Und eine Verknüpfung die sich aufdrängt, ist auch: Säulenordnung, gesellschaftliche Rangordnung – Schichten? Kapitalismus? Mensch trägt, was er sich leisten kann. Die fusseligen Streifen des Ärmels haben etwas Tierisches, Organisches an sich. Einen kurzen Moment denke ich an eine dicke haarige Raupe, die sich zufrieden durch einen saftigen Apfel frisst und als Gegenbild an eine kleine Made, die sich mit einem abgenagten Kerngehäuse im Biomüll zufriedengeben muss.

Christin Kaiser: Center Arc, 2021, Fabric & fleece, 365 x 260 cm, 143 7/10 x 102 18/50 in. Courtesy: Christin Kaiser & Åplus Berlin, Photo: Åplus Berlin. Künftige Ruinen
Christin Kaiser: Center Arc, 2021, Fabric & fleece, 365 x 260 cm, 143 7/10 x 102 18/50 in. Courtesy: Christin Kaiser & Åplus Berlin, Photo: Åplus Berlin.

Der Mensch hat genau wie die Säule und das Kleidungsstück unterschiedlich repräsentative und tragende Aufgaben. Trotz jeglichen Bemühungen um Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit hat doch am Ende jeder einen anderen Boden unter den Füßen. Nur hier jetzt mal ausnahmsweise nicht. Knirschenden Schrittes verfängt sich der Blick in einer Daunenjacken-Wand. Thermodecke? Schlafsack? Eine Seite silbrig-grau-glänzend, die andere in weicherem dunkelgrauen Stoff genäht. In Backsteinmanier gesteppt und großflächig den vorderen Ausstellungsraum vom hinteren trennend, verklammert die Arbeit “Center Arc” Mauerwerk und Daunenjacke.

Kaiser greift hier ein Ruinen-Fragment der antiken Thermenanlage Caracalla in Rom auf, spielt auf öffentliche kostenfreie und dennoch prunkvolle römische Badearchitektur an und erinnert sich gleichzeitig an eine Methode der Wärmedämmung, die sie bei einer Reise nach China entdeckte. In Peking sah die Künstlerin, dass Gebäude in einer Art Decke eingewickelt wurden, um Kälte fern zu halten und Wärme zu verteilen. Die Vermenschlichung der Dinge fasziniert Kaiser seit dieser Reise besonders. Ein Schlafsack für das Haus. 

Christin Kaiser: Center Arc, 2021, Details, Fabric & fleece, 365 x 260 cm, 143 7/10 x 102 18/50 in. Courtesy: Christin Kaiser & Åplus Berlin, Photo: Åplus Berlin.

Sie erkennt, dass sich Mensch und Gebäude auf sehr ähnliche Weise (ver-)kleiden. Stoffe sind Gehäuse für Körper, aber auch für Häuser. Auch hier läuft einem ein kurzer kalter Schauer über den Rücken, wenn man an Menschen in Schlafsäcken denkt, die ein gemauertes Gehäuse so dringend brauchen. So dringend, dass ihr Schlafsack ihr Gehäuse geworden ist. Da schlägt Isolierung dann um in Isolation.

Hinter der Mauer beginnt ein neues Kapitel. Die hier gezeigten schwarz-weiße Fotoserie “Baumwall” greift das Thema der schützenden Schicht auf, eröffnet jedoch eine neue Klammer um Natur und Bauwerk. Hier übernimmt die Natur, genauer gesagt der Baum, eine verhüllende Aufgabe. Kaiser ist auf die Suche nach Bauwerken gegangen, denen Bäume vorgepflanzt wurden, um so die Sicht auf die Architektur zu erschweren – Bäume als Sichtschutz-Wall.

Installation view: "Künftige Ruinen", Åplus Berlin, 2021. Courtesy: Christin Kaiser & Åplus Berlin, Photo: Åplus Berlin. Baumwall
Christin Kaiser, Installation view, “Künftige Ruinen”, Åplus Berlin, 2021. Courtesy: Christin Kaiser & Åplus Berlin, Photo: Åplus Berlin.

Gefunden hat sie die Laubengang-Siedlung an der Karl-Marx-Allee in Berlin und das Haus der Kunst in München. Erstere sollte versteckt werden, da es in seinem sachlichen Stil nicht zur DDR-Ästhetik passte, letzteres, weil die Bäume die persönliche Beteiligung Hitlers am Bauwerk entschärfen sollten. Die Architektur blinzelt nur ganz scheu an dem die Fotografie dominierenden Baumstamm vorbei. Unscharfe, zerfurchte Baumrinde umrahmt das kleine scharfe architektonische Bildmoment im Zentrum.

Je näher wir am Baum stehen, desto weniger sichtbar ist das Bauwerk, ganz logisch. Aber wir stehen ja leider so selten so nah am Baum. Gerade im Falle von Nazi-Architektur verdeutlichen die Fotografien die erschreckende Naivität und Unbeholfenheit des Bepflanzungsansatzes. Auch wenn das Museum heute ein gutes Herz hat, wäre es doch wünschenswert, die Jahreszeiten würden das Laub nicht immer wieder aus den Ästen jagen.

Christin Kaiser, Fotografien, Baumwall, Aplus, Künftige Ruinen
Christin Kaiser: Baumwall (HdK 3), 2021, B/w-archival print in artist frame, steel, zinc coated, 119 x 79 x 4 cm, 46 17/20 x 31 1/10 x 1 28/50 in // Baumwall (WW 2), 2021, B/w-archival print in artist frame, steel, zinc coated, 119 x 79 x 4 cm, 46 17/20 x 31 1/10 x 1 28/50 in. Courtesy: Christin Kaiser & Åplus Berlin, Photo: Åplus Berlin.

So viel Verhüllung und doch liegt bei Christin Kaiser alles offen. Die Wahrheit zu verbergen ist in jedwedem Kontext ein wirklich schwieriges Unterfangen. Die Fassade aufrecht zu erhalten ebenfalls. Irgendwann und irgendwo bröckelt es, irgendwo ist das Fundament doch zu durchlöchert oder mit der Zeit einfach morsch geworden. Die Natur, das Bauwerk, der Mensch – es scheint eine Hassliebe zu sein, eine Trigonometrie der Abhängig- aber auch Notwendigkeiten.

Ein Lebensraum entfaltet sich in diesem Dreieck, einer den wir gut beobachten, schützen, aber seine Schwachstellen auch entlarven sollten, damit wir in Zukunft nicht nur noch von Ruinen umgeben sind. Er steht auf wackeligem Boden. Er ist so unsicher, wie Besucher*innen es hier mit jedem Schritt zu spüren bekommen. Selten hat man nach einem Ausstellungsbesuch einen geebneten Untergrund und eine warme Decke so sehr zu schätzen gewusst. 

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Samstag, den 20. November.
WO: Åplus, Stromstrasse 38, 10551 Berlin.

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