Ausstellungsraum als Safe Space
Joschua Y. Arnaut in der Störung Galerie

10. Juni 2021 • Text von

Mal hart, mal sanft, mal destruktiv – Joschua Yesni Arnaut liebt Gegensätze. Seine Ausstellung „The Anger It Took To Get This Gentle“ in der Störung Galerie gewährt einen hochgradig persönlichen Einblick in das Leben des Künstlers. Neben Scham, Schande, Aggression und Despression thematisiert Arnaut Familiengeschichten und Geschlechterklischees und berührt dabei sensible und oft komplexe Themen. Wir sprechen mit ihm über Safe Spaces, psychologischen Exhibitionismus und den Tod.

Das Porträt zeigt den Künstler Joschua Yesni Arnaut.
Porträt von Joschua Yesni Arnaut, Foto: Robert Schittko.

gallerytalk.net: In der Störung Galerie wird man von deiner Arbeit „Spitting Image“ im Schaufenster begrüßt. Was hat es mit der Videoarbeit auf sich, in der du dein Spiegelbild anspuckst?
Joschua Y. Arnaut: Spucke hat mich immer fasziniert. Wenn du junge Typen siehst, die miteinander abhängen, spucken die andauernd. Was ist das für ein Code, wieso müssen die das machen? Ist das Welthass? Ich habe auch schon mal vor jemandem auf den Boden gespuckt wenn ich nicht weiter wusste. Die Arbeit thematisiert aber nicht nur Negativität und Selbsthass, sie überwindet auch die Distanz. Im Video wische ich meinen Speichel mit dem Gesicht auf und lasse so die zuerst fast malerische Arbeit an mich heran.

Die Ausstellung ist extrem persönlich und man erfährt viel aus deinem Privatleben. Fast wie in einer öffentlichen Psychoanalyse. Wie kommt das?
Dafür muss ich etwas ausholen: Ich war 12 Jahre alt als ich meinen Vater das letzte Mal gesehen habe. Ungefähr mit 15 habe ich von seinem Tod erfahren, die Ursache war mir aber bis vor kurzem unbekannt. Er war ein lokal bekannter Strafverteidiger und hat nebenbei als Drogendealer für Reiche gearbeitet. Dann wurde er süchtig und obdachlos und schließlich von einem Mitbewohner in einem Heim getötet. Die ganze Geschichte wurde in einer Zeitschrift veröffentlicht, die meine Mutter bis letztes Jahr vor mir versteckt hat.

Wie ging es dir, als du davon erfahren hast?
Zu dem Zeitpunkt hatte ich ein großes Aggressionsproblem, steckte mitten in der Depression und war mit der Kunst fast durch. Ich habe meine eigenen Arbeiten angeguckt und es hat sich nichts getan. Das Bild meines Vaters mit dem schwarzen Balken im Gesicht, das die Zeitung abgedruckt hatte, hat mich echt fertig gemacht. Er sah aus wie ein Krimineller. Damals war ich auch in der Gruppentherapie, aber mir fiel es total schwer, Raum einzunehmen. Nur von mir zu erzählen. Nach einem halben Jahr habe ich mit der Therapie aufgehört. Ich glaube, ich habe das dann durch die Kunst gelöst. Später ist aus dem Bild meines Vaters die Arbeit „Vatermord“ entstanden.

Im Gespräch mit der Störung Galerie sagst du, du möchtest mit deinen Arbeiten echte Wut hervorrufen. Bei dir oder bei anderen?
Beides. Künstler*innen haben eine besondere moralische Position in der Gesellschaft. Man muss den doppelten Boden, die Übertreibung und die Ironie, die einem zur Verfügung stehen, nutzen. Viele Leute, auch die, die sehr politisch engagiert sind, verstehen das leider nicht. Sie wollen niemanden vor den Kopf stoßen und beziehen deswegen keine Stellung. Ich möchte die Menschen so sehr provozieren, dass sie sich positionieren müssen.

Vier Maulkörbe hängen an der Wand und sind mit großen Steinen gefüllt.
Joschua Yesni Arnaut, I Bark, He Bites Back, 2021. Foto: Jakob Otter.

