Content in der Abwärtsspirale
Stefanie Schwarzwimmer im zqm

29. März 2023 • Text von

Eine Home-Tour und jede Menge Lifestyle-Tipps gibt es aktuell im Projektraum zqm. Stefanie Schwarzwimmer zeigt dort eine Videoarbeit, die immer weiter in die Untiefen der Content-Creation hineinführt. Oder ist man längst Teil dieses Spiels?

In einem dunklen Raum wird mittig eine Videoprojektion projiziert. Darauf ist Stefanie Schwarzwimmers 3D-Animation "Going Places 2020" zu sehen. Man sieht einen Treppenabsatz, auf dem Hanteln und ein Bogenhanf stehen.
Stefanie Schwarzwimmer, The Creator, Ausstellungsansicht zqm Berlin, März 2023 © zqm Berlin

Eine angenehm tiefe Stimme empfängt die Besucher*innen im zqm: „Morning, Guys!“ Und dann geht es auch schon los, schließlich ist es bereits 5 Uhr früh und der unbekannte Content-Creator beginnt, sein Fitness-, Ernährungs- und Lifestyle-Programm zu teilen. Abgesehen von Stefanie Schwarzwimmers 3D-animiertem Video ist der kleine Ausstellungsraum komplett abgedunkelt. Das schräge Hochformat, auf das die Arbeit „Going Places 2020“ projiziert wird, ähnelt einem gigantischen Handydisplay, auf das man hinabblickt. Das passt wunderbar zum Inhalt des Videos: Der Protagonist steigt ein Treppenhaus hinab, während er von seinem Alltag berichtet. Die Perspektive suggeriert, dass man selbst Kamera führt – oder mit leicht abgeknicktem Hals aufs Smartphone starrt. 

Avocado zum Frühstück, eiskalte Dusche gegen „Brainfog“ und absurde Sporteinheiten – Schwarzwimmers Video-Blogger lässt kein Klischee aus. Im Hintergrund dudelt monoton die lizenzfreie Melodie, die jedes x-beliebige YouTube-Video untermalt. Die sanfte Erzählung aus der „first person perspective“ lullt einen ein und zieht einen in den Bann – ganz im Sinne eines hypothetischen Influencers. Ab und zu schweift man mit den Gedanken ab, findet dann an beliebiger Stelle wieder ins Video und stellt beruhigt fest, gar nicht viel Inhaltliches verpasst zu haben.

In einem dunklen Raum wird mittig eine Videoprojektion projiziert. Darauf ist Stefanie Schwarzwimmers 3D-Animation "Going Places 2020" zu sehen. Man sieht ein Bild mit der Aufschrift "All the world's a stage".
Stefanie Schwarzwimmer, The Creator, Ausstellungsansicht zqm Berlin, März 2023 © zqm Berlin

zqm steht für „zwanzigquadratmeter“, der Projektraum ist wirklich nur genau so groß und liegt ziemlich versteckt im 1. Stock eines Seitenflügels in Berlin-Friedrichshain. Das trägt zum Gefühl vermeintlicher Intimität bei. Kurz meint man, in einer privaten Wohnung zu stehen, an einem fremden Schicksal teilzuhaben und eine Person kennenzulernen, die ihr Zimmer mit Hanteln und Bogenhanf teilt. An der Wand dieses Menschen sind die Worte „All the World’s a Stage“ zu lesen, eine Referenz auf William Shakespeare, der die Welt als Bühne und die Menschen als Darsteller*innen bezeichnete. Und da fällt es einem wieder ein: Das hier ist Show und man selbst Teil des Publikums.

Eine Sache ist jedoch merkwürdig. Die Stufen scheinen nicht enden zu wollen, die wohnliche Treppe geht nahtlos in hallenden Marmorboden über. Der Weg führt durch einen Bareingang hinab in ein Schiffsinneres, ja, sogar in eine U-Bahn-Station verschlägt es die Betrachtenden. Am Ende einer Rolltreppe steht man plötzlich wieder vor dem Bogenhanf. Und dann geht es von vorne los: „Morning, Guys!“

In einem dunklen Raum wird mittig eine Videoprojektion projiziert. Darauf ist Stefanie Schwarzwimmers 3D-Animation "Going Places 2020" zu sehen. Man sieht eine Treppe, die in die Tiefe führt.
Stefanie Schwarzwimmer, The Creator, Ausstellungsansicht zqm Berlin, März 2023 © zqm Berlin

Es gibt kein Entkommen aus dieser metaphorischen Mühle der Content-Produktion, wieder und wieder beginnt die Morning-Routine von Neuem. Die Kulisse bleibt jedoch menschenleer, die einzig wahrnehmbaren Gesichter wurden mithilfe von Künstlicher Intelligenz erzeugt und lächeln einem von Parship-Werbeplakaten im virtuellen U-Bahnhof starr entgegen. Spätestens jetzt beschleicht einen das Gefühl von Beklemmung und Einsamkeit.

Etwas Unbehagen mischt sich dazu, wenn man feststellt, dass der vermeintliche Video-Loop gar keiner ist: Das sah doch hier eben noch ganz anders aus, oder? Ein plötzliches Misstrauen schleicht sich ein, von nun an scannt man akribisch jedes Detail. Man könnte an dieser Stelle auch mal überlegen, wie oft man eigentlich die Authentizität der Menschen hinterfragt, denen man selbst auf Social Media folgt. Stefanie Schwarzwimmer persifliert den Optimierungswahn von Content-Creators nicht plakativ. Ihre Arbeit ist nicht laut oder überdreht, eher kafkaesk und zuweilen „escheresk“, denn die unmöglichen Treppenhäuser von M.C. Escher scheinen hier Wirklichkeit zu werden. Die Stiegen führen uns immer tiefer hinab, den Blick stoisch aufs Display gerichtet.

Mehrere Postkarten mit der Aufschrift "I am content" liegen auf einem Stapel. Sie schimmern silbern.
Stefanie Schwarzwimmer, The Creator, Ausstellungsansicht zqm Berlin, März 2023 © zqm Berlin

Wer sich dem monotonen Schwadronieren des Lifestyle-Vloggers entreißen kann – spätestens nach dem fünften Blick auf seine aktuelle Lieblings-Jacke beginnt man zu ermüden –, erlebt im Treppenhaus des zqm ein kleines Déjà-vu. Auf den Stiegen nach unten fühlt man sich unwillkürlich an die zuvor gesehene Abwärtsspirale erinnert. Wer will, kann eine schillernde Postkarten mit nach Hause nehmen, auf denen in Wandtattoo-Typo die Worte „I am content“ geschrieben stehen. Um es mit Shakespeare zu sagen: Die Welt ist eine Bühne und man selbst ist Teil des Spiels.

WANN: „The Creator“ ist noch bis Samstag, den 15. April, nach Terminabsprache zu sehen. Die Finissage findet an dem Tag von 16 bis 19 Uhr statt.
WO: zqm, Petersburger Straße 73, Seitenflügel 1. Stock, 10249 Berlin.

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