Wir haben alle Angst
„Angst, keine Angst“ im Times Art Center

13. Mai 2021 • Text von

Die aktuelle Ausstellung “Angst, keine Angst” im Times Art Center Berlin beschäftigt sich künstlerisch mit den Ängsten und Unsicherheiten unserer Zeit im Kontext verschiedener kultureller und geographischer Hintergründe. Eine scharfe Reflexion des Zustands der Welt und eine unangenehme Auseinandersetzung mit Angst, Gewalt und Verlust. Wem diese schweren Themen aktuell zu nahe gehen, sollte diesen Text besser nicht lesen.

Dunkle Außenansicht vom Times Art Center Berlin mit einem Bildschirm und dem Ausstellungstitel Angst, Keine Angst, rechts daneben die Eingangssituation im Times Art Center Berlin, heller Raum mit einem Bildschirm, auf dem ein Video vom Initiator der Ausstellung zu sehen ist und der Infotext zur Ausstellung
Angst, keine Angst, Installation street view at Times Art Center, 2021, with Highway 168, by Huang Xiaopeng. Courtesy of the artist. Foto: Jens Ziehe, Berlin. // Angst, keine Angst, Installation view at Times Art Center, 2021, with Huang Xiaopeng in Conversation, by Antje Majewski and Vangjush Vellahu. Courtesy of the artists and VG Bildkunst, Bonn. Foto: Jens Ziehe, Berlin.

In einer Zeit voller Unsicherheiten liegt es doch nahe, eben diese zum Thema einer Ausstellung zu machen und den Finger in die offene Wunde zu legen. Manchmal muss man genau dorthin gehen, wo es wehtut und das tut die dreigeteilte Ausstellung “Angst, keine Angst” im Times Art Center in Berlin par excellence. Sie untersucht die vielschichtigen Formen der Angst als fortlaufenden Prozess in verschiedenen historischen, geographischen und gegenwärtigen Kontexten. Das Projekt teilt sich in drei Kapitel: Das inzwischen schon abgeschlossene erste Kapitel “Uncertainties – Walking on Unstable Ground”, das zweite Kapitel “Panic – The Moment of Fear” und “Potentialities – Growing out of Damaged Ground”, das den Abschluss bildet. Von der anfänglichen Verunsicherung hin zur schieren Panik, lässt der Abschluss der Ausstellung, der Kapitelausblick, darauf hoffen, dass es da irgendwo ein Licht am Ende des Tunnels gibt und wir mit der Angst nicht im Regen stehen gelassen werden.

Filmstill bei dem Huang Xiaopeng zu sehen ist mit dem Untertitel "As an artist, we can continue artistic practices until we are dying"
Filmstill of: Antje Majewski and Vangjush Vellahu, Huang Xiaopeng in Conversation, 2021, HD video, 20 min, Courtesy of the artists, © VG Bildkunst, Bonn.

Initiiert wurde das Ausstellungsprojekt von Huang Xiaopeng (1960 -2020), den man gleich zu Beginn in einer Videoarbeit von Vangjush Vellahu und Antje Majewski kennenlernen kann. Darin spricht er über die Veränderungen größerer Städte, moderne Entwicklungen und sein Heimatland China. Er thematisiert die Schwierigkeit, als Künstler in einem Land tätig zu sein, wo Institutionen von der Regierung geleitet werden und sich dabei trotzdem Räume der Freiheit und Unabhängigkeit zu erschaffen. Ihm war es Zeit seines Lebens ein wichtiges Anliegen, trotz beschwerlicher Umstände in Zusammenarbeit mit anderen Menschen etwas aufzubauen. Ein Gedanke, der sich in den Grundfesten dieser Gruppenausstellung manifestiert, die gleichzeitig eine Hommage an ihren plötzlich verstorbenen Initiator darstellt.

Ausstellungsansicht im Times Art Center Berlin, man sieht abstrakte Formen und verschiedene Materialien, die im Raum verteilt sind
Angst, keine Angst, Installation view at Times Art Center, 2021, with = =, by Anne Gathmann, Gate I, by Anja Gerecke, and INSTALL_21_01, by Franziska Hünig. Courtesy of the artists. Foto: Jens Ziehe, Berlin. // Angst, keine Angst, Installation view at Times Art Center, 2021. View of structure, with works by the artists Anja Gerecke, Anne Gathmann, Franziska Hünig, Friederike Klotz, Alice Musiol, Stefan Rummel, and Erwin Stache. Courtesy of the artists © VG Bildkunst, Bonn. Foto: Jens Ziehe, Berlin.