Der Ausstellungstitel „The Anger It Took To Get This Gentle“ impliziert, dass Wut nötig ist um Softness zu erreichen. Stimmt das denn?
Absolut. Der Titel beschreibt alles, was mir als Mensch wichtig ist und was ich durchlaufen habe. Ursprünglich ist es aber ein Zitat von Mike Tyson, der auch eine erstaunliche Transformation durchgemacht hat. Der wütendste Mensch ever kann der liebevollste werden. So eine Tiefe bei einem Kampfsportler zu spüren, finde ich unglaublich.

Letztes Jahr hast du in der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim die Ausstellung „Didn’t We Deserve A Look At You The Way You Really Are“ gezeigt. Wie steht es denn um deine Authentizität?
Ich muss echt aufpassen, nicht in eine Falle zu tappen: Was ist überhaupt authentisch und wie kann ich das für mich beanspruchen? Es ist problematisch, wenn ich die ganze Zeit versuche, “Realness” darzustellen.

Besteht bei all dem psychologischen Exhibitionismus also auch die Gefahr der Übertreibung?
Auf jeden Fall. Es hat fast schon etwas Wahnhaftes, in alles etwas hineinzuinterpretieren. Es ist definitiv eine Marotte von mir, dass ich meine Arbeiten totrede. Ich will die Leute eben an die Hand nehmen und sagen: „Diesen Weg bin ich gegangen.“ Aber ich bin überzeugt davon, dass die Werke auch funktionieren, wenn man gar nichts darüber weiß. Dann spürt man es halt.

Kommen für dich auch Arbeiten in Frage, in denen die emotionale Ebene nicht so extrem ist?
Meistens ist mir das dann nicht “in your face” genug. Ich bin großer Fan der Young British Artists. Damien Hirst kann man heute zwar schon wieder sehr in Frage stellen, seine Arbeiten damals hatten aber diese emotionale Wucht: Alles prasselt so sehr auf einen ein, dass man gar keine andere Wahl hat, als darüber nachzudenken.

Inwiefern ist das Zeigen von Emotionen ein Thema für dich?
Meine Mutter hat mir stets gepredigt, über Emotionen auf keinen Fall zu sprechen. Was sollen denn die Leute denken? Bei den Jugoslawen hat das nochmal eine ganz andere Ebene als in Deutschland. Auch durch den Bosnien-Krieg, der so hart war und den man bis heute nicht verarbeitet hat. Es gibt kein Schuldeingeständnis im klassischen Sinne von der EU. Das hat auch meine Mutter nachhaltig verändert und sie hat immer alles von sich geschoben.

Das linke Foto zeigt den Künstler, der sich massenhaft Schmuck seiner Mutter und Großmutter ins Gesicht gehängt hat und kaum noch zu erkennen ist. Das linke Bild zeigt einen Kerzenständer, der über und über mit Wachs bedeckt ist und den der Künstler zu einer Metal-Geste geformt hat.
Links: Joschua Yesni Arnaut, Selbstporträt mit Mutters Schmuck, 2021. // Rechts: Joschua Yesni Arnaut, Left Hand Romance, 2021. Foto: Jakob Otter.

Die Familie spielt in deinen Arbeiten eine wichtige Rolle. Etwa dann, wenn du Schmuck oder Kleidung deiner Mutter oder Oma trägst. Ist das ein Spiel mit Rollenbildern?
Ich bin bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen und wurde nur von Frauen erzogen. Ich hatte nie eine Vaterfigur, die für mich oder meine Mutter da war. Und wir hatten keine Familie hier, weil alle abgeschoben worden sind. Wenn ich in reinen Männergruppen unterwegs war, habe ich mich oft nicht wohl gefühlt. Ich würde mich selbst als viel femininer beschreiben, als es äußerlich wirkt. Also habe ich mir meine Männerbilder selbst gebaut. Diese dann in die Kunst zu übertragen, war wohl der einzig richtige Schritt.

Ist Übermutterung auch ein Thema, das dich beschäftigt?
Ja, im Positiven wie im Negativen. Meine Mutter ist eine extrem quirlige Person und hat mich immer mit Liebe überschüttet. Trotzdem hat sie mich auf eine Art erzogen, die wahrscheinlich viele Kreative kennen. Ich habe konstant gehört: „Du bist der Tollste, du bist der Beste, schön hast du das gemacht!“ Ohne das wäre ich wohl nicht dort, wo ich heute bin. Gleichzeitig merke ich aber, dass daher auch viele negative Eigenschaften kommen. Zum Beispiel meine manipulativen Tendenzen.

