Die Umnachtung der Gurke Jagoda Bednarsky und Felix Kultau bei Grisebach
2. Mai 2022 • Text von Lara Brörken
Im Mondschein in der Natur, es raschelt im Gebüsch, ein kalter Schauer läuft über den Rücken, während das unheimliche Moment gleichzeitig die Wärme ins Gesicht schießen lässt. Die Romantik bietet ein belebendes, weil leicht toxisches Wechselbad der Gefühle – früher Natur und Wetter, heute eher so Plastik und Sauna. Jagoda Bednarsky und Felix Kultau schlagen mit „Nachtstücke“ bei Grisebach in Anlehnung an die Literatur der Romantik und im Rahmen des Berliner Gallery Weekends ein eigenes und doch ähnlich schauderhaft melancholisches Kapitel auf.
Vor Sehnsucht triefend und vermutlich mit vom Entsetzen zitternder Hand schreibt Nathanael in E.T.A. Hoffmanns erstem, berühmtesten Nachtstück „Sandmann“ seinen Brief an Lothar, seinen Vertrauten und Bruder seiner Verlobten Clara. “[…]; täglich und stündlich gedenke ich Eurer Aller und in süßen Träumen geht meines holden Clärchens freundliche Gestalt vorüber und lächelt mich mit ihren hellen Augen so anmuthig an.”
Direkt in den ersten Zeilen stehen sich Liebe, Sehnsucht, Träume und düstere Stimmung, Spuk, Naturphänomene spannungsreich gegenüber. Jede positive Empfindung wird wortwörtlich überschattet: “Dunkle Ahnungen […] breiten sich wie schwarze Wolken-Schatten über mich aus, […].” Das positive Gefühl hat einen unheimlichen Gegenspieler – in diesem Gegenüber von Fantastischem und Wahnsinn liegt die romantische Magie, derer sich Jagoda Bednarsky und Felix Kultau im Rahmen des Gallery Weekend Berlins mit ihren “Nachtstücken” und aus heutiger Perspektive künstlerisch nähern.
Was ist das bedrohlich-magische an der Natur heute? Sie selbst ist weniger die Unheimliche, unheimlich ist ihre Bedrohung. Das Gift sickert täglich in sie hinein und bringt Unnatürliches zum Vorschein. Kultaus “Ödland Display I” funktioniert wie ein Schaufenster, ein Guckkasten voller wuchernder Unnatürlichkeiten, vor dem Besucher*innen staunend dabei zusehen, wie Plastikpflanzen um in Pink und Orange warm leuchtende Neonröhren ranken. Erschreckend schön, diese Un-Natur, das unnatürliche Licht, der trügende Schein. Ach, wie gemütlich dieser leblose Mikrokosmos.
Gegenüber Kultaus dystopischem Traum-Kasten schlagen Bednarskys Malereien Wellen. Brüste springen wie Delfine aus den Fluten hervor oder sind selbst die Welle, Brustwelle – Nippel voraus! Ein weißer Tropfen fällt in das rosa violette Meer und öffnet ein Feld zwischen Muttermilch und Lusttropfen. “Under the Weather (mirror)” und “Under the Weather (drop)” sind kraftvolle, aber verspielte Werke, vor dem sich der patriarchale Mainstream easy hinterfragen lässt.
In “Under the Weather (trip)” blickt die Künstlerin in ganz romantischer Manier durch ein Video-Chatfenster. Das Display scheint nur zart durch die es umgebende Unterwasserwelt hindurch, die Künstlerin sendet ein kleines Signal aus der Tiefe, während über ihr die See tobt. Fabelhafte Meerjungfrauen-Schwänze schlängeln sich durch das Bild, eine Brust hisst über Wasser ihr Segel, um ein Papierboot auf Kurs zu halten. Gar nicht so leicht den Weg zu navigieren, wenn durch all die Fenster eine Welt zu sehen ist, die gar nicht wirklich existiert.
Aber im Unwirklichen liegt ja auch der Reiz, im Geheimnis, in der Gefahr sich zu verirren und aus Versehen ein Abenteuer zu erleben. So ist das Fenster, das User*innen auf sich selbst zurück- und Fragen aufwirft, das fragwürdige Abbild, das unreflektierte Spiegelbild der eigenen Visage das, was an- und runterzieht.
In den U-förmigen Ausstellungsraum von Grisebach ist dieses Spiegelmoment in Kooperation mit Philipp Pflug Contemporary hineinkuratiert worden. Zunächst scheint es als wäre ein Werk nach dem anderen gehängt, doch machen Besucher*innen einmal die U-Kurve, entdecken sie Ähnliches erneut, aber anders. So ist eine Kommunikation der Werke von der einen auf die andere Seite entstanden, jedes Werk referiert auf ein weiteres, sie halten Händchen sozusagen – Hach!