Doch gehen wir nochmal einen Schritt zurück zur Angst. Wie genau wird Angst definiert? Gibt man den Begriff in die Suchleiste ein, so stößt man auf Definitionen, die Angst als ein Gefühl der “Unheimlichkeit” und des “Ausgesetztseins” in der Welt beschreiben. Oder als einen ungerichteten Gefühlszustand, der signalgebend ist für eine (un-)bestimmte Bedrohung. Angst kann in Verbindung mit psychischen Störungen auftreten. Wir können uns sicher darauf einigen, dass Angst ein Gefühl ist, das wir kennen und alle schon einmal in verschiedensten Situationen verspürt haben. Wann und wo wir uns der Angst ausgesetzt fühlen, können wir in den wenigsten Fällen beeinflussen oder kontrollieren.

Eine graue Wand, an der ein Tablet hängt, zu sehen ist ein Mann, der stumm und bewegungslos da steht, Blick nach vorne gerichtet
Ma Yujiang, I Do I Do Nothing, 2020—ongoing, Performance on live video, 1 hour per day, Courtesy of the artist, Installation view at Times Art Center Berlin, Foto: Jens Ziehe, Berlin.

Die fortlaufende Performancearbeit “I Do I Do Nothing” von Ma Yujiang lässt sich kurz und knapp beschreiben: Es geht darum, jeden Tag eine Stunde lang nichts zu tun und wir können ihm dabei live zuschauen. Klingt erstmal recht simpel. Aber alle, die schon einmal mit sich und den eigenen Gedanken längere Zeit alleine waren, verstehen wahrscheinlich, wie beängstigend das sein kann. Viele scheuen die innere Konfrontation mit sich selbst, da sich dort Abgründe auftun können, die man doch lieber in die hinterste emotionale Schublade verbannt hätte. Auch die Zeit ist etwas, das uns Angst einflößen kann, denn wir können nichts dagegen tun, sie anzuhalten, geschweige denn rückgängig zu machen. Jeder einzelne Moment ist verstrichen, noch ehe wir ihn tatsächlich begriffen haben. Je älter wir werden, desto mehr haben wir das Gefühl, die Zeit würde nur so an uns vorbeirauschen. Yujiang versucht in seiner Arbeit, die Angst vor dem Ablaufen der Zeit zu bekämpfen und zu überwinden, indem er sich ihr direkt gegenüberstellt und sie zum Zentrum seiner Kunst macht.

Zwei Schwarz-Weiß-Fotografien, die Ausschnitte eines weiblichen Körpers zeigen, umhüllt von Leder und einer orthopädischen Bandage, recht greift eine Hand vom Bildrand in Richtung des Gesäßes einer Frauengestalt
Nine Budde, Self-Portrait in 12 Pieces, 2019, 12 gelatin silver prints and C-prints, each 24 × 24 cm. Courtesy of the artist.

Bei Nine Budde und ihrer Fotoserie “Self-Portrait in 12 Pieces” nimmt die Angst eine etwas andere Gestalt an. Die Serie zeigt Teile des weiblichen Körpers in unterschiedlichen Anordnungen, die im Zusammenspiel eine Art neuen Körper bilden und die Bereiche von Körpergefühl und –Wahrnehmung erweitern. Die Geschichte des weiblichen Körpers ist eng mit Formen von psychischer und physischer Gewalt verbunden. Das Bundeskriminalamt stellt jährlich die kriminalstatistischen Auswertungen von Partnerschaftsgewalt online zur Verfügung. Die zuletzt veröffentlichte Statistik aus dem Jahr 2019 zeigt, dass die Tendenz bei der Entwicklung der Opferzahl steigt. Betrachtet werden die verschiedenen Bereiche von Partnerschaftsgewalt: Den größten Teil nimmt dabei die “vorsätzliche einfache Körperverletzung” ein, gefolgt von Bedrohungen, Stalking und Nötigung und an dritter Stelle die “schwere Körperverletzung”. Aber auch Körperverletzungen mit Todesfolge oder vorsätzlicher Mord fließen in die Untersuchung mit ein. Selbstverständlich richtet sich Gewalt in Partnerschaften auch gegen Männer, der prozentuale Anteil ist bei Frauen jedoch um ein Vielfaches höher. Zwischen 2015 und 2019 ist die erfasste Opferzahl in Deutschland insgesamt um 11,2% angestiegen. Schauen wir hinüber zu unserem Nachbarland Österreich, müssen wir schmerzlich feststellen, dass es dort in diesem Jahr bereits zum 11. Femizid gekommen ist.

