Allein in der "Innenwelt"
Fabian Treiber in der Haverkampf Galerie

17. November 2021 • Text von

Fabian Treibers vielfarbigen Interieurs und Landschaften sind seltsam und irgendwie schwer einzuordnen. Sie zeigen fiktive, menschenleere Raumgefüge, die uns ratlos, verwundert und gleichzeitig emotional berührt zurücklassen. Der Künstler schafft eine prototypische “Innenwelt”, der wir ausgesetzt und mit ihr allein gelassen werden. Die Haverkampf Galerie zeigt in der Einzelausstellung “For A While Longer” im zweiten Anlauf endlich die neuesten Arbeiten des Stuttgarter Künstlers in Berlin.

Ausstellungsansicht in der Haverkampf Galerie Berlin, zwei Türrahmen, die den Blick freigeben auf Kunstwerke von Fabian Treiber an der weißen Wand
Fabian Treiber, For A While Longer, 2021, Installationsansicht, Foto: Jens Ziehe.

Nachdem die Ausstellung “For A While Longer” eigentlich bereits letztes Jahr präsentiert werden sollte, wegen des Lockdowns aber verschoben wurde, ist sie nun endlich für die Öffentlichkeit in Berlin zu sehen. Der erste Schein trügt gewaltig, nimmt man an, es handle sich bei Fabian Treibers Werke lediglich um farbenfrohe Malereien von Innenräumen und Landschaften. Sobald man den Blick schärfer auf seine Bilder richtet, merkt man schnell: da stimmt was nicht. Verschiedene Perspektiven, einzelne zu identifizierende Objekte im Raum, der irgendwie keiner so richtig zu sein scheint. Hier und da Körperteile, wie Arme oder Hände, Pflanzen, mal sind Fenster auszumachen, mal bleibt der Ausblick versperrt. Die teils großformatigen Malereien hinterlassen so einige Fragezeichen.

Ansicht eines bunten Innenraums, es ist eine bergige Landschaft angedeutet, Wasser, im Vordergrund sieht man Pflanzen und rechts am Bildrand Arme mit Händen, aber insgesamt ergibt sich kein klares Bildmotiv, es ist ein merkwürdiges Raumgefüge
Fabian Treiber, Penthouse Perfection, 2021, Acryl, Tinte, Ölkreide und Pastell ness, 180 x 260 cm.

Wer darauf hofft, hier klare Antworten und Erklärungen zu bekommen, muss leider enttäuscht werden. Die Kunst von Fabian Treiber hat etwas seltsam Vertrautes an sich, etwas, das er im Gespräch mit gallerytalk.net als etwas “Allgemeingültiges” bezeichnet, mit dem wir alle uns ansatzweise identifizieren können, und dennoch wirkt sie fremd und ungewohnt. Die Innenräume, die er visualisiert, haben nichts Geisterhaftes an sich, im Gegenteil, sie wirken warm und bewohnt. Von Menschen fehlt jedoch jede Spur. Die Räume wirken trotz der erkennbaren Idee von Leben merkwürdig verlassen und einsam. Man versucht, sich ein Bild, die Geschichte hinter dem Bildprogramm, zusammenzureimen, scheitert jedoch an den zahlreichen Puzzlestücken, die uns die Bilder anbieten. Auch der Künstler scheint sich hinter seinen Arbeiten aufzulösen und uns im Ausstellungsraum völlig allein zu lassen mit den verqueren Bildwelten.

Ausstellungsansicht in der Haverkampf Galerie Berlin mit Werken von Fabian Treiber, die Innenräume und Landschaften zeigen
Fabian Treiber, For A While Longer, 2021, Installationsansicht, Foto: Jens Ziehe.