Du hast also die Strategie, etwas Bestimmtes bei den Leuten auszulösen?
Ja, aber ohne bösen Hintergedanken. Ich versuche, diese Eigenschaft auf gute Art zu nutzen.

Das führt uns zu deinen Stories auf Instagram. Dort schaffst du viel Aufmerksamkeit, zeigst aber auch viel Wut. Worauf?
Ende letzten Jahres sind an meiner Uni, der HfG Offenbach, mehrere Vorwürfe der Übergriffigkeit gegen einen Studenten laut geworden. Die ganze Schule hat seine Geschichte geglaubt, weil der Beschuldigte sehr populär war. Weder die Institution noch die Polizei haben gehandelt. Die gängigen Narrative schieben den betroffenen Frauen die Schuld zu. Nach mehreren Gesprächen mit ihm wusste ich mir nicht anders zu helfen, als ihn online in die Mangel zu nehmen.

Mit welchem Ziel?
Ich habe versucht, meine eigene Haltung zu dem Thema auf andere zu übertragen und die Stimmen der drei Frauen zu stärken. Das kann man natürlich auch extrem manipulativ nennen. Aber es erfolgt in ihrem Einverständnis und wer es mitbekommt, der kann nicht anders, als endlich zuzuhören.

Das linke Bild zeigt die Ausstellungsansicht der Schau "The Anger It Took To Get This Gentle" in der Störung Galerie. Das rechte Bild zeigt ein Detail der Arbeit "Touching From Distance", in der der Künstler Überreste alter Grabsteine zu einer neuen Grabstätte zusammengefügt hat.
Links: Ausstellungansicht, Joschua Yesni Arnaut, The Anger It Took To Get This Gentle, Störung Galerie. // Rechts: Detailaufnahme, Joschua Yesni Arnaut, Touching From Distance, 2021. Foto: Jakob Otter.

Apropos Zuhören: In der Störung Galerie ist es üblich, dass ausstellende Künstler*innen ihre eigene Playlist kuratieren. Welche Songs hast du ausgewählt?
Eigentlich bin ich komplett dagegen, dass Musik in der Ausstellung läuft. Die Arbeiten funktionieren auch alleine gut. Aber ich fand es spannend, auch dort das Verhältnis zwischen hart und weich zu zeigen. Also laufen da Kate Bush, Klaus Nomi, Hip Hop und Metal. Und Prince natürlich!

Wie ist deine Verbindung zu Prince?
Ich habe in meiner letzten Ausstellung so viel über Hypermaskulinität, Hardcore und Black Metal erzählt und wollte das gerne brechen. Da ist mir Prince eingefallen: Meine Mutter hat ihn viel gehört als ich ein Kind war. Er ist mehr Kerl als jeder Metal-Typ, den ich kenne, hat aber gleichzeitig auch extrem feminine Seiten und eine enorme Emotionalität in den Texten.

Oft sind Songtexte ja so universell formuliert, dass man jedes Lied auf die eigene Lebenssituation beziehen kann.
Das ist ja das Schöne! Auch in einem ultra frauenfeindlichen Rap findest du Zeilen, die fast schon feministisch wirken, das finde ich spannend. Zu jeder Skulptur, die ich gemacht habe, gibt es einen Künstler, den ich die ganze Zeit gehört habe.

Wer war das zum Beispiel bei der Entstehung von „Left Hand Romance“?
Das war Sunn O))), eine Doom-Metal-Band. „Left Hand Romance“ war eine meiner ersten Skulpturen. Ich habe aus diesem klassischen IKEA-Kerzenständer eine Metalhand geformt. Insgesamt habe ich 100 Kerzen geschmolzen, jeden Tag fünf Stunden, über drei Wochen. Über das Paraffin habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht, also hatte ich nach den ersten 50 Kerzen ultra Kopfschmerzen. Anfangs ist dieses Performative meditativ und total schön aber irgendwann kommt der Punkt, an dem du denkst: „Was hab ich mir da überlegt?“ Es war das erste Mal, dass eine Skulptur mit einem Soundtrack verknüpft war – das habe ich dann bei den anderen Arbeiten einfach fortgeführt.

Das Werk „Touching from Distance“ trägt ihren musikalischen Bezug ja schon im Namen.
Genau, der Titel bezieht sich auf einen Songtext der Band Joy Division. Die Frage, wie man Leute auf Distanz berühren kann, ist ja auch während des Lockdowns sehr relevant gewesen.

Was hat es mit der Arbeit, die an einen Grabstein erinnert, auf sich?
Mein Vater hatte keinen Grabstein, weil er die Schande der Familie war. Auf dem Frankfurter Hauptfriedhof habe ich haufenweise weggeschmissene Grabsteine entdeckt. Gerade in der westlichen Welt besteht ein absurd kapitalistisches Trauersystem: Nur wenn man zahlt, kriegt man eine Andacht oder einen Grabstein. Ist das Geld alle, wird alles entsorgt. Da ich kein Auto habe, habe ich die anonymen Reste mit der S-Bahn von Frankfurt nach Offenbach gebracht. Man kann sich ja vorstellen, wie die Leute gucken, wenn da ein Kreuz aus der Tüte ragt.

War das eine Art bruchstückhafte Rekonstruktion der unbekannten Identität deines Vaters?
Das Zusammensetzen von Puzzleteilen und das Gefühl, trotzdem nie wirklich an ihn heranzukommen, ist auf jeden Fall ein Aspekt der Arbeit. Es macht schon Sinn, dass ich das Grab eigentlich für meinen Vater gebaut habe – die Maße entsprechen auch genau seiner Körpergröße. Da ich viel mit Black Metal kokettiere, spielt auch der etwas theatralische Umgang mit dem Tod eine Rolle: Gerade, was Friedhöfe betrifft, ist immer ein bisschen Ironie dabei. Ich mag es, das Ganze dann wieder umzudrehen und doch ernst zu meinen.

Die dargestellte Skulptur besteht aus einem umgedrehten Schubkarren-Gestell, einem Krückstock und einem funkelnden Kronleuchter.
Joschua Yesni Arnaut, Hidajeta, 2020. Foto: Jakob Otter.

Bleiben wir bei deiner Familie. Die Arbeit „Hidajeta“ nimmt Bezug auf deine Großmutter. Welche Rolle spielt sie in deinem Leben?
Meine Oma ist gestorben, nachdem sie sehr lange an Alzheimer erkrankt war. Wegen eines Familienzwists hat uns meine Tante nicht zu ihr gelassen. Das heißt, ich habe sie nie so wahrnehmen können, wie sie am Ende war und nicht richtig trauern konnte. Und trotzdem ist sie Teil meiner Identität. Die Skulptur besteht aus einer umgedrehten Schubkarre und einem Gehstock, der sie fixiert. Meine Oma war auch so krumm, sie hatte einen Buckel und war sehr klein. Aber jugoslawische Omas sind extrem tough: Mit dem Gehstock hat sie auch häufig mal um sich gehauen. All diese Gegensätze, jung versus alt, schön versus kitschig, sehe ich in der Arbeit.

Wie reagieren die Besucher*innen auf all deine persönlichen Anekdoten?
Viele Menschen haben mir ihre eigene Geschichte erzählt. Es ist interessant, zu sehen, wie die Besucher*innen sich öffnen und sich mit ihren Dämonen auseinandersetzen. Die Ausstellung soll ein Safe Space sein. Wie eine Analyse ohne den Therapeuten.

Ist der schmale Grat zwischen Kunst und Selbsthilfe bei dir überhaupt gegeben?
Ich glaube, es ist komplett dasselbe. Aber ich möchte niemandem meine Sicht der Dinge aufhalsen. Ich kann komplett verstehen, wenn man seine eigene Geschichte nicht teilen möchte. Die Überspitzung meiner eigenen Person und Biografie mag ich einfach aus dem Grund, dass mir lange Zeit gesagt worden ist, was ich zu tun habe. Und wenn meine Arbeiten jemand anderen auch berühren, ist das natürlich schön.

WANN: Die Ausstellung „The Anger It Took To Get This Gentle“ läuft noch bis Sonntag, den 18. Juli.
WO: Störung Galerie, Adalbertstraße 24, 10179 Berlin.

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