Ein Zuckerschlecken
Ernie Wangs "Play Area" bei Efremidis

12. Dezember 2023 • Text von

In einer kapitalistischen Welt, in der sich Begriffe wie “Hustle Culture” etablieren, gar positiv konnotiert werden, leiden die kleinen Freuden des Alltags. Ernie Wang wirkt mit seiner Show “Play Area” bei Efremidis gegen den ewigen Hustle an. Seine Keramik-Schlösser bieten Einblicke in Domizile unbekannter märchenhafter Figuren, sie lassen Besucher*innen verharren und ihr inneres Kind spielen.

Efremidis, Ernie Wang, Play Area, Castle 1, Detail
Ernie Wang: “Castle 1 (Mineral garden)”, 2023, glazed ceramics, 62 x 32 x 34 cm, Detail. Photo: Marjorie Brunet Plaza.

Kleine bunte Gegenstände haben so einige – überwiegend privilegierte! – Kindheiten geprägt. Seien es Stickersammlungen, Puppen, Münzen, Gefundenes oder Spielkarten mit Monstern drauf, die sich auf dem Schulhof in ihren Superkräften maßen. Ganz hoch im Kurs selbstverständlich auch Barbie, Baby born und Polly Pocket. Für alle Puppen braucht es immer noch mehr Kleidung, mehr Gehäuse, Freundinnen oder ein Pendant anderen Geschlechts oder Hautfarbe. Ein irrsinniger Markt. Dagegen kommt kein feministischer Ansatz an, er bleibt letztlich leider doch ein Deckmantel des Kapitalismus – oder besser: ein sugar coat.

Mit “Play Area” bei Efremidis zeigt Ernie Wang Keramik-Schlösser, die genau in einer Zwischenzone kreiert zu sein scheinen, im Spannungsfeld von Spiel und Kommerz. Sie könnten einem Disney- oder Martel-Universum entsprungen sein und doch überhaupt nicht. Formen wiederholen sich erinnern an bunte Zuckerstangen und Drachenschwänze. Katapultieren jeden noch so erwachsenen Kopf in eine märchenhafte, fantastische Miniaturwelt des Spielens, Zuckerschleckens und der lauernden Gefahr.

Efremidis, Ernie Wang, Play Area, Installation view 11
Efremidis, “Play Area”, Installation view. Photo: Marjorie Brunet Plaza.

Um zu den geheimnisvollen Burgen zu gelangen, müssen Besucher*innen selbst in eine Zwischenzone klettern, hinter dem Schaufenster und vor dem Galerieraum wurde ein Gang geschaffen, in dem sie sich von Miniaturarchitektur zu Miniaturarchitektur bewegen können. Jede einzelne wird auf einem vom Künstler handgefertigten Tableau mit Standbein präsentiert. Jedes Stahl-Gestell ragt beziehungsweise schlängelt sich beinahe organisch aus den Tiefen empor wie eine großblättrige Zimmerpflanze.

Je näher Besucher*innen den verwunschenen Objekten kommen, desto mehr tauchen sie ein in einen Raum, dessen Einrichtung Fragen aufwirft. “Polly Pocket 2 (left)” und “Polly Pocket 3 (right)” erinnern an einen aufgeschnittenen Stein, in dessen Innern sich jemand häuslich eingerichtet hat. Was in der Mineralogie als Druse bezeichnet wird, beschreibt genauso wie hier einen äußerlich grauen Steinklumpen, der einen unerwarteten, funkelnden Kern beherbergt.

Efremidis, Ernie Wang, Play Area, Polly Pocket 2 und 3, 14
Ernie Wang: “Polly Pocket 2 (Left)”, 2023, glazed ceramics, 73 x 39 x 23 cm. // “Polly Pocket 3 (right),” 2023, glazed ceramics, 62 x 42 x 25 cm. Photos: Marjorie Brunet Plaza.

Ein großer dreiköpfiger Wurm wühlt sich von außen nach innen, ein Schwert dringt bedrohlich durch die Außenwand in den farbenfrohen Innenraum. Manche Elemente erinnern an ein Badezimmer, so gibt es einen weißen Fliesenspiegel auf dem Boden, einen Wasserhahn, der aus der Wand guckt wie ein Entenkopf oder einen Duschvorhang, der seltsam weit oben im Raum flattert. Eine kleine Leiter hängt an der Wand, so eine Leiter, wie sie aus dem Schwimmbad bekannt ist und kleine Kinderfüße ins Becken begleitet. Wer hier wohnt, bleibt die spannende Unbekannte.

Im “Castle 1 (Mineral garden)” wuchert ein stacheliges grünes Gewächs. Es ragt spitz empor wie die Holzstäbe eines Mikado-Spiels oder die Stacheln eines Igels. Es gibt viele Schläuche, Leitungen, Rohre, einen Brunnen und Ringe, die das Schloss hier und da wie ein Piercing durchbohren. Vielleicht kann an ihnen der Hausdrache angekettet werden? Die zwei prächtigen und mit Farbe besprenkelten Türme kann hochgeklettert und aus den kugelrunden Fenstern herausgeguckt werden. Die Turmspitze wird von einer Schwalbe verziert. Ein fantastisches Zuhause für Feen, Hobbits und Rapunzel.

Efremidis, Ernie Wang, Play Area, Castle 2 1
Ernie Wang: “Castle 1 (Mineral garden)”, 2023, glazed ceramics, 62 x 32 x 34 cm // “Castle 2 (Poppers bottle)”, 2023, glazed ceramics, 60 x 40 x 50 cm. Photos: Marjorie Brunet Plaza.

Vor dem inneren Auge fangen sämtliche Wesen an, in diesen Gemäuern zu toben oder fangen zu spielen. Auch wenn alle Häuser gut bewaffnet sind, auf Angriffe vorbereitet zu sein scheinen, lebt es sich in ihnen sicher fabelhaft. Der Morgenstern baumelt warnend an der Außenmauer, während drinnen Bewohner*innen die kleinen Rutschen herunterrutschen. Spiel und Spaß wachsen ja bekanntermaßen auch mit einer kleinen Prise Gefahr oder Drama.

Ernie Wang gelingt es mit runder, zuckersüßer Formensprache in die Spielwarenabteilung zu katapultieren, wie damals werden hier bei Efremidis nicht nur Kinderaugen groß. Fasziniert von den seltsamen Details, den Unstimmigkeiten und der Erlaubnis in fremde Wohnräume zu gucken, entfalten seine Schlösser und Burgen eine irrsinnige Anziehungskraft, ein Haben-Wollen-Moment wie vor den unendlichen Regalen von Toys”R”Us. Man möchte klitzeklein werden und einmal eine der Leitern hochklettern und sich nach dem Spiel unter der Riesendusche den Zuckerguss abbrausen. 

WANN: Die Ausstellung “Play Area” läuft noch bis Freitag, den 22. Dezember.
WO: Efremidis, Ernst-Reuter-Platz 2, 10587 Berlin

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