Die Bildgattung, der Fabian Treiber sich bedient, hat eine lange Tradition. Seit dem 17. Jahrhundert ist die Interieurmalerei ein eigenständiges Kunstgenre, der menschenleere Raum wird seit dem 19. Jahrhundert vermehrt künstlerisch verhandelt. Fabian Treiber bringt diese Tradition in die Gegenwart, verleiht ihr einen völlig neuen Ausdruck und weitet sie durch das stetige Zusammenspiel von Innen und Außen aus. Auf der Leinwand versammeln sich schließlich gemischte Gefühle: der Innenraum bzw. die eigenen vier Wände, die für Sicherheit, Ruhe und Geborgenheit stehen können, treffen auf die Konfrontation mit den eigenen Gedanken, Ängsten und Sehnsüchten, die der Blick nach außen in die weite Welt freisetzen kann. Das, was sich in unseren “Innenwelten” so manches Mal auftut, die unterschiedlichen Gefühlslagen, die im Inneren teilweise parallel ablaufen, ergeben nicht immer einen Sinn oder etwa ein klares Bild. Sie können merkwürdig und überfordernd sein, die passenden Worte zu finden scheint oft unmöglich. So verhält es sich auch mit der Kunst von Fabian Treiber. Sie spürt dem Seltsamen nach, schafft Akzeptanz für Widersprüchliches und wagt gleichzeitig den Versuch, zum besagten Seltsamen eine gewisse Objektivität und Distanz aufzubauen.

Ansicht eines bunten Innen- und Außenraumes mit Wasser, Bergen, angedeuteten Fenstern, Pflanzen
Fabian Treiber, Where the Current rushes by, 2021, Acryl, Tinte, Ölkreide und Pastell ness, 140 x 240 cm.

Der Künstler berichtet im Gespräch davon, dass er in seinen Arbeiten nicht seine eigene, persönliche Gefühlswelt zu verhandeln versucht. Er sieht sich eher als der Moderator all der seltsamen Sensationen, die auf der Bildfläche stattfinden. Er sucht die Unruhe in der vermeintlichen Ruhe, schafft formale Attraktionen und narrative Momente, die gleichzeitig und in spannungsgeladener Koexistenz ihren Platz in den wunderlichen “Innenwelten” auf der Leinwand finden. Für mich als Betrachterin werden diese Arbeiten gewissermaßen zu Abbildern einer kollektiven Wirklichkeit, auch wenn sie visuell so weit wie nur möglich vom Wirklichen entfernt zu sein scheinen. Sie sind Darstellungen verzwickter Gefühls- und Gedankenwelten, die unsinnig wie plausibel, mal klarer und zweitweise überhaupt nicht zu definieren sind. Die Kunst von Fabian Treiber vereint Erinnerung, Empfinden, Typologie, Vorstellung sowie Spekulation in sich und schafft ein großes Gemenge visuell aufgeladener Momente, die spannend zu beobachten sind. Man wird bei der Betrachtung wohl nie die eindeutige Antwort, vielleicht auch keinen roten Faden finden. Das braucht es aber auch gar nicht. Der intime Dialog und das Alleinsein mit der Kunst sind das Ziel sowie der Versuch, sich irgendwie in der “Innenwelt” zurechtzufinden.

Begleitend zu Fabian Treibers Ausstellung “For A While Longer” ist der gleichnamige Katalog in Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Freund und Designer Nicolas Zupfer mit weiterführenden Essays und Bildmaterial entstanden. Am Freitag, den 26. November, wird der Künstler außerdem für einen Artist Talk in der Berliner Galerie nochmal anwesend sein. Zum Jahreswechsel hat sich der Künstler erstmal eine Pause auferlegt, blickt jedoch mit großer Vorfreude auf den März 2022: Mit seiner kommenden Debut-Ausstellung in der Galerie Anat Ebgi in Los Angeles geht ein großer Wunsch für Fabian Treiber in Erfüllung. Wir werden aus der Ferne gespannt zuschauen!

Wer gerne noch etwas zu zeitgenössischer Malerei weiterlesen mag, kann hier bei Annas Interview mit Alexander Basil vorbeischauen oder bei Teresas Gespräch mit Chloë Saï Breil-Dupont im Oktober.

WANN: Die Ausstellung “For A While Longer” läuft noch bis Sonntag, den 11. Dezember 2021.
WO:
Haverkampf Galerie, Mommsenstraße 67, 10629 Berlin.

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