Salz, Widerstand, Fluidität
Lucila Pacheco Dehne in der Kestnergesellschaft Hannover

26. Januar 2023 • Text von

Mit dem Format „Future Scenarios“ gibt die Kestner Gesellschaft aufstrebenden Künstler:innen der Region Hannover die Chance, mit den architektonischen Gegebenheiten des Hauses zu arbeiten. Die Künstlerin Lucila Pacheco Dehne nutzt mit ihrer Ausstellung „To All My Roaring Bodies, The Seeds And The Mountains“ die Zwischenräume und Leerstellen des Hauses und verleiht besonders der Küche eine neue Bedeutung. (Text: Anna Blahaut)

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Lucila Pacheco Dehne To All My Roaring Bodies, The Seeds And The Mountains, 2022, Installationsansicht, Courtesy the Artist, © Fotos: Raimund Zakowski.

Die Ausstellungsbesucher:innen folgen den asymmetrischen Teppichstrukturen. Sie leiten durch einen schmalen Raum, den Lucila Pacheco Dehne installativ-skulptural gestaltet, hin zur Küche des Hauses. Die Künstlerin bezeichnet diese als „beating heart of a home“ und macht sie zum zentralen Fluchtpunkt ihrer Werke. Verteilt finden sich verschiedene Arbeiten. Monument for Seeds ist ein schwerer Vorhang, der durch Form und Struktur subtil an entfernte Sandstrände erinnert. Er führt ein zentrales Element der Ausstellung ein: das Meer.

Ihm gegenüber stehen glänzende Servierwagen, „Protecting Carriers“ aus Edelstahl, die als Display genutzt werden. Amalgame aus aquatischen Lebewesen und anderen organischen Materialien wie Eiern, Pacheco Dehnes „Soft Shells“ erscheinen in ihrer keramischen, glasierten Konsistenz, feucht und schimmernd.

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Lucila Pacheco Dehne, To All My Roaring Bodies, The Seeds And The Mountains Installationsansichten / Installation views. Courtesy the Artist. © Foto Volker Crone.

Pacheco Dehne greift hier wiederkehrende Topoi des Meeres auf: Fische und Fluidität, Nationalität und Zerrissenheit. Für die Künstlerin, die zwischen deutschen und kolumbianischen Kulturen und Traditionen aufgewachsen ist, stellt der Ozean eine Zwischenwelt dar. Diskontinuierlich in Beschaffenheit und Anordnung ist grobkörniges Salz, fest gewordener Ozean, hierfür sequenziell ausgestreut und in eigens angefertigten Gefäßen hinzugefügt – „We Cooked The Mountains, We Cooked The Sea“.

Die simultanen Prozesse und Materialitäten werden durch Klänge ergänzt, die durch den Raum hallen. Laut, leise, rhythmisch, unrhythmisch, gewalt- und kraftvoll ist die Soundarbeit „Canción Sin Fin“ aus der Küche der Kestnergesellschaft zu vernehmen. Sie wird mithilfe von Utensilien wie Töpfen, Pfannen und Kellen erzeugt. Rezipient:innen können die Bewegungen der Künstlerin wahrnehmen: Sie hören ihr Innehalten, ihr Anpirschen und Loslassen, ihr Ausprobieren, Erfahren und Erzeugen.

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Lucila Pacheco Dehne, To All My Roaring Bodies, The Seeds And The Mountains Installationsansichten / Installation views. Courtesy the Artist. © Foto Volker Crone. // Lucila Pacheco Dehne, To All My Roaring Bodies, The Seeds And The Mountains Installationsansichten / Installation views. Courtesy the Artist. © Foto Volker Crone.

Die Künstlerin nähert sich so der Praxis des „Cacerolazo“ an. Der Begriff Cacerolazo, abgeleitet vom spanischen „cacerola“, Kochtopf, bezeichnet in lateinamerikanischen Ländern eine Form des Protests, bei dem lautstark auf anhaltende Menschenrechtsverletzungen und soziale Ungleichheiten aufmerksam gemacht wird. Pacheco Dehne solidarisiert sich so selbstwirksam mit den Protesten und verleiht dem Raum eine kraftvolle Situierung.

Die Küche, das „beating heart“, kann als Ort nicht begangen werden. Den Betrachter:innen wird durch eine Kordel aus Erbsen der Zutritt verwehrt. Das Interior der Küche wird dennoch sichtbar: Töpfe und Pfannen, Geschirr, eingelegte und frische Lebensmittel, eine Schürze, mehrere Weingläser, sowie die Textarbeit „As we cook“, die zentral angebracht ist. Pacheco Dehne betont, dass soziale, politische und gesellschaftliche Strukturen verändert werden können, indem bestimmte (neo)koloniale Zusammenhänge zwischen Lebensmitteln und Zubereitungsweisen sicht- und erfahrbar gemacht werden.

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Lucila Pacheco Dehne, To All My Roaring Bodies, The Seeds And The Mountains Installationsansichten / Installation views. Courtesy the Artist. © Foto Volker Crone. // Lucila Pacheco Dehne, To All My Roaring Bodies, The Seeds And The Mountains Installationsansichten / Installation views. Courtesy the Artist. © Foto Volker Crone.

“Widerstand kann bedeuten, sich an Rezepte und Zutaten zu erinnern, die durch Gewalt genommen wurden, und gleichzeitig, Traditionen zu brechen und diese neu zu schreiben“, sagt Pacheco Dehne. Sie untersucht die verlorene Bedeutung der Küche und erkundet das Potenzial des Kochens als kulturelle Praxis, die im Kern eine widerständige Kraft birgt. Kulinarik und Essen als Ort solidarischer Zusammenkünfte werden ähnlich wie in den Arbeiten des Aktions- und Performancekünstlers Rirkrit Tiravanija aufgearbeitet. So verwischt Pacheco Dehne ebenso durch ihre Food-Performances „Parangaricutirimicuaro – Of Women Preparing The Resistance“ und „Frijoles Resistentes“ Trennlinien zwischen Kunst und Küche und ermöglicht den Erfahrungsaustausch der Teilnehmer:innen.

In der Ausstellung „To All My Roaring Bodies, The Seeds And The Mountains“ spiegeln sich diese wiederkehrenden Themen der Künstlerin von widerständigen Praktiken, inter- und transkulturellen Beziehungen und feministische Kämpfen, Wut und Freiheit. Dem vielfach genutzten Meerestopos verleiht Pacheco Dehne durch neue narrative Strukturen, Initiatorinnenschaft und das Sichtbarmachen eigener postmigrantischen Identitäten eine neue Autonomie.

WANN: Die Ausstellung „To All My Roaring Bodies, The Seeds And The Mountains“ von Lucila Pacheco Dehne läuft bis Sonntag, den 29. Januar.         
WO: Kestner Gesellschaft, Goseriede 11, 30159 Hannover.

Diese Ausstellungsbesprechung ist im Rahmen eines von Mira Anneli Naß und Radek Krolczyk im Wintersemester 2022/23 geleiteten Praxisseminars zu Kunstkritik im Master Kunstwissenschaft und Filmwissenschaft der Uni Bremen entstanden. 

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