Knick in der Optik
Glitch Art in der Pinakothek der Moderne

11. Dezember 2023 • Text von

Surrende Bildschirme, verpixelte Bilder und verschwommene Aufnahmen in der Pinakothek der Moderne legen den Fokus auf die poetische Seite des Fehlerhaften. Die Ausstellung “Glitch. Die Kunst der Störung” versammelt multimediale Arbeiten aus dem Spektrum der Glitch Art und gibt Einblicke in die historische Entwicklung der bewusst provozierten Bildstörung.

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Pipilotti Rist (*1962, CH), I’m Not the girl who Misses Much, 1986,  1-Kanal-Video, Farbe, Ton, 5 Min. 2 Sek. (Videostandbild),  Sammlung Goetz, Medienkunst, München  © VG Bild-Kunst, Bonn 2023. Courtesy the artist, Hauser & Wirth und Luhring Augustine.

Wer kennt sie nicht, die Frustration, die sich breit macht, wenn der Videocall schon wieder eingefroren ist, das Smartphone-Display sich in lauter Einzelteile verwandelt oder die Technik nicht das macht, was wir von ihr erwarten. Fehlerhafte Technik ist ärgerlich. Die Künstler*innen der Ausstellung “Glitch. Die Kunst der Störung” versuchen jedoch genau das bewusst hervorzurufen. Über 50 internationale künstlerische Positionen zeigen in der Pinakothek der Moderne Werke, die mit technischen Störungen, Irritation und Kontrollverlust spielen.

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Raumansicht der Ausstellung “Glitch. Die Kunst der Störung” in der Pinakothek der Moderne
Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Margarita Platis.

Die Herkunft des englischen Begriffs Glitch liegt im frühneuhochdeutschen “glitschen” und dem jiddischen “gletshn”, was so viel wie gleiten, rutschen und weggeleiten bedeutet. Im Kontext von Computerspielen werden damit Programmier- und Grafikfehler beschrieben. Es handelt sich also um das unerwartete Ergebnis einer technischen Fehlfunktion, in Verbindung mit computergenerierten Bildern und dem Digitalen. Kunst, die mit dieser Pixel-Manipulation spielt, wird in der Kunstgeschichte unter dem Begriff der Glitch Art betrachtet.

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Heinz Hajek-Halke (1898–1983, DE), Es war einmal eine aufblühende Stadt, vor 1954, Silbergelatineabzug 28,8 × 39,6 cm, Museum Folkwang, Essen © Heinz Hajek-Halke Estate, Courtesy CHAUSSEE 36.

Die Ausstellung “Glitch. Die Kunst der Störung” spannt den Bogen weiter und zeigt auf, dass die Wurzel der Glitch Art bis in die Frühzeit der Fotografie zurückgeht. Die in der Ausstellung versammelten künstlerischen Positionen haben sich Anfang des 19. Jahrhunderts dem Anspruch der makellosen Fotografie widersetzt und stattdessen bewusst mit fotografischen “Unfällen” experimentiert. Entstanden sind analoge Fotografien, die durch technische Manipulation an abstrakte Bilder und verschwommene Träume erinnern.

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Raumansicht der Ausstellung “Glitch. Die Kunst der Störung” in der Pinakothek der Moderne
Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Margarita Platis.

Wie das Experimentieren mit technischen Fehlern dagegen im Digitalen aussehen kann, zeigt Rosa Menkman mit ihrer Installation “A Vernacular of File Formats”. Durchzogen von Pixeln und bunten Schlieren erstreckt sich eine übergroße Wandarbeit im Ausstellungsraum, in der sich die groben Umrisse eines Gesichtes erkennen lassen. In der dazugehörigen Videoarbeit erklärt die Künstlerin, wie sie mit Hilfe digitaler Techniken ihr Portrait ins fast Unkenntliche verändert. Immer wieder lässt sie das Ausgangsbild mit fehlerhaften Codes komprimieren, um die ansonsten unsichtbaren Störungen auf der Bildoberfläche sichtbar werden zu lassen.

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Timm Ulrichs (*1940, DE) aus der Serie: Landschafts-Epiphanien 1972/87, 3 Silberfarbbleichabzüge in Leuchtkästen und 3 Farbdiapositivfilmstreifen, zerschnitten und auf Karton kaschiert, in Künstlerrahmen, 80 × 100 × 10 cm, Museum Folkwang, Essen © VG Bild-Kunst, Bonn 2023.

Mit der Manipulation des Bildmediums lassen sich visuelle Welten öffnen, die sonst nicht zugänglich wären. Wolfgang Tillmanns “Freischwimmer 52” zeigt eine grüne Woge sanfter Schlieren, die an abstrakte Unterwasserwelten erinnert. Die Fotografie entstand zwar in einer Dunkelkammer, ist jedoch das Resultat eines fotochemischen Verfahrens ohne Fotoapparat und Negativ. Auch die drei Leuchtkästen aus Timm Ulrichs Werkserie “Landschafts-Epiphanien 1972/87” zeigen keine klassische Fotografie, auch wenn das Abgebildete Assoziationen an intensiv farbige Sonnenuntergänge weckt. Die poetischen Farbverläufe haben ihren Ursprung als Anfang eines Farbdiapositivfilmstreifen, es handelt sich um eine vergrößerte Aufnahme der Nahtstelle zwischen unbeschichtetem Plastik und beschichtetem Filmbeginn.

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Arthur Jafa (*1960, US) Yellow Jacket, 1999, 1-Kanal-Video, Farbe, Ton,  1 Min. 45 Sek. (Videostandbild), Gladstone Gallery © Arthur Jafa. Courtesy Arthur Jafa und Gladstone Gallery.

Der Einsatz von Störmomenten wird von Künstler*innen nicht nur für ästhetische, sondern auch für gesellschaftspolitische Interventionen verwendet. Eine verschwommene, verwackelte Aufnahme zeigt eine unruhige, nächtliche Straßenszene im grellen Neonlicht. Im Fokus der Kamera ist ein am Boden liegender Mensch zu erkennen. Seine gelbe Jacke sticht in der ansonsten tristen Umgebung hervor. Mit seiner Videoarbeit “Yellow Jacket” zeichnet Arthur Jafa das brüchige Bild unserer Gesellschaft, in der wohnungslose Menschen als Systemfehler durch die gesellschaftlichen Raster fallen.

Der Glitch, der sich wie ein Knick in der Optik durch die Pinakothek der Moderne zieht, stört im ersten Moment. Die verschwommenen, verpixelten Bilder und rauschenden Röhrenfernsehern irritieren, verschieben unsere Wahrnehmung und verändern Sehgewohnheiten – genau darin liegt ihr Potential. Die Ausstellung versammelt Kunstwerke, die medial wie inhaltlich die poetische Charakteristik des Fehlerhaften deutlich machen und dabei zeigen, wie schön eine Störung sein kann.

WANN: Die Ausstellung “Glitch. Die Kunst der Störung” ist bis zum 17. März zu sehen.
WO: Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, 80333 München

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