Links eine graue Wand, an der 12 Schwarz-Weiß-Fotografien hängen, die Ausschnitte von weiblichen Körpern zeigen, rechts ein kleines Loch, umrandet von grüner Farbe, in das man hineingucken kann und Formen und Licht sieht
Nine Budde, Self-Portrait in 12 Pieces, 2019, 12 gelatin silver prints and C-prints, each 24 × 24 cm Courtesy of the artist, Installation view at Times Art Center Berlin, Foto: Jens Ziehe, Berlin. // Friederike Klotz, Walking On, 2021, Peep box consisting of coated glas, a motor, foil, 40 x 40 x 40 cm, Courtesy of the artist © VG Bildkunst, Bonn, Foto: Jens Ziehe, Berlin.

Der weibliche Körper bedarf besonderem Schutz. Die Arbeit von Nine Budde geht direkt auf diese brutale Thematik ein und bezieht Stellung. In der Serie ist ein Körperausschnitt zu sehen, der zu einer schützenden Lederschicht auch noch eine zusätzliche orthopädische Stützbandage trägt. Ein anderes Bild zeigt einen leblosen Körper, der von einer Hand am Gesäß berührt wird und an die Freundin der Künstlerin Sandra erinnern soll, die 1992 beim Trampen vergewaltigt und ermordet wurde – für sie ein besonders einschneidendes Erlebnis und Ausdruck der höchsten Gewaltform. Die Künstlerin bedient sich bewusst einer erotischen Erzählweise, der Objektivierung von Frauen und dem Einsatz von Materialien, wie zum Beispiel Beton, als Zeichen des Schutzes vor äußeren Gewalteinflüssen.

Ein dunkler Raum mit zwei Stühlen und zwei Bildschirmen im Hochformat, auf denen jeweils eine zwielichtige Situation zu sehen ist, je ein Mann sitzt im Bild auf einem Stuhl, rechts ist noch ein Spiegel im Hintergrund zu sehen, der ebenfalls eine Person zeigt
Tam Waiping, Three (仨), 2021, Video with sound, 26 min, Courtesy of the artist, Supported by the Hong Kong Arts Development Council, Installation view at Times Art Center Berlin, Foto: Jens Ziehe, Berlin.

Die Videoarbeit “Three (仨)”von Tam Waiping, die im Untergeschoss zu sehen ist, zeigt drei Bewusstseinszustände in einer zwielichtigen Situation: Ein leerer Raum mit zwei Stühlen und im Hintergrund ein Spiegel, der dieselbe Person wie auch auf den Stühlen zeigt. Die Person im Spiegel ist passiv und nicht an dem Gespräch beteiligt. Der eine Bewusstseinszustand ist sicherer und stellt Fragen, während der ihm gegenübersitzende verunsicherter wirkt und auf die Fragen reagiert. Viele Formen der Angst werden in der Arbeit angeschnitten: Die Angst vor der Welt da draußen, der “outside world”, Angst vor dem Ausgeliefert sein und der Beobachtung, Angst davor, ein Außenseiter zu sein und sich nicht zugehörig zu fühlen; eine Angst vor dem Druck der Außenwelt und vor Menschen, die einem ständig einreden, was zu tun ist und das Ohnmachtsgefühl, das damit einhergeht.

Li Juchuan, The Killing Took Only Seven Seconds, video still, 2008. Courtesy of the artist.

Diese wenigen Ausschnitte aus der Ausstellung im Times Art Center zeigen bereits, wie vielschichtig Angst ist und wie unterschiedlich ihre Ausdrucksformen sein können. Doch eines ist sicher: Wir haben alle Angst. Und es ist ok, Angst zu haben, sie liegt in unserer Natur. Aber wie es der Titel des finalen Ausstellungsteils “Potentialities – Growing out of Damaged Ground” schon vermuten lässt, bieten Angst und die Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten immer auch einen Nährboden, aus dem etwas erwachsen und sich ein Gefühl von neugewonnener Kraft und Stärke entwickeln kann, um diesen Text mit einem positiven Ausblick zu beenden.

Wer noch mehr über die einzelnen Arbeiten und Künstler*innen erfahren mag, kann hier in die Online-Publikation vom Times Art Center reinschauen. Und wer noch einen Beitrag zur Eröffnung des Times Art Center 2019 nachlesen möchte, wird hier fündig.

WANN: Das zweite Kapitel “Panic” der Ausstellung läuft noch bis zum 12. Juni, das dritte und letzte Kapitel “Potentialities” vom 25. Juni bis 17. Juli. Die Besuchsmöglichkeiten richten sich nach den aktuellen Pandemie-Bestimmungen.
WO:
Times Art Center, Brunnenstraße 9, 10119 Berlin.

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