Zwischen Architektur und Skulptur
Leunora Salihu im Skulpturenpark Waldfrieden

1. Mai 2021 • Text von

Der von Tony Cragg gegründete Skulpturenpark Waldfrieden stellt „Pieces“ der Künstlerin Leunora Salihu aus. Wie der Titel der Ausstellung schon andeutet, schafft die Cragg-Schülerin in Stückwerk gebaute Einzelskulpturen, die sich rhythmisch zu einer gemeinsamen Harmonie fügen. In einem Spiel der Gegensätze bebaut sie so die Zwischenräume des Sichtbaren.

Skulpturen von Leunora Salihu vor einer Glasfront.
Leunora Salihu, Pieces, Ausstellungsansicht, © Leunora Salihu, Foto: Michael Richter.

Den vom Anstieg noch ein wenig außer Atem geratenen Besucher*innen des Skulpturenparks Waldfrieden in Wuppertal gewährt dieser Tage die obere Ausstellungshalle neben dem phänomenalen Ausblick auf die Wupper einen Einblick in die Gedankenwelt der Künstlerin Leunora Salihu. Sobald Interessierte die Werke von Cragg und derzeit auch Beuys hinter sich gelassen haben, finden sie sich auf einer Ruheinsel inmitten des Kleinods Waldfrieden wieder, die von fragil anmutenden Skulpturen bevölkert wird. Selbst so durchlässig wie der gläserne Pavillon geben sie den Blick in die umgebende Natur frei.

Salihu lotet in ihrer Einzelausstellung „Pieces“ Übergänge und Zwischenräume aus. Wo endet der Sockel? Wo beginnt die Skulptur? Wo endet der Innenraum? Wo beginnt der Außenraum? Dieses Gefühl wird noch vom Setting des gläsernen Pavillons verstärkt und überträgt sich bis in die Natur, in der ebenfalls zwei Werke platziert sind.

Bogen-Skulptur von Leunora Salihu im Skulpturenpark Waldfrieden
Leunora Salihu, Bogen, 2019, Maße: 204 x 45 x 30 cm, Material: Aluminium, © Leunora Salihu, Foto: Michael Richter.

Entstanden sind hybride Konstrukte zwischen Architektur und Skulptur, zugleich konstruktiv und organisch. Modulare Systeme aufgebaut in Rasterstrukturen, die sich wiederholen, sich aneinanderreihen, aufeinandergestapelt sind. Versatzstücke, die in einer Art Baukastenprinzip einen Rhythmus in der inneren Anordnung finden. Die archetypischen Strukturen greifen dabei Urformen des Bauens auf, die durch Titel wie „Turm“ oder „Bogen“ offensichtlich werden. Orientiert an diesen Grundformen der Architektur schafft die Meisterschülerin von Tony Cragg an Skelettbauweise erinnernde, überzeitlich anmutende Werke, die in ihrer scheinbaren Funktionalität auf der Schnittstelle zwischen realen und imaginären Räumen verortet sind.

Ausgehend von einer tiefgreifenden Materialkenntnis arbeitet Salihu dabei vornehmlich mit Naturmaterialien wie Holz und Ton. In den Eigenschaften der Werkstoffe wird das Spiel mit Gegensätzen fortgeführt, wenn das weiche Material erst beim Brennen an Form gewinnt oder industriell hergestellte Holzplatten mit handgefertigter Keramik interagieren. Immer wieder bleiben zudem Spuren des Herstellungsprozesses wie Schrauben für Betrachter*innen deutlich sichtbar.

Zwei Skulpturen von Leuora Salihu vor Glasfront.
Leuora Salihu, o.T., 2021, Maße: 180 x 57 x 57 cm, Material: Keramik, Glasur, MDF, © Leunora Salihu, Foto: Michael Richter. // Leunora Salihu, Welle, 2020, Maße: 177 x 96 x 36 cm, Material: Keramik, Glasur, Holz, © Leunora Salihu, Foto: Michael Richter.