Neben dem Fenstermotiv fehlen noch die Türen. Und zwar die geschlossenen, die besonders reizvollen. Kultau widmet sich gerne dem Scheinbaren und er hat es auch auf geschlossenen Türen gefunden. Seine Gates und Locker verbergen etwas, zeigen auf der Oberfläche Zeichen der Zeit, Gebrauchsspuren, eine geheimnisvolle Patina, die die Geschichte der Türen andeutet. Seine Gates haben in der Vergangenheit Container ver- und in ihm Waren eingeschlossen. Diese Türen waren sichtlich auf Reisen, oder nicht? Wirklich konkret werden sie nicht, die Wahrheit liegt irgendwo zwischen den Weltmeeren und der Fasanenstraße.
Der “Anxiety Locker” scheint weniger von Übersee, eher aus einer amerikanischen High-School. Manche Erlebnisse, Gesagtes, Gehörtes oder Gefühltes sperren Menschen bewusst weg. Es ist besser so für alle, denken sie dann, lieber erscheine ich makellos, verberge die Katzer, aber ein kleiner Fetzen der Wahrheit schummelt sich doch gelegentlich an die Oberfläche. Hier: ein Regenbogen-Sticker mit der Aufschrift “Anxiety”. Überwiegend melancholisch Violett lackiert zeigen sich die Türen oben sichtlich abgeschürft und ein schwarzer Fleck prangt im unteren Teil. In diesem, aufgrund der sichtbaren Makel nur halbverschlossenen Erscheinungsbild, tragen die Spint-Türen eine angstgeprägte Gefühlswelt nach außen.
Oh weh! – Gegen die Angst hilft Wellness und Selfcare, klar. Bednarsky bietet hierfür drei frische Gurkenscheiben, deren knackigen Hydro-Kerne der sich abzeichnenden Erschöpfung entgegenzuwirken versprechen. Mit “Cucorbit 80 /120 und 115” kriegen Besucher*innen in jeder Hinsicht die Kurve, hier im U-Ausstellungsraum und womöglich auch im Leben, es geht sich jedenfalls direkt schwungvoller mit frischem Grün vor und auf den Augen. Die Gurkenscheiben sind leicht versetzt dargestellt, sodass ein sichelförmiger Streifen am Rand der runden Leinwand erscheint, wie ein Mond, der sich um die Gurke schmiegt, sie quasi umnachtet.
Ist die Kurve gekriegt, haben Besucher*innen Déjà-Vus. Sie stehen erneut vor einem verschlossenen, in diesem Fall makellosen Gate, vor “Ödland Display 2” durch dessen Schaufenster, neben Plastikpflanzen und leuchtendem Neon, auf flüchtiges Vergnügen in Form von Räucherstäbchen und Lachgaskapseln angespielt wird. Auch auf der anderen Seite des Us schlagen Brüsten Wellen und Tropfen fallen lebensstiftenden auf trockenen Untergrund oder verlaufen sich in den Wassermassen des Meeres. Auf einem flauschig weichen Kissen liegt ein Kind in Bednarskys “Wellness-(Bett)”. In den von Kultaus Spint bekannten Regenbogenfarben prangt auf der karierten Bettdecke das Wort “Wellness!”.
Irgendwas stimmt hier nicht, erscheint die Kombi aus Mathematikheft-Muster und Wellness gänzlich widersprüchlich, so könnte das wolkenähnliche Kissen flauschig aber auch ebenso unbequem und atemraubend wie eine bedrohlich stürmisch-tobende See sein. Dem Kind kann von unten in die Nase geguckt werden, die Perspektive kippt, nichts ist hier wirklich well, nichts well balanced. Es bleibt eine Ahnung und zu hoffen, dass sich das Kind nicht von seinen Träumen, Sehnsüchten und Befürchtungen aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Es ist Zeit aufzuwachen!
Die “Nachtstücke” von Jagoda Bednarsky und Felix Kultau machen Freude. In ihrem Zusammenspiel werden weltliche Absurditäten kritisch beleuchtet und gleichzeitig erfrischend humorvoll überzeichnet. Die Werke lassen Unnatürliches auf irritierende Weise Hand in Hand mit dem Übernatürlichen gehen und die Realität durchs Raster fallen. Hier umnachtets einen endlich mal auf angenehme Weise. – Hach!
WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Freitag, den 13. Mai.
WO: Grisebach, Fasanenstraße 27, 10719 Berlin.