Highlights der HfG Grad Show Beatrice Bianchini, Martin Dörr, Jakob Francisco, Anne Klausmann, Anastasia Ruchkina
31. Mai 2023 • Text von Gast
Nach drei Jahren des pandemiebedingten Ausfalls ein Trumpf: Die HfG Offenbach präsentiert auf zwei Etagen des ehemaligen Technikhandels Saturn in der belebten Frankfurter Straße die größte Absolvent:innen-Schau ihrer Geschichte. Die Ausstellung “Saturn Oppositions” bringt Arbeiten von mehr als 50 Absolvent:innen der Jahrgänge 2020-2023 aus verschiedenen Lehrgebieten der Hochschule für Gestaltung zusammen. (Naomi Rado)
Ein eklektisches Bild ergibt sich schon durch die räumliche Situation, die man vorfindet, sobald man über das sterile Treppenhaus das dritte Stockwerk erreicht. Auf der weitläufigen Ladenfläche wirken die zahlreichen Arbeiten der Ausstellung “Saturn Oppositions” fast collagenhaft. Teils nehmen sie aufeinander Bezug, teils versperren sie sich die Sicht – ob der Titel der Schau dabei an mancher Stelle zu wörtlich genommen wurde?
Die allumfassend hohe Qualität der ausgestellten Werke lässt sich nicht nur dadurch erahnen, dass mehrere der Absolvent:innen der HfG Offenbach bereits in einer Vielzahl von Ausstellungen außerhalb des universitären Kontextes sichtbar waren, einige schon weit vor dem Abschluss durch eine Galerie vertreten wurden. Die Ausstellung in Gänze zu besprechen, würde wohl den Rahmen dieses Formats sprengen, deshalb bleibt es bei fünf persönlichen Highlights.
Beatrice Bianchini „In Your Hands“
Von Beatrice Bianchinis Arbeit “In Your Hands”, die zum Diplomabschluss der Künstlerin als zweiteilige Rauminstallation mit Sound inszeniert war, bleibt in der Absolvent:innen-Schau nur noch ein Fragment. Eine rechteckige und rosa gekachelte Fläche, auf der sich ein abgebrochenes, teils zerschmettertes Waschbecken und zwei Leuchtröhren befinden, liegt auf dem Boden.
Inspiriert von einer Reise nach Tschernobyl, das heute im Norden des ukrainischen Staatsgebietes liegt, befasst sich “In Your Hands” mit Risiken für die moderne Gesellschaft, wie Klimawandel und nukleare Aufrüstung. Diese ernsten Themen bringt die Künstlerin in einen Diskurs mit Prozessen der Entscheidungs- und Gedankenfindung, die sich in der Abgeschottetheit von außen, konkret, im privaten Badezimmer vollziehen. Das Bad als ein intimer und geschützter Raum wird bei Bianchini zum Hoffnungsträger für die Selbstfindung.
Unmittelbar nahe liegt jedoch auch die Assoziation mit Kriegsbildern aus der Ukraine, in denen die Zerstörung von Wohnraum besonders präsent ist. Das Fortschreiten der gegenwärtigen Krisensituation zeigt sich so auch in der zunehmenden Fragmentierung von Bianchinis Arbeit, indem eben der Raum, in dem ein Besinnen auf sich selbst abseits medialer Überflutung möglich wäre, kaum noch als solcher existent ist und im Ausstellungsraum vollkommen vom Außen, von der öffentlichen Sphäre vereinnahmt ist.
Martin Dörr „Latent Entity (Prototype)“
In einem von mehreren kleineren Räumen, die wie Parzellen in einem umlaufenden Gang an die große Ladenfläche anschließen, zeigt Martin Dörr seine Arbeit “Latent Entity (Prototype)”. Betritt man den abgedunkelten Raum, eröffnet sich der Blick auf eine fast lebensgroße Leinwand im Hochformat. Mittels Beamer ist ein organisch anmutendes Gefüge auf die plane Fläche projiziert, das langsam seine Form verändert. Fast könnte man meinen, eine mikroskopische Bakterienkultur in monumentaler Vergrößerung zu betrachten. Spätestens seit 3D-Programme benutzerfreundlicher und zugänglicher sind, erlebt der Biomorphismus in der Kunst seine zweite Blüte. Doch abseits der Ästhetisierung organischer Strukturen gelingt Dörr mit “Latent Entity” ein Coup auf Metaebene, der durch bloßes Betrachten kaum zu verstehen ist.
Irritiert zwar die User-Liste am linken Bildrand, die aus einem Chatfenster stammen könnte, so käme man doch kaum auf die Idee, dass es sich hierbei um ein Spiel handelt. Dieses kann jedoch nur gespielt werden, wenn man schläft. Dörrs Arbeit setzt an der Schnittstelle Mensch-Maschine an und ist Teil einer weitreichenden Auseinandersetzung mit passivem Handeln, als Alternative zu gegenwärtigen Gaming-Strategien, und dem Generieren eines künstlichen, kollektiven Organismus, der in Abhängigkeit zum Schlafrhythmus der partizipierenden User agiert. Für den Prototypen dieser latenten Entität speist Dörr die Game-Engine Unity mit Archivdaten seines eigenen Schlafmusters. So betrachtet man gewissermaßen ein Alter Ego des Künstlers, das nächtlich zum Leben erwacht.
Jakob Francisco “Look What You‘ve Done”
Jakob Franciscos Jalousien aus Spiegel-Paneelen hängen in verschiedenen Größen frei im Raum und bilden den Hauptbestandteil seiner Installation “Look What You’ve Done”. Aus der Distanz fallen sie kaum auf, da sie vor allem die umliegenden Werke und den Raum selbst auffangen und sie durch die Spiegelung fragmentarisch brechen. Es scheint kurios, dass hier gerade ein vorhangartiges Element zur Projektionsfläche wird – dient die Jalousie doch eigentlich dem Verbergen dessen, was hinter ihr liegt. Mit ihrer strikten Ordnung und metallischer Aufhängung wirken die skulpturalen Arbeiten fast wie industriell gefertigte Gebrauchsobjekte, wäre da nicht die handwerkliche Finesse, mit der der Künstler sie umsetzt.
Ergänzt wird das eigentümliche Spiegelkabinett um eine Wandcollage, bestehend aus einem Parka in Camouflage-Optik, der an einem Haken hängt und in dessen Taschen mehrere kleine Werkzeuge, darunter etwa ein Hammer, platziert sind. Auf einem kleinen Regal neben ihm ist ein Flechtkorb platziert, in dem sich hölzerne an Kartoffeln erinnernde Objekte befinden. Von diesen sind einige auch auf dem Boden verteilt. Ergänzt wird das Ensemble von einer gerahmten Arbeit, die an Franciscos „u.p.“-Serie erinnert, in welcher der Künstler seit mehreren Jahren im gleichen Format mit UV-Drucken auf Matt- und Spiegelglas experimentiert. Nicht nur im Spiel von Sichtbarkeit und Verschwinden, sondern auch durch die spezifische Material- und Objektwahl, schließen die Arbeiten unverkennbar an die ästhetische Praxis des Künstlers an.
Anne Klausmann „dazwischen“
Ebenen über Ebenen, dazwischen Körper, Architekturen, Infrastrukturen. Selbst in ihrer Reduziertheit auf Linien stellt die Werkserie “dazwischen” von Anne Klausmann einen Realitätsbezug her, der von einem geschulten Blick und Verständnis für die Wahrnehmungsstruktur des 21. Jahrhunderts geprägt ist. Gläserne und sich spiegelnde Flächen, geometrische Formen und Menschenmengen bestimmen das Stadtbild globaler Metropolen. Den Transitcharakter und die ständige Bewegung, die ihnen gemein sind und diese Orte dynamisieren, bildet Klausmann nicht nur ab, sondern lässt sie fühlbar werden.
Die filigranen Zeichnungen im Format eines Smartphone-Displays sind in großzügige Passepartouts eingefasst und gerahmt. Ist ihr Aufbau zwar fragmentarisch, so büßen sie dabei keineswegs ihre inhärente Logik ein. Gehangen als akkurates Raster von insgesamt 24 Linienzeichnungen wirken die Szenen, als hätte die Künstlerin sie im Vorbeigehen, im Bahnhof, Kaufhaus oder im öffentlichen Verkehr erhascht. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man hier und da losgelöste Beine und Köpfe, perspektivische Verschiebungen, die plötzlich nicht mehr ins Gesamtbild passen. So könnte man wohl stundenlang in den Details der Welten schwelgen, die Klausmann geschaffen hat, statt auf die eigene digitale Prothese, das Handy zu schauen.
Anastasia Ruchkina „Dispute Islands Atlas und Drowning Islands“
Die Kommunikationsdesignerin Anastasia Ruchkina liefert mit ihrer mehrteiligen Arbeit “Dispute Island Atlas” eine informierte künstlerische Recherche über die Verfasstheit umkämpfter Inselgebiete in Abhängigkeit zum Ressourcenmangel einer durch Kapitalismus und Fortschritt getriebenen Welt. Die “Dispute Islands” sind meist kleine, oft unbewohnte Inselflächen auf dem offenen Meer, deren Reichtum an Ressourcen sich mehrere Staaten aneignen wollen.
In einer Publikation erläutert Ruchkina die Entwicklung der Konflikte um diese Inseln, die sie um anschauliche Daten und kartografisches Material ergänzt. Mit einer Installation am Boden des Ausstellungsraums verweist die Künstlerin auch auf den imperialen Aspekt solcher Aneignungsprozesse, indem sie verschiedene Staaten mit den von ihren beanspruchten Gebieten in ein Größenverhältnis setzt. Spoiler: Das Vereinigte Königreich und Frankreich schneiden mit ihren territorialen Aspirationen nicht gut ab.
Neben den umstrittenen Inseln widmet sich Ruchkina in ihrer neuen Publikation auch den untergehenden Inseln. Ihr Buch “Drowning Islands” kann ebenfalls in der Absolvent:innen-Ausstellung durchgeblättert werden und ist mit großformatigen, topographischen Fotografien an der Wand des Raumes veranschaulicht. Während sich “Dispute Islands Atlas” besonders mit ökonomischen und territorialen Krisen befasst, die unsere Gegenwart prägen, widmet sich “Drowning Islands” der ökologischen Katastrophe des fortschreitenden Klimawandels und dessen Einfluss auf Inselstaaten und -gebiete. Geben die fotografischen Arbeiten im Ausstellungsraum bereits einen Eindruck von den Auswirkungen eines steigenden Meeresspiegels, so verdeutlichen Ruchkinas grafische Renderings im Buch erst das volle Ausmaß des wortwörtlich drohenden Untergangs.
WANN: Die Absolvent:innen-Ausstellung “Saturn Oppositions” der HfG Offenbach läuft bis Sonntag, den 4. Juni.
WO: Geschäftsgebäude Frankfurter Straße 17–21, Offenbach. 3.+4. OG, Eingang über Hugenottenplatz.