Auf den ersten Blick lassen sich in den konstruierten Werken keinerlei Bezüge zu Cragg ausmachen und doch fügen sich die Skulpturen organisch in ihren Umraum, sind durch Material und Farben naturverbunden. Mit ihrer ganz eigenen Formsprache hat sich die 1977 in Pristina im Kosovo geborene Künstlerin von den fließenden Formen ihres Lehrers emanzipiert. Manches der Objekte wirkt vertraut, wie aus dem alltäglichen Umfeld entnommen. So rufen ihre Skulpturen Assoziationen an Alltagsgegenstände wie Weinregale oder Spaliere hervor, entziehen sich aber im nächsten Moment durch Verformung und Verfremdung jeglicher Kategorisierung.

„Urraum“ ruht außerhalb des Pavillons auf der Anhöhe mit Panoramablick auf das Stadtbild von Wuppertal und scheint mitten in der Bewegung angehalten, als könne man einsteigen in das radartige Konstrukt und den Weg ins Tal so beschleunigen. Ähnlich verhält es sich mit der Arbeit „Wellenlänge“, die wie ein aus dem Lot geratener Kreisel auf der Seite liegt, sich wie ein Wasserstandsmesser bei Ebbe auf den Grund gesenkt hat. Als würde die nächste Flutwelle ihn sogleich fortreißen und wieder in Bewegung versetzen.

Leunora Salihu, o. T., 2021, Maße: 48 x 36 cm (gerahmt), Material: Tusche auf Papier, © Leunora Salihu, Foto: Julia Stellmann. // (6) Leunora Salihu, Urraum, 2019, Maße: 2018 x 323 x 200 cm, Material: Accoya-Holz, HPL-Platten, © Leunora Salihu, Foto: Julia Stellmann.

Flankiert werden die Skulpturen von 12 Tuschezeichnungen, die ebenfalls wie ein mal mehr zur einen, mal mehr zur anderen Seite tendierender Wasserstandsmesser zwischen naturwissenschaftlichen und künstlerischen Überlegungen hin- und herpendeln. Mit tastendem Feinsinn scheinen sie in filigraner Linienführung seismographische Eruptionen abzubilden, wellenartige Strukturen. Verknüpft mit monströsen Gebilden, die an Insekten erinnern, deren Krallen einen harten Gegensatz zum weichen Liniengeflecht der Binnenzeichnung formen.

Alle Werke scheinen in einem fragilen Gleichgewicht von Anziehung und Abstoßung zu ruhen, miteinander in einem komplexen Raumgefüge in Relation zu stehen. In ähnlicher Weise verhalten sich die Skulpturen auch zum Bezugspunkt des eigenen Körpers. Verändert sich beim Durchwandern der Ausstellung der Blickwinkel, scheinen sich dementsprechend die Skulpturen zu verändern. Auch wenn die Arbeiten ihren Herstellungsprozess offenlegen, mit Querschnitten Einblicke in ihr Innenleben gewähren, bleibt doch vieles im Verborgenen. Irgendwo zwischen Körper und Raum, zwischen belebt und unbelebt, meint man, Salihus Werke würden sich unbeobachtet weiterbewegen.

Skultpur von Leunora Salihu, im Hintergrund eine weitere Skulptur und Tuschezeichnungen.
Leunora Salihu, Resonanz, 2020, Maße: 84 x 233 x 25 cm, Material: Keramik, Holz, Leihgeber Sammlung Philara, © Leunora Salihu, Foto: Michael Richter.

Die Ausstellung „Pieces“ ist derzeit, ebenso wie die Beuys Ausstellung, nicht zugänglich. Ein Besuch im Skulpturenpark Waldfrieden lohnt sich aber trotzdem, da das Außengelände mit negativem Corona-Test und Terminbuchung weiterhin für Besucher*innen geöffnet ist.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 20. Juni 2021.
WO: Skulpturenpark Waldfrieden, Